Ein französischer Beamter greift bei der Demonstration gegen den Castor-Einsatz in Gorleben massiv ein - Nothilfe oder Amtsanmaßung?

Lüneburg. Als Anfang November 2010 der Castor-Transport mit hoch radioaktivem Müll ins Zwischenlager Gorleben ins Wendland rollte, war aufseiten der Bundespolizei auch ein französischer Polizist dabei. Fotos zeigten ihn mit Schlagstock und Schusswaffe am Gürtel, wie er einen Demonstranten von den Gleisen zerrt. Die Bundespolizei teilte dazu mit, der Mann sei Beobachter gewesen, habe deutschen Kollegen lediglich in einer Notsituation beigestanden. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg aber sieht das anders. Auf Abendblatt-Anfrage bestätigte Behördensprecherin Angelika Klee, dass ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen den Mann wegen Verdachts der Amtsanmaßung eingeleitet worden ist.

Ein Fotograf hatte mehrere Bilder ins Internet gestellt, die den Franzosen zeigen, wie er massiv gegen einen auf den Gleisen liegenden Demonstranten vorgeht.

Ein Sprecher der Bundespolizei sagte dazu, Bundespolizisten seien "in Bedrängnis" geraten: "Der französische Polizist unterstützte daher seine Kollegen in einer Notsituation." Solche Nothilfe sei zulässig. Zu dieser Darstellung aber passt nicht, dass auf mehreren Bildern deutsche Polizisten zu sehen waren, die die Szene tatenlos beobachteten. Zudem hat ein Rechtsanwalt nach eigenen Angaben den Mann schon zwei Stunden zuvor erlebt, wie er sich an einer Festnahme beteiligte.

Die Staatsanwaltschaft Lüneburg will nun ermitteln, "wie es zu dem Einsatz gekommen ist". Ergründen will die Staatsanwaltschaft auch, welche Absprache es zwischen der deutschen Polizeiführung und dem französischen Gast gab: "Wir wollen wissen, welche Anweisungen er erhalten hat." Behördensprecherin Klee wollte zum weiteren Vorgehen der Staatsanwaltschaft nichts sagen, auch nicht dazu, ob der Franzose vernommen werden soll. Der Strafrahmen für Amtsanmaßung reicht von Geldstrafe bis zu zwei Jahren Haft. Die Tatsache, dass der französische Beamte eine Schusswaffe trug, ist aus Sicht der Staatsanwaltschaft kein Grund für Ermittlungen. Dies sei durch geltendes Recht gedeckt: "Die Ausstattung des Mannes ist nicht fraglich."

Publik gemacht hatte die Existenz der Bilder im November der Grünen-Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele. Der zeigte sich "erfreut" über das Ermittlungsverfahren. Dem Abendblatt sagte Ströbele: "Ich wünsche mir aber, dass das Verfahren auf die deutschen Beamten ausgeweitet wird, die den Einsatz ihres französischen Kollegen zu verantworten haben."

Für Ströbele geht es aber nicht nur um den Einzelfall beim Castor-Transport: "In der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit hat sich eine Grauzone entwickelt, die niemand richtig wahrnimmt." Die diversen Kooperationen bedürften einer völlig neuen gesetzlichen Grundlage und parlamentarischer Kontrolle.

Bei den Castor-Transporten gibt es ein gemeinsames Lagezentrum von Bundes- und Landespolizei. Das Innenministerium in Hannover ging damals demonstrativ auf Distanz: "Die Einsatzleitung der Landespolizei hat erst während des Castor-Einsatzes von französischen Beamten erfahren." Zudem falle der Transport auf der Schienenstrecke in die Zuständigkeit der Bundespolizei.

Aus Polizeikreisen sickerte zudem durch, der französische Polizist der Eliteeinheit CRS habe seinen deutschen Kollegen Anschauungsunterricht geben wollen, wie man solche Einsätze in seiner Heimat handhabe.