Der Arbeiterverein wurde entwurzelt und verkauft, um endlich wieder Titel zu holen. Doch der Erfolg blieb bislang aus. Die Freude über die Investoren ist längst gewichen.

Manchester. Die Reise aus der Zukunft in die Vergangenheit dauert in Manchester keine 15 Minuten. So lange braucht der Taxifahrer vom neuen City of Manchester Stadium im Osten der Stadt in den Süden nach Moss Side, wo bis 2007 die alte Heimat Citys stand. Doch da, wo bis vor sechs Jahren noch an der altehrwürdigen Maine Road gespielt wurde, steht mittlerweile eine halbfertige Neubausiedlung. Auf der großflächigen Bauruine ist kein Mensch zu sehen, sind keine Arbeiten zu hören. Und auch sonst ist vom derzeit wohl reichsten Verein der Welt hier in "City-Land" nicht mehr viel zu sehen. Die Straßen mit den roten Backstein-Häusern rund um das frühere Stadiongelände wirken gespenstisch ruhig, viele Cafes und Shops, die den Großteil ihres Umsatzes an Spieltagen gemacht haben, mussten schließen. Wo bei Heimspielen früher Tausende von Fans hin pilgerten, regieren heute Straßengangs. Sie kontrollieren die Gegend rund um das "Triangle of death" (auf deutsch: Todesdreieck), regeln den Drogenverkauf und die Prostitution.

Das alles weiß auch Mike, aber es interessiert ihn nicht mehr. Der 40-Jährige sitzt wie jeden Abend mit seinem Mitbewohner George - einem United-Fan - im Huntsman Inn am Rande der City-Hochburg Moss Side und lässt sich volllaufen, während aus der Jukebox Queens "We are the Champions" dröhnt. "I am english, so shut up", gröhlt er auf die Frage des Wirtes, ob er für heute nicht genug getrunken hätte. Seit seinem fünften Lebensjahr ist der Engländer, der seinen Nachnamen nicht verraten will, City-Supporter. Auch seinen Beruf will er nicht sagen, nur soviel: "Wenn ich Dir das verraten würde, dann müsste ich Dich umbringen." Er hat alle Tiefen und die wenigen Höhen seines Klubs mitgemacht, war dabei, als City-Legende Dave Watson 1976 den Ligapokal nach Manchester holte, und auch, als der Klub 1998 in die Dritte Liga abstieg. Und er ist auch heute in der Nordbank-Arena vor Ort, wenn die Citizens erstmals ins Halbfinale des Uefa-Cups einziehen wollen. "In Hamburg werden wir uns mal wieder so richtig amüsieren", sagt er, fasst sich in den Schritt und macht eindeutige Zeichen, was er außer Fußball heute noch so vor hat. Auf die Entwicklung seines Klubs und besonders auf Scheich Mansour bin Zayed Al Nahyan ist Mike dagegen ganz und gar nicht gut zu sprechen. "Der Scheich soll zurück in die Wüste gehen - und Robinho kann er gleich mitnehmen", beschimpft er den neuen City-Besitzer und dessen 42 Millionen Euro teuren Stareinkauf. Und während er seine Ärmel hochkrempelt und die eintätowierten Namen seiner beiden Kinder - Puppy und George - freilegt, pöbelt er weiter: "Dieser Bastard hat uns das Herz mit seinen ganzen Millionen rausgerissen."

Zurück in der Zukunft steht Kevin Parker - gepflegter Seitenscheitel, Hemd in der Hose - an der Kasse von Walmart, dem Riesendiscouter, der zwischen dem neuen Stadion und einer McDonalds-Filale eine passende Heimat gefunden hat. Hier also soll das neue Herz des Vereins schlagen. "Ein schönes Stadion", lobt Parker, der Generalsekretär der City-Supporters, den Neubau, der mehr durch seine Logen und VIP-Plätze als durch seine Geschichte besticht. Anders als Mike hat sich der 48-jährige Unternehmer gefreut, als im vergangenen Sommer die Abu Dhabi United Group seinen Klub übernommen hatte. "Auf einmal hatten wir über Nacht die Möglichkeit, im Konzert der ganz Großen mitzuspielen", sagt Parker, der es aufregend fand, dass sein Verein plötzlich aberwitzige Millionensummen für die Creme de la Creme des Weltfußballs bieten konnte. Cristiano Ronaldo vom verhassten Stadtrivalen United war für 165 Millionen Euro im Gespräch, Milans Kaka sollte 100 Millionen Euro kosten. Und auch wenn die Top-Starts die Offerten ablehnten, wurden immer noch stolze 152,5 Millionen Euro für Neuzugänge präsentiert. Die zunehmende Kommerzialisierung des Vereins störte den City-Fanchef damals noch nicht. "Für den Titel würde ich meine Seele dem Teufel verkaufen", sagte Parker kurz nach der Übernahme im Abendblatt-Interview.

Heute ist von der anfänglichen Begeisterung, als City-Fans die neuen Besitzer als Scheich verkleidet vor dem neuen Stadion, in dem der Premier-League-Klub seit 2003 spielt, begrüßen wollten, nicht mehr viel übrig geblieben. Und auch Parkers Euphorie ist spürbar gebremst. "Es scheint so, als ob die Klub-Verantwortlichen bei all ihren Zukunftsplänen langsam unsere Vergangenheit vergessen", kritisiert der Familienvater, der seit 33 Jahren City-Mitglied ist und gemeinsam mit seinem ältesten Sohn für jeweils 390 Euro zum Spiel heute nach Hamburg reist. Noch immer finde er es generell gut, dass City jetzt mehr Geld zur Verfügung habe, will aber gleichzeitig nicht ausschließen, ob nicht doch der Leibhaftige bei der Übernahme seine Hand mit im Spiel hatte.

Als Teufel sieht sich Scheich Mansour sicherlich nicht. Die Zweifel von Kevin Parker und Mike dürften den neuen City-Boss aber ebenso wenig interessieren. Der Vorstandsvorsitzende der First Gulf Bank ist Mitglied der Herrscherfamilie von Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten, gilt als einer der reichten Männer der Welt und war seit der Übernahme des Fußballvereins nicht einmal in Manchester. Anders als Suleiman Al-Fahim, der als Vorsitzender des Konsortiums der Abu Dhabi United Group an dem spektakulären Deal beteiligt war, äußert sich Scheich Mansour nur äußerst selten. Al-Fahim ließ dagegen unmittelbar nach der City-Übernahme vollmundig verkünden, dass Manchester von nun an auf Augenhöhe mit Real Madrid, dem FC Barcelona und vor allem mit dem ewigen Rivalen United ist: "Wir wollen jeden möglichen Titel gewinnen und der beste Klub Englands werden. Unsere Taschen sind tief. Geld ist kein Problem."

Von dem, was in der unmittelbaren Vergangenheit über Citys Zukunft gesagt wurde, will in der tristen Gegenwart keiner mehr was wissen. Der Verein aus dem Nordwesten Englands dümpelt in den gleichen Tabellenregionen herum wie vor der Übernahme: im Fußballniemandsland. Und auch im Huntsman Inn hat man keine Lust mehr, über eventuelle Neu-Stars zu philosophieren.

"Früher wurde hier ehrlicher Fußball geboten, heute geht es doch nur noch darum, mit welchen Autos die Spieler zum Training kommen", sagt Mike. Es ist jetzt nach 23 Uhr, deswegen hat der Wirt die Tür des Pubs von innen abgeschlossen. Nur Mike und George sind immer noch da. Sie sind jeden Abend da, trinken Bier, streiten sich über United und City und stimmen zumindest darin überein, dass ausländische Investoren von Fußballvereinen zum Teufel gejagt werden müssten. Draußen auf der Straße sollte man sich zu dieser Uhrzeit lieber nicht mehr rumtreiben, auch wenn die Polizei gerade erst die Anführer der berüchtigten Gooch-Gang medienwirksam dinghaft gemacht hat. "Als City noch an der Maine Road spielte, war das mal ein nettes Viertel hier", sagt Mike lallend - und bestellt sich noch ein letztes Bier. Über das heutige Manchester City will er an diesem Abend nur noch eins sagen: "Wer die eigene Vergangenheit vergisst, der hat auch keine Zukunft mehr."