Konflikte um Wasser und Bodenschätze hat es immer gegeben. Doch der Klimawandel führt zu einer neuen Form von Gewalt, meint der Sozialpsychologe Harald Welzer.

Die Folgen des globalen Klimawandels werden vor allem Afrika, Asien und Südamerika treffen und dortige Konflikte weiter anheizen, Gewalt verstärken, zu "Klimakriegen" führen. Das prognostiziert der Sozialpsychologe und Buchautor Harald Welzer, Professor am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen und an der Universität Witten-Herdecke. Am kommenden Dienstag wird er auf Kampnagel über das Thema "Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird - Klimawandel als politisches Ereignis" diskutieren. Das Hamburger Abendblatt hakte vorab schon einmal nach.


Abendblatt:

Sie prägen den Begriff "Klimakrieg". Gab es nicht schon immer Konflikte, die zum Beispiel durch Dürren ausgelöst wurden?

Harald Welzer:

Man bekommt eine andere Perspektive, wenn man Umweltfaktoren in die Konfliktentstehung einrechnet. In den vergangenen Jahrzehnten hat man auf ideologische und ethnische Faktoren geguckt, aber die eigentliche Grundlage der Auseinandersetzungen nicht im Auge gehabt. Ein Großteil ist auf Ressourcenkonflikte um Boden, Wasser und andere Dinge zurückzuführen. Im Krieg am Kaukasus wurde als Erstes eine Pipeline bombardiert.



Abendblatt:

Ökologen und Friedensforscher warnen schon länger vor Kriegen ums Wasser. Wo liegt denn der Unterschied?

Welzer:

Die Folgen der Klimaerwärmung sind viel umfassender als die Wasserkonflikte. Die globale Ungleichverteilung dieser Folgen führt zu ganz neuen Problemen: Dürren, Überschwemmungen, auftauende Permafrostböden, schmelzende Gletscher, Extremwetterereignisse. Übrigens gibt es bei den Wasserkonflikten Beispiele von erfolgreichen Vertragsschlüssen zwischen den beteiligten Staaten, etwa zur gemeinsamen Nutzung von Flüssen. Hier könnte man für den Umgang mit Klimakonflikten etwas lernen.



Abendblatt:

Klimakonflikte sind also gefährlicher als Wasserkonflikte?

Welzer:

Die vorhandenen Ungleichheiten und Konfliktlagen werden durch den Klimawandel vertieft. Damit steigt das Gewaltrisiko. Es gibt im Wesentlichen drei Szenarien, die in Gewalt und Krieg münden können: erstens direkte Konflikte um Ressourcen, weil die Leute von ihrem Land nicht mehr leben können und in Konkurrenz zu anderen Nutzern treten - Beispiel Darfur im Sudan. Damit verknüpft sind, zweitens, oft große Flüchtlingsbewegungen. Sie führen ihrerseits zu massiver Gewalt - im Land und an den Grenzen. Drittens wird es Konflikte um die Rohstoffressourcen geben, die ausbeutbar werden, etwa weil das arktische Eis schwindet.



Abendblatt:

Im sudanesischen Darfur spielen ethnische Konflikte und Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Rebellen auf üble Weise zusammen. Welche Rolle spielt das Klima?

Welzer:

Die Wüstenbildung ist die Ursache der Konflikte. In Ländern mit schwacher Staatlichkeit wie im Sudan versuchen andere Bevölkerungsgruppen sofort, sich solche Konflikte zunutze zu machen. Söldnerbanden treten auf, es wird ein Krieg gegen die eigene Bevölkerung geführt. Für die Opfer dieser Gewalttaten stellt sich das sehr schnell als ethnischer Konflikt dar. In Darfur konkurrieren sogenannte Araber, viehzüchtende Nomaden, um den kärglichen Boden mit den Bauern, die Afrikaner genannt werden. Aber die Araber sind zum Teil überhaupt erst durch die Wüstenbildung nomadisch geworden.



Abendblatt:

Sind solche klimatisch bedingten Konflikte auch friedlich-kooperativ zu lösen?

Welzer:

Wenn das konkrete Überleben auf dem Spiel steht, sind geregelte Konfliktlösungen extrem schwierig. Zudem existieren geregelte Verfahren, wie wir sie in unseren Rechtsstaaten haben, in vielen betroffenen Ländern überhaupt nicht. Diese Staaten sind gleich doppelt betroffen: Sie erleben die größten materiellen Folgen des Klimawandels und haben die geringsten Kapazitäten, diese zu bewältigen.



Abendblatt:

Werden die Industriestaaten heil davonkommen?

Welzer:

Die Flüchtlingsbewegungen werden auch auf diese Inseln der Glückseligkeit zuströmen. Das führt zu verstärkten Sicherheitsanstrengungen, zum Beispiel am Mittelmeer. Die Dramen, die wir heute vor Süditalien erleben, sind die Vorläufer. Die Leute, die derzeit dort mit seeuntauglichen Booten anlanden, sind noch nicht einmal Klimaflüchtlinge. Zynisch gesagt, gehören sie sogar zu den Privilegierten, die sich solche Überfahrten leisten können, die Schlepper bezahlen können. Es ist völlig klar, dass die Flüchtlingszahlen sich bis Mitte des Jahrhunderts vervielfachen werden. Die Vereinten Nationen rechnen mit einer Verzehnfachung.



Abendblatt:

Gibt es beim Umgang mit Flüchtlingen bessere Lösungen, als Grenzzäune höher zu ziehen?

Welzer:

Wir werden gar nicht darum herumkommen, Flüchtlinge aufzunehmen. Ich sehe das nicht so negativ wie viele andere. In einer globalen Welt kann man den Traum vom ethnisch homogenen Nationalstaat nicht mehr träumen. Zudem wird auch der höchste Zaun irgendwann nachgeben, wenn der Druck zu groß wird. Und es sind die früh industrialisierten, die reichen Gesellschaften genau für die Probleme verantwortlich, unter deren Folgen die anderen nun zunehmend leiden. Deshalb haben wir die Verpflichtung, auf das Flüchtlingsproblem anders als mit Abschottung zu reagieren.



Abendblatt:

Wie sieht die Friedenspolitik bei Klimakriegen aus?

Welzer:

Selbst mit dem besten Klimaschutz wird es uns nicht mehr gelingen, das Problem zu beseitigen.


Wir können es höchstens abbremsen und sollten alles dafür tun. Aber vor allem müssen wir uns intensiv Gedanken machen, wie wir mit den Folgen umgehen. Das betrifft auch sicherheitspolitische Fragen. Nehmen Sie die Asylproblematik: Es gibt den Begriff des Klimaflüchtlings rechtlich gar nicht. Was fängt man mit den Leuten des untergehenden Inselstaates Tuvalu an? Sie haben als Volk in Australien Asyl beantragt. So etwas ist noch nie passiert, ist rechtlich nicht vorgesehen.


Abendblatt:

Brauchen wir global andere politische Strukturen?

Welzer:

Was man mindestens braucht, ist so etwas wie ein internationaler Umweltgerichtshof, ähnlich dem Uno-Gerichtshof für Menschenrechte in Den Haag. Man müsste das Völkerstrafrecht um Umweltverbrechen erweitern und die Fragen von Asyl für ganze Völker klären. Aber all das hängt von den Nationalstaaten ab, ob sie solche internationalen Gremien anerkennen oder nicht.



Abendblatt:

Wie vermeiden Sie Fatalismus?

Welzer:

In unseren reichen Gesellschaften ist Fatalismus schon deshalb nicht angebracht, weil wir jede Menge Handlungsmöglichkeiten haben im Vergleich zu den stark betroffenen armen Ländern mit fehlender Staatlichkeit. Wir sind nicht aufs Reagieren beschränkt, können vorbeugend handeln. Das sind wir den nachfolgenden Generationen schuldig.



Abendblatt:

Haben Sie Kinder?

Welzer:

Ja, einen 14-jährigen Sohn.



Zum Weiterlesen:

"Klimakriege - Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird", Harald Welzer, S. Fischer Verlag, 321 S., 19,90 Euro