Mit einem Kettensägen-Konzert, einer Schafherde und Beton-Pyramiden geht der Protest gegen den Castortransport zum Atom-Zwischenlager weiter.

Gorleben. Plötzlich kreischen mehr als 20 Kettensägen durch den Wald. Etwa 50 Frauen, Männer und Kinder marschieren um zwölf Uhr mittags in breiter Front auf die Straße zu, über die in wenigen Stunden der Castortransport auf elf Spezialtiefladern von Dannenberg ins Zwischenlager nach Gorleben rollen wird. Die Atommüllfuhre hat nach zahlreichen Protesten und Blockaden an der Schienenstrecke schon weit über einen Tag Verspätung. Jetzt müssen die Castoren nur noch die 19 Kilometer Straße schaffen.

Die für diesen Straßenabschnitt zuständige Hundertschaft aus Oldenburg ist völlig überrascht. Hektisch springen die Polizisten aus ihren Einsatzwagen und rennen zum Waldrand. Ein Wasserwerfer von der Leipziger Polizei wird über Funk gerufen. Währenddessen schwingt Andreas Graf von Bernstorff, 68, vehementer Atomkraftgegner und größter Landbesitzer im Wendland, gekonnt den Taktstock.

"Dies ist mein Land, mein Wald, und ich dirigiere auf meinem Grund und Boden das grandiose Kettensägen-Orchester", erklärt von Bernstorff schelmisch lachend. "Wir haben Alt, Sopran, Bass und Tenor dabei. Man soll uns weit hören. Und seine Freude an den schönen Klängen haben." Auf sein Zeichen setzen die Kettensägen immer wieder ein.

Die Polizei findet das skurrile Kettensägen-Orchester - bestehend aus Waldarbeitern, Ärzten, Pensionären, Rechtsanwälten, Handwerkern, Hausfrauen, Landwirten, Lehrern und Schülern - gar nicht witzig. Der Wasserwerfer sabbert schon ungeduldig, aus seinen Rohren tropft Flüssigkeit.

"So, Leute", sagt der Graf und legt den Taktstock weg, "jetzt beginnen wir mal mit dem Baumfälltraining." Einige Fichten fallen. Die Stämme werden von den Demonstranten in Scheiben geschnitten, in der Mitte ein Kreuz, das Zeichen der Wendländer Castor-Gegner. Sie tragen die Holzscheiben an den Straßenrand, um sie der Polizei zu übergeben. Aber die Polizei will sie gar nicht haben. Und als ein Baum in der Nähe der Straße fällt, gibt der Einsatzleiter aus Oldenburg den für alle völlig überraschenden Befehl, auf die friedlichen Demonstranten ein paar scharfe Salven Wasser zu feuern.

Am Nachmittag erobern plötzlich 1200 Schafe und 500 Ziegen den Asphalt nahe Gorleben. Das vielköpfige Polizeiaufgebot konnte die Invasion der blökenden und meckernden Tiere wiederum nur staunend zur Kenntnis nehmen und schon gar nicht abwehren. "Schafe und Ziegen als Demonstranten - das gab es wohl selbst im Wendland noch nicht. Sie habe zehn Jahre davon geträumt, mit ihrer Herde mal beim Castortransport die Straße zu blockieren, sagt Schäferin Evelyn, deren Revier die nahen Elbdeichwiesen sind. Sie sei glücklich, dass sie es geschafft hat. Und überrascht, wie leicht es ging.

Später, als es langsam dunkel wird, versammeln sich immer mehr Demonstranten in den Wäldern und auf den Feldern entlang der Strecke. Wie am Tag zuvor an den Gleisen setzen die Demonstranten wieder auf die Guerillataktik: kleine Trupps, viele Angriffe auf die abgeriegelte Straße, die Polizei beschäftigen und zermürben.

"Wir wollen auf der Castorstrecke heute Nacht auch versuchen, den fleißigen und gewissenhaften Polizisten zum Abschluss ihres Einsatzes für die Atomindustrie eine kleine Ägypten-Ausstellung zu präsentieren", sagt ein unmittelbar an der Straße wohnender Wendländer. "Fleißige Leute haben viele kleine Pyramiden gebaut, sie mit Beton gefüllt und in Schuppen oder Scheunen abgestellt. Wir sind kreativ." Die Beton-Pyramiden sollen den Weg für den Castortransport versperren.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace blockiert am Montagabend die Ausfahrtstraße der Castorumladestation in Dannenberg mit einem umgebauten Brauereifahrzeug. Im Inneren des acht Meter langen Fahrzeuges haben sich fünf Aktivisten so befestigt, dass die Polizei den Lkw nicht fortbewegen kann, ohne sie zu verletzen. Wenn die Castoren an dem Lkw und den Tausenden Demonstranten vorbeikommen, ist der Spuk vorerst beendet. Aber das Problem mit dem Atommüll noch lange nicht geklärt.