Klimawandel: Fällt Europas Fernheizung bald aus? Forscher wissen, was dann passieren würde . . .. Krüppelbirken statt Apfelbäume, Rentiere statt Milchkühe - nur fünf Grad weniger hätten dramatische Auswirkungen.

Berlin. Schneeschauer gehören im norwegischen Narvik auch im frühen Herbst und späten Frühjahr zum Alltag. Im Hochsommer klettert die Temperatur im Durchschnitt auf gerade mal 16 Grad Celsius, das sind ganze fünf Grad weniger als in Hamburg. Und während auf deutschen Märkten die Äpfel aus dem Alten Land angeboten werden, ist es im Hinterland von Narvik viel zu kalt für Obstbäume und Getreidefelder. An Stelle von Buchen und Eichen wachsen dort verkrüppelte Birken und der eine oder andere Nadelbaum.

Vielleicht sieht ja in einigen Jahren oder Jahrzehnten das Alte Land ähnlich aus wie heute die Umgebung von Narvik. Klimaforscher haben nämlich Hinweise gefunden, daß die Meeresströme schwächer werden, die Europa mit "Fernwärme" aus der Karibik versorgen. Noch funktioniert die "Warmwasserheizung" zwar, die hierzulande Obstbäume und im Süden Schottlands sogar Palmen wachsen läßt. Paradoxerweise könnte aber eben jener Treibhauseffekt, der andernorts die Temperaturen in die Höhe schießen läßt, Europa die Fernwärmeversorgung abstellen, befürchten Klimaforscher.

Zwar halten Spezialisten wie Detlef Quadfasel von der Hamburger Universität einen Totalausfall für wenig wahrscheinlich, ausschließen aber können sie ihn auch nicht. Man sollte sich also vorsorglich schon einmal Gedanken machen, was wäre wenn das große Bibbern kommt, fordert der Forscher daher.

Das immerhin wissen die Klimaforscher recht gut: Die warmen Meeresströme aus der Karibik liefern Europa genug Heizenergie, um die Temperaturen vier oder fünf Grad über das für diese Breitengrade übliche Niveau anzuheben. Wissenschaftler formulieren das ein wenig anders und erklären, daß die warmen Strömungen die Klimazonen der alten Welt um rund 1500 Kilometer nach Norden schieben. Ohne diese Heizung hätte Hamburg also ungefähr die gleichen Temperaturen wie Narvik heute, das gut 1500 Kilometer weiter nördlich liegt. Statt der Äpfel könnten die Bauern im Alten Land also allenfalls Brennholz von den Krüppelbirken ernten und ein paar Beeren sammeln. Auch Getreidefelder gäbe es nicht mehr, und die Kühe müßten sich ein dickes Fell zulegen, zeigt ein Blick über den Atlantik: In Kanada wachsen auf dem gleichen Breitengrad, auf dem Hamburg liegt, nur noch Moose und Flechten in den Kältesteppen des Nordens. Weil dort die Warmwasserheizung des Golfstroms schon immer fehlt, weiden statt Kühen dort die rentier-ähnlichen Karibus in der Tundra.

Auch in Europa gab es solche Kälteepisoden vor nicht allzu langer Zeit: Zwischen 1550 und 1850 sorgte zum Beispiel die "kleine Eiszeit" für recht kalte und lange Winter. Schuld war an dieser Abkühlung allerdings nicht der Golfstrom, sondern die Sonne: Sie strahlte weniger Energie in Richtung Erde und hatte auch deutlich weniger Sonnenflecken als heute. 300 Jahre lang sollten die Temperaturen rund ein Grad niedriger liegen als in den Jahrhunderten davor.

Das klingt wenig, hatte aber dramatische Auswirkungen: In den Alpen waren die Gletscher auf dem Vormarsch und begruben Höfe unter sich. Aber auch im Flachland machten die langen und harten Winter den Bauern erheblich zu schaffen. Hatten doch Getreide und Gemüse deutlich weniger Zeit zum Wachsen und Reifen, wenn sich manchmal bis in den Juni hinein das Eis auf den Seen hielt. Obendrein waren die Sommer kühler und feuchter als heutzutage, mehr als einmal verfaulte daher die Ernte auf den Feldern oder reifte vor dem nächsten Wintereinbruch erst gar nicht aus.

Die strengen Winter ließen auch die Gewässer viel häufiger zufrieren als heutzutage. Der Bodensee diente damals im Winter oft als feste Verbindung zwischen Deutschland und der Schweiz. Aus dieser Zeit stammen auch die Bilder holländischer Meister wie Pieter Brueghel, die Winterlandschaften und Schlittschuhläufer auf den Kanälen zeigen, die heutzutage nur noch in extremen Ausnahmewintern zufrieren.

Eine Reihe schwerer Vulkanausbrüche schleuderte in der "kleinen Eiszeit" zusätzlich auch noch Schwefelsäurewolken in die hohe Atmosphäre, die das Klima weiter kühlten. Nach dem Ausbruch des Tambora 1815 in Indonesien gab es im Juli und August 1816 in Nordamerika kräftige Schneefälle, während in Mitteleuropa Nachtfröste im Hochsommer einen großen Teil der Ernte vernichteten. Meteorologen nennen 1816 seither das "Jahr ohne Sommer".

Ausgefallen war der Golfstrom und damit die Warmwasserheizung Europas in jenen Zeiten aber nicht. Wenn Klimaforscher ein Europa ohne Warmwasserheizung sehen wollen, müssen sie schon bis in die Eiszeit vor 100 000 bis 12 000 Jahren zurückblicken. Damals endete der Golfstrom viel weiter südlich als früher, und es war genau die vier oder fünf Grad kälter als heute, die man für ein Europa ohne Golfstrom auch diesmal wieder erwarten würde.

Die Auswirkungen dieser Abkühlung waren dramatisch. Statt der heutigen durchschnittlichen plus 0,3 Grad im deutschen Januar hätte ein Thermometer damals nur minus 20 Grad gezeigt. Die Gletscher rückten schließlich bis nach Hamburg und Berlin vor, in den anderen Regionen Deutschlands gab es an Stelle von Wäldern und Wiesen eine Kältesteppe, wie sie heute im Norden Kanadas und Sibiriens zu finden ist.

"Auch in Warmzeiten wie heute aber kann es schlagartig kälter werden", berichtet Frank Sirocko von der Mainzer Universität. Vor 118 000 Jahren begannen in Nordamerika nach einer langen Wärmeperiode die Gletscher wieder zu wachsen und drängten anscheinend den Golfstrom rasch nach Süden ab. Was dann passierte, konnte der Mainzer Forscher aufdecken, als er die Ablagerungen aus jener Zeit in einem Maar in der Eifel untersuchte: In weniger als 20 Jahren wurde es um etliche Grad kühler. Fehlt der Golfstrom, verdunstet aus dem kühlen Wasser des Atlantiks auch weniger Wasser. In Europa wird es also nicht nur kälter, sondern auch trockener, und die üppige Eifellandschaft verwandelt sich in eine Kältesteppe ohne Bäume. Winzige Stückchen verkohlten Holzes und Staubkörner zeigen, daß damals Brände die vertrocknenden Wälder verzehrten, Staubstürme fegten über die Eifel.

Ähnliches könnte in wenigen Jahren wieder passieren, wenn die Warmwasserheizung der alten Welt tatsächlich stocken sollte.