Rund 170 Arten sind dem Parasiten in den vergangenen zehn Jahren schon zum Opfer gefallen, 1900 sind von der Ausrottung bedroht.

Berlin. Ein dramatisches Artensterben alarmiert Wissenschaftler und Naturschützer: Frösche und Kröten verschwinden in bisher nicht gekanntem Tempo vom Globus. 6158 Amphibienarten gibt es nach neuesten Zählungen auf der Welt, ein Drittel davon gilt inzwischen als bedroht. Artenschützer befürchten, sehr viele Amphibien-Arten könnten für immer von der Erde verschwinden. Vor allem eines bedroht die Amphibien weltweit: Chytrid, eine Hautpilz-Erkrankung, die fast immer zum Tod führt. Bis zu 170 Arten sind dem Parasiten in den vergangenen zehn Jahren bereits zum Opfer gefallen, weitere 1900 sind Schätzungen zufolge durch den Chytrid von der Ausrottung bedroht.

"Das ist ein Beispiel für eine Krankheit, die eine ganze Tierart befällt, etwa alle Säugetiere, alle Vögel oder alle Fische", erklärt der Herpetologe Joseph Mendelson vom Zoo in Atlanta. Gemeinsam mit Wissenschaftlern aus aller Welt berät er noch bis zum Freitag über Rettungsmaßnahmen.

Rasend schnell breite sich der Pilz unter bestimmten Arten aus, erzählt der Biologe Michael Veith. Der Deutsche lehrt an der Universität in Amsterdam Tiersystematik und Biogeografie und beschäftigt sich unter anderem mit dem Verschwinden der Amphibien. Infiziert der Pilz erst einmal ein Tier, wächst er auf der feuchten Amphibienhaut und verstopft dort die Poren. Frösche und Kröten atmen nämlich durch ihre Haut und ersticken, wenn der Chytrid-Pilz sie verstopft. Auch in Spanien und Frankreich wurde der Parasit bereits entdeckt, vermutlich hat er Deutschland auch schon erreicht.

Wie schnell diese Pilzinfektion eine Art ausrotten kann, zeigt die Goldkröte in den Nebelwäldern Costa Ricas. Wie ein riesiges Meer von Farbtupfern sah dort früher der dämmrige Waldboden aus, wenn die fünf Zentimeter langen, gold-orange-farbenen Männchen auf der Suche nach Weibchen unterwegs waren. 1987 zählten die Forscher noch 1500 dieser Goldkröten, 1988 und 1989 entdeckten sie dann jeweils genau eine einzige Goldkröte. Seither gilt die Art als verschollen, berichtet Michael Veith. Vermutlich ist die Goldkröte Opfer des Chytrid-Pilzes.

Die Infektion trifft vor allem Arten, die an Flüssen und Bächen leben. Eines der prominentesten Opfer sind die Harlekinfrösche, die in den mittleren Höhen der Anden Südamerikas zu Hause sind. Viele Arten dieser Harlekinfrösche sind endemisch, sie kommen also nur in einem sehr kleinen Gebiet, einem Andental oder einem Bergkessel und sonst nirgendwo auf dem Globus vor. Erreicht der Pilz eine solche Population, löscht er schnell eine Art vollständig aus. Auf diese Weise sind bereits viele Harlekinfrösche ausgerottet worden, berichtet Michael Veith.

Wie aber kommt der Pilz zu den Fröschen? Dazu gibt es verschiedene Theorien. Bei einer davon fällt der Verdacht sogar auf die Forscher selbst. Bekannt ist, dass der Pilz in Form extrem widerstandsfähiger Sporen im Schlamm eines Gewässers eine Zeit lang überleben kann, ohne dass er auf der Haut eines Amphibiums wächst.

Stapfen Wissenschaftler auf der Suche nach ihrem Forschungsobjekt durch diesen Schlamm, bleiben neben dem Matsch dann manchmal wohl auch Pilzsporen an den Gummistiefeln hängen. Ein paar Tage später ist der Forscher dann vielleicht in einer ganz anderen Weltgegend weiteren Amphibien auf der Spur und hinterlässt dort unwissentlich die fatalen Pilzspuren mit seinen Stiefelabdrücken im Schlamm.

Manchmal haben Forscher eine Froschart gerade neu entdeckt, erzählt Michael Veith. Zwei oder drei Jahre später kommen sie zurück, um die neue Art weiter zu untersuchen - und finden kein einziges Tier mehr vor: Wenn sie beim ersten Besuch unwissentlich Chytrid-Sporen hinterlassen haben, kann der Pilz in der Zwischenzeit die Art völlig ausgerottet haben.

Forscher kennen inzwischen eine ganze Reihe von Arten, die nicht nur in Südamerika dem Pilz zum Opfer gefallen sind: 85 Prozent des gelbbeinigen Bergfrosches im kalifornischen Yosemite-Nationalpark sind inzwischen von dem Pilz befallen, auch Salamander und andere Kröten sind dort bedroht, berichtet Joseph Mendelson aus Atlanta. Auch in Japan ist der Pilz inzwischen angekommen, in Australien rafft er schon länger die Amphibien-Populationen dahin.

Sterben die Frösche und Kröten aus, verändert sich aber auch das Ökosystem erheblich. So fangen Amphibien oft Insekten, die kein anderes Tier sonst anrührt. Ohne Frösche und Kröten könnten also Insektenplagen drohen, die auch die Ernten in bestimmten Weltregionen vernichten könnten. Immerhin - alle Frösche und Amphibien dürfte der Chytrid-Pilz nicht ausrotten, er befällt augenscheinlich nur bestimmte Arten.

In Mitteleuropa starb übrigens vor rund 150 Jahren schon einmal eine große Tiergruppe nahezu vollständig aus, die Edelkrebse. Auch sie wurden damals von einem Pilz dahingerafft, der ursprünglich mit anderen Krebsen aus Amerika in die Alte Welt gebracht wurde. Einen ähnlichen Verbreitungsmechanismus befürchten Forscher auch für den Chytrid-Pilz. Der befällt nämlich in Afrika ebenfalls sehr viele Amphibien-Arten. Diese Arten aber überstehen die Infektion unbeschadet, weil sie sich vermutlich an den Erreger angepasst haben.

Eine dieser Amphibienarten erlebte seit den 1940er-Jahren eine Art Weltkarriere. Der Krallenfrosch Xenopus laevis wurde zunächst als lebender Schwangerschaftstest in alle Welt exportiert: Injiziert man den Tieren den Urin einer Frau, lassen bestimmte Hormone im Urin die Eier im Frosch reifen, wenn die Frau schwanger ist. Später war der Krallenfrosch ein sehr beliebtes Versuchstier in den Biotechnologie-Labors überall auf der Erde.

Xenopus laevis infiziert sich zwar mit dem Chytrid-Pilz, erkrankt jedoch nicht. So könnte ein Versuchstier unwissentlich eine für viele Amphibien tödliche Krankheit über die gesamte Welt verbreitet haben.