In Mexiko reicht der Mais nicht mehr. Und in Deutschland wird wegen des Booms bei Bio-Diesel die Margarine teurer. Der Klimaschutz und seine Folgen . . .

Hamburg. Im Volk der Mexikaner macht sich Unruhe breit: Der Mais wird knapp - und damit teuer. Binnen weniger Wochen verdoppelte sich der Kilopreis für Tortillas, das tägliche Grundnahrungsmittel vor allem der armen Schichten, auf umgerechnet 75 Euro-Cent. Die Ursache liegt beim nördlichen Nachbarn USA: Dort werden immer mehr Autos von Ethanol-Sprit angetrieben. Und Ethanol gewinnt man aus Mais. Nach dem Motto "In den Tank statt auf den Teller".

In Mexiko zeigt sich besonders krass, was sich auch in anderen Teilen der Welt - Deutschland eingeschlossen - zu entwickeln beginnt: die Verdrängung von Nahrungspflanzen durch den Anbau von Energiepflanzen. Die Nachfrage nach Letzteren schnellt in die Höhe, seit sich herumgesprochen hat, dass man damit nicht nur das Klima schützen, sondern auch Geld verdienen kann. Doch was der Umwelt und den Bauern nützt, kann sich alsbald auch hierzulande beim Verbraucher niederschlagen.

Eine "Aufbruchstimmung in den Agrarmärkten" registriert Olaf Zinke von der Zentralen Markt- und Preisberichtsstelle (ZMP) der Land- und Ernährungswirtschaft. Er sieht einerseits bessere Absatzchancen für deutsche Bauern, andererseits aber auch ein höheres Risiko von Preisschwankungen sowie drastisch steigende Kosten der Landwirte. Sie müssen mehr Geld für Energie, Futtermittel und andere Betriebsstoffe hinblättern. Und sie müssen mehr Pacht für die Ackerflächen zahlen. Denn diese sind inzwischen in Deutschland heiß begehrt: Auf ihnen lassen sich Brennstoffe großziehen, für die der Staat Garantiepreise eingeführt hat.

Die zunehmende Konkurrenz zwischen Lebensmitteln und Energieträgern zeigt sich am deutlichsten beim Raps, Grundstoff für Bio-Diesel und seit Januar grünes Beiprodukt im Mineralöl-Dieselkraftstoff. Nur noch ein Drittel der gelb blühenden Ölfrüchte wächst in Deutschland auf ehemaligen Stilllegungsflächen, zwei Drittel verdrängten andere Kulturen. Während der Preis für die Tonne Raps im Jahr 2005 noch um 200 Euro schwankte, lag er 2006 schon bei 240 Euro. Tendenz steigend. Kein Wunder dank großer Nachfrage - Deutschland ist der weltgrößte Produzent von Biodiesel.

Das flüssige Gold ist ein lohnendes Geschäft. "Die Preise für Rapsöl sind deutlich angezogen", sagt Katja Praefke, Sprecherin von Unilever in Hamburg. Der Lebensmittelkonzern spürt die zusätzliche Nachfrage der Treibstoffproduzenten, will aber auf den nun teureren Rohstoff nicht verzichten. Praefke: "Aufgrund seiner hervorragenden Eigenschaften hat Rapsöl nach wie vor einen hohen Anteil bei der Margarineherstellung. Wir werden deshalb zum ersten April die Preise für Margarine anheben. Zwar ist der Rapsölpreis nicht der einzige Faktor, er spielt aber eine erhebliche Rolle."

Das Hauptproblem des heutigen Biodiesels sei die Tatsache, dass ein Nahrungsmittel in Autotanks fließe, sagt Praefke. So sieht es auch Martin Hofstetter, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace: "Die Nutzung von Biomasse als Energieträger ist aus Klimaschutzgründen eigentlich zu begrüßen. Aber wir dürfen keine Nahrung zu Sprit verarbeiten. Derzeit gibt es eine ganz fiese Entwicklung, die dazu führt, dass wir in Zukunft mit unseren Autos das Essen der Menschen in armen Ländern verfahren werden." Schon heute kann die Rapsernte in der EU die Nachfrage nicht mehr decken.

Zusätzlich treibe der Klimawandel die Lebensmittelpreise hoch, erklärt Hofstetter am Beispiel des Getreidemarktes. "In Australien - ein ehemals wichtiger Überschussproduzent - führten Dürreperioden bereits mehrfach zu schlechten Ernten." Hinzu komme der wachsende Bedarf der Bioethanol- und Biogas-Anlagen. Während der alternative Kraftstoff Ethanol in den USA aus Mais erzeugt wird, stammt er in Europa aus Roggen oder Weizen. Dafür fließen hiesige Maispflanzen zerhäckselt in mittlerweile mehr als 3000 Biogas-Anlagen.

An ihnen können Landwirte gleich dreifach verdienen: Für den Anbau von Energiepflanzen erhalten sie eine Prämie von 45 Euro pro Hektar. Jede aus Biogas erzeugte Kilowattstunde Strom wird, gestaffelt nach Anlagengrößen, zu einem Festpreis vergütet. Zusätzlich gibt es ein Bonussystem, das zum Beispiel jede verkaufte Kilowattstunde Wärmeenergie mit zwei Cent belohnt.

Derzeit leeren sich weltweit die Getreideläger, weil seit sieben Jahren mit einer Ausnahme die globale Nachfrage größer war als das Angebot. Die Weltbestände sanken von 450 Millionen auf 250 Millionen Tonnen. Zwar könnten mittelfristig durch den Klimawandel in nördlichen Breiten neue Anbauflächen entstehen, so Hofstetter, doch gebe es dort keine passende Infrastruktur.

Eine britische Studie erwartet bei einem globalen Temperaturanstieg von zwei Grad einen Rückgang der weltweiten Getreideernte um fünf Prozent. Der Sommer 2006 zeigte, dass auch Deutschland zu den Verlierern beim Klima-Roulette zählen könnte. Denn die Hitze setzte auch dem deutschen Getreide zu. Die weltweite Knappheit kam verschärfend hinzu - die Preise schossen um 40 Prozent in die Höhe. "Ein wichtiger Preistreiber ist inzwischen der Rohölpreis", sagt Greenpeace-Experte Hofstetter. "Diesen Zusammenhang beobachten wir seit einigen Jahren auf dem Zuckermarkt in Brasilien: Je nach Rohölpreis wird aus dem Grundstoff Zuckerrohr Zucker oder Ethanol hergestellt."

Teureres Getreide wirke sich zwar nicht gleich auf die Brotpreise aus, sagt Michael Schmitz, Professor am Institut für Agrarpolitik der Uni Gießen: "Der Anteil der Rohstoffkosten liegt nur bei vier bis fünf Prozent." Bei Fleisch schlügen gestiegene Rohstoffkosten schon eher durch, so Schmitz. Schließlich dient Getreide auch als Viehfutter. Schlechte Nachrichten auch für Deutschlands Biertrinker, denn die Brau-Gerste ist besonders knapp. Hier zeigt sich ebenfalls ein Verdrängungswettbewerb auf den Äckern. Die Anbaufläche für Brau-Gerste hat sich seit 1991 von damals mehr als eine Million Hektar nahezu halbiert.

Die deutschen Verbraucher werden den Wandel der Agrarmärkte tendenziell in der Haushaltskasse spüren. Wenn die Preise der Lebensmittelrohstoffe um 30 bis 40 Prozent steigen - diese Größenordnung halten Experten für realistisch -, dann kämen von diesem Anstieg über alle Produkte etwa fünf bis zehn Prozent an der Ladentheke an.

Zwar geben die Deutschen durchschnittlich nur zwölf Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus, doch in weniger entwickelten Ländern sind es 40 bis 80 Prozent. Mit Blick auf steigende Futtermittelpreise und den global wachsenden Fleischhunger prognostiziert Hofstetter: "In einigen Ländern wird Fleisch bei steigenden Preisen wieder zum Luxusgut werden." Solange dann die Rückbesinnung auf eine traditionelle vegetarische Ernährung möglich ist, mag das Problem überschaubar bleiben.

Die aktuelle Entwicklung in Mexiko lässt jedoch Böses ahnen: "Wenn ich in meinen Geldbeutel schaue, weiß ich nicht, wie das bis nächste Woche reichen soll", seufzt Maria Teresa Dominguez nach einem Marktbesuch in Mexiko-Stadt. Die Tortilla-Krise rief nun Präsident Felipe Calderon auf den Plan. Eigentlich Anhänger einer liberalen Marktwirtschaft, setzte er sich mit Agrarunternehmern zusammen und handelte eine staatlich verordnete Obergrenze von umgerechnet 60 Euro-Cent pro Kilo Tortilla aus. Fürs Erste mag das die Mexikaner beruhigen, doch die Entwicklung vom Landwirt zum Energiewirt steht erst am Anfang.