Angestellter der Kreisverwaltung gesteht, mindestens 440 000 Euro unterschlagen zu haben. Ermittler prüfen Zahlungen der vergangenen Jahre.

Bad Oldesloe. Der Kollege ist reumütig. Gestern ging in Bad Oldesloe ein Entschuldigungsschreiben des Mitarbeiters der Kreisverwaltung ein, der seinen Arbeitgeber um einen hohen Geldbetrag erleichtert haben soll. In dem Brief an den Landrat Klaus Plöger räumt der 30-jährige Oldesloer ein: "Ich habe bei Ihnen Geld in Höhe von mindestens 440 000 Euro unterschlagen." Zum Motiv heißt es sinngemäß: Anfängliche finanzielle Schwierigkeiten hätten ihn zu den Taten verleitet, später habe er nicht mehr den Mut gehabt, sich zu erklären und die Sache zu beenden. Er wolle versuchen, das Geld zurückzuzahlen.

Das ist die neueste Wendung in dem schwersten Fall von Untreue in der Stormarner Verwaltung seit elf Jahren. Unklar ist nach wie vor, wie es dem Beschuldigten D. über mehrere Jahre hinweg gelingen konnte, das Geld unbemerkt auf eigene Konten umzuleiten. Bei einer Pressekonferenz, die wegen des unerwartet großen Medieninteresses in einen Sitzungsraum des Kreishauses verlegt werden musste, mochte der Landrat dazu keine Angaben machen. "Das LKA hat mich gebeten, über die technischen Details nicht zu reden", sagt er.

D. hatte im Jugendamt gearbeitet. Er war dort für Kunden mit bestimmten Anfangsbuchstaben zuständig. Zu seinen Aufgaben gehörte es unter anderem, Geld für die Betreuung von Jugendlichen in Heimen oder Pflegefamilien zu überweisen. Die dabei verwendete Software "Prosoz 14plus" der Firma Prosoz aus Herten (Nordrhein-Westfalen) hat bei den falschen Zahlungsanweisungen offenbar eine nicht unwesentliche Rolle gespielt. D. war Systembetreuer - und hatte deshalb Möglichkeiten der Manipulation. Seit Dienstag sind Mitarbeiter der Software-Firma in Oldesloe, um zu prüfen, ob und wie das Programm verändert worden ist. "Die Erkenntnisse werden wir an die Verwaltungen weiterreichen, die ebenfalls Prosoz einsetzen", sagt Plöger. Nach Angaben der Firma sind das knapp 300 Jugendämter bundesweit.

Das Rechnungsprüfungsamt des Kreises arbeitet derweil daran, die tatsächliche Schadenshöhe festzustellen. Zuletzt wurde sie auf 480 000 Euro geschätzt. Zahlung für Zahlung muss nun geprüft werden. Derzeit sind die Mitarbeiter mit Überweisungen aus dem Jahr 2004 beschäftigt. D. hat allerdings seit zehn Jahren im Jugendamt gearbeitet, es sind also Überweisungen bis ins Jahr 2000 hinein zu kontrollieren. In der Kreisverwaltung wird deshalb damit gerechnet, dass es noch Wochen dauern kann, bis feststeht, wie viel Geld D. tatsächlich abgezweigt hat.

Eines haben die hausinternen Untersuchungen immerhin ergeben: "Das Vier-Augen-Prinzip ist nicht verletzt worden", sagt Plöger. Das heißt: Jeder Zahlungsvorgang trägt neben der Unterschrift des Beschuldigten auch die eines kontrollierenden Kollegen.

Aber auch das lässt Raum für Spekulationen. Hat D. die Unterschriften gefälscht? Oder war die Fehlerhaftigkeit des Zahlungsvorgangs für die Kollegen nicht zu erkennen? Hat vielleicht D. Helfer gehabt? Nur die letzte Frage kann Plöger eindeutig mit "Nein" beantworten.

Auch Klaus-Dieter Schultz von der Lübecker Staatsanwaltschaft, für Auskünfte in diesem Fall zuständig, sagt: "Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass der Beschuldigte Mittäter hatte." Er bestätigt, dass der Angestellte gegenüber den Ermittlern des Landeskriminalamts ein "Teilgeständnis" abgelegt hat.

Aufgeflogen war der Betrug, weil sich eine Bank über ungewöhnliche Zahlungsvorgänge auf Konten des Oldesloers gewundert und das LKA informiert hatte. Hätte man nicht auch im Jugendamt stutzig werden müssen, zum Beispiel dadurch, dass D. pro Monat mehr Geld als seine Kollegen an Klienten überwiesen hat? Plöger verneint. "Diese Zahlen sammeln wir nicht", sagt er. Hinweise auf einen hohen Lebensstandard des Mitarbeiters habe es nicht gegeben.

Das Arbeitsverhältnis mit D. ist gestern beendet worden. Ob er sein Versprechen wahr machen kann, das veruntreute Geld zurückzuzahlen, bleibt unklar. Vermögen im Wert von 100 000 bis 200 000 Euro ist bei ihm sichergestellt worden. Der Kreis Stormarn ist gegen Fälle von Veruntreuung versichert. Wie diese Versicherung genau aussieht, ob sie vielleicht nur bis zu einem bestimmten Höchstsatz zahlt, wollte Plöger gestern nicht sagen. Er hofft, dass bei D. noch mehr Geld zu holen ist.

Ohnehin zahlt die Versicherung erst dann, wenn ein Gerichtsurteil vorliegt. Im Fall der Organisationsabteilungsleiterin Gisela S., die 1999 umgerechnet rund 230 000 Euro veruntreut hatte, bekommt der Kreis heute noch Rückzahlungen - "in unregelmäßigen Abständen", so Plöger.

Den Eingang des Entschuldigungsschreibens von D. hat er zur Kenntnis genommen. "Ist okay, dass er das macht", sagt Plöger, "sieht bestimmt auch vor Gericht ganz gut aus." Ändern tue das an seinem Grundgefühl aber nichts: "Ich bin stinksauer." Der Verdacht, dass im Jugendamt noch mehr schiefgelaufen sein könnte, hänge nun wie ein Damoklesschwert über seinen Mitarbeitern.