Neue Studien: Der Welt-Energieverbrauch wird sich bis Mitte des Jahrhunderts verdreifachen. Dann könnte die Hälfte davon aus erneuerbaren Quellen stammen, wenn . . .

Hamburg. Auf dem Weg zur Autotür löst ein routinemäßiger Handgriff die Steckverbindung zum Wasserstoff-Tank. Nach dem Starten setzt sich der Wagen fast geräuschlos in Bewegung - angetrieben von einem Elektromotor mit Strom aus einer Brennstoffzelle. Der Nachbar zur Linken speist die Batterie seines Elektroautos tagsüber mit Solarstrom vom Dach. Der Nachbar zur Rechten dagegen fährt noch ein "Fossil" - so nennt man Autos, die von Mineralöl angetrieben werden. In vielen Häusern des Viertels sorgen Holzpellet- oder Gas-Heizungen für wohlige Wärme und produzieren nebenbei Strom. Andere, die "Plusenergiehäuser", kommen ganz ohne konventionelle Heizung aus.

So oder so ähnlich könnte unsere Energieversorgung in 30 oder 40 Jahren aussehen. Es ist eine Momentaufnahme eines Jahrzehnte andauernden Ausstiegs aus den endlichen Energieträgern Kohle, Öl und Gas. Denn eine zukunftsfähige Energieversorgung entsteht nicht, indem an einigen wenigen Stellen medienwirksam große Hebel umgelegt werden, sondern in vielen kleinen Schritten: Die Energiezukunft wird aus einem Mosaik von unterschiedlichen Techniken bestehen, die entweder erneuerbare Energien wie Wind, Sonne, Wasserströmung oder Pflanzenmasse nutzbar machen oder übergangsweise die fossilen Brennstoffe weit besser verwerten, als dies derzeit geschieht.

Der Shell-Konzern zeichnet zwei Szenarien der Energieversorgung im Jahr 2050: Das erste heißt "Revolutionärer Umbruch" und wird angetrieben durch die schnelle Verbreitung neuer Technologien in einer Gesellschaft, die nach Freiheit und Mobilität strebt. Das zweite Szenario, die "Evolutionäre Entwicklung", setzt vor allem auf die Weiterentwicklung der konventionellen Energieträger, also auf Techniken, die die eingesetzte Energie deutlich effizienter nutzen. Laut Shell wird sich der Welt-Energieverbrauch in den nächsten 50 Jahren verdreifachen. Um 2020 werden einige erneuerbare Energien volle Wirtschaftlichkeit erreicht haben. Die fossilen Energieträger werden ihren Höhepunkt zwischen 2020 und 2030 haben. Um 2050 könnte der Anteil erneuerbarer Energien bis zu 50 Prozent betragen.

Wie werden die Kraftwerke der Zukunft aussehen? Die Stromproduktion wird kleinräumiger. Viele kleine, dezentrale Stromproduzenten könnten vernetzt und als ein "virtuelles Kraftwerk" gemeinsam elektronisch gesteuert werden. Nicht zuletzt die Nutzung der erneuerbaren Energien erfordert dezentrale Strukturen, denn Wind, Wasser und Sonne sind nicht an einen zentralen Standort gebunden.

Die wichtigste unendliche Stromquelle in Deutschland ist heute die Windkraft. Ihr Anteil am Strommix beträgt gut vier Prozent. 15 bis 20 Prozent seien möglich, betont Fritz Vahrenholt, Chef des Windanlagenherstellers Repower. Die Nutzung der Wasserkraft durch das Gefälle von Flüssen ist ohnehin ein "alter Hut"; sie liefert derzeit 3,5 Prozent des deutschen Stroms. Da Deutschland eher flach ist, wird die Wasserkraft hierzulande aber kaum zulegen.

Das gilt auch für die Küsten und die verschiedenen Ansätze, Strom aus dem Meer zu gewinnen. 1967 ging bei St. Malo (Frankreich) das erste Gezeitenkraftwerk in Betrieb, weitere folgten. Ein neuer Ansatz sind Strömungskraftwerke - das erste, eine britisch-deutsche Kooperation mit Wissenschaftlern der Universität Kassel, nahm 2003 an der Küste Cornwalls die Arbeit auf: Ähnlich wie Windrotoren an Land werden riesige Rotoren von Meeresströmen angetrieben. Und der norwegische Stromkonzern Statkraft will zukünftig in "Osmose-Kraftwerken" sogar die Energie nutzen, die der unterschiedliche Salzgehalt von Süß- und Meerwasser an Flußmündungen in sich birgt.

Die größte Energiequelle für die Erde ist die Sonne. Die Stromproduktion mittels Sonnenlicht (Photovoltaik) hat riesige Fortschritte gemacht, ist aber teuer - der deutsche Vergütungssatz für Solarstrom liegt bei 50 Cent für die erzeugte Kilowattstunde (kWh). Techniker arbeiten fieberhaft daran, die Kosten weiter zu senken. Dennoch wird der Solarenergie auch in 20 Jahren nur mit wenigen Prozent zur deutschen Stromversorgung beitragen.

Die Stromproduktion aus Erdwärme steht noch am Anfang. Theoretisch gibt es ein riesiges Potential, das den deutschen Strombedarf decken könnte. Zur Stromproduktion müßten Wasseradern von 100 Grad Celsius und mehr angezapft werden. Diese Temperatur ist in großen Teilen Deutschlands in 3000 Meter Tiefe zu finden. Das erste Geothermie-Kraftwerk ist seit Ende 2003 am Netz: Im mecklenburgischen Neustadt-Glewe nutzt die Anlage 97 Grad heißes Wasser in 2250 Meter Tiefe.

Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien am deutschen Strommix von heute 9,3 Prozent bis zum Jahr 2020 auf 20 Prozent wachsen zu lassen. Manche Experten halten dies für unrealistisch, auch Alfons Kather von der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Er sagt voraus, daß Kohlekraftwerke ihren heutigen Anteil am deutschen Strommix von rund 50 Prozent mindestens behalten und Gaskraftwerke zulegen werden.

Damit dies halbwegs klimaschonend geschehen kann, müssen alte Kraftwerke durch moderne Anlagen mit einem wesentlich höheren Wirkungsgrad ersetzt werden. Diese sollten mehr als die Hälfte der eingesetzten Energie in Strom umwandeln (heutige Kraftwerke schaffen nur ein Drittel). Ein zweiter Ansatz sind Kohlekraftwerke, die kein Kohlendioxid (CO 2) ausstoßen: Bei der Verbrennung freiwerdendes CO2 könnte im Abgasstrom abgetrennt oder durch Chemikalien gebunden werden. Verschiedene Verfahren sind erprobt, aber noch nicht im Einsatz; sie verursachen höhere Kosten und reduzieren den Wirkungsgrad.

Auch Heizungen sollten die eingesetzte Energie besser nutzen und zum Beispiel neben Wärme auch Strom produzieren (Wärme-Kraft-Kopplung). Erste Mini-Kraftwerke für den Keller, die Gas verbrennen, sind auf dem Markt. In wenigen Jahren sollen Brennstoffzellen-Heizgeräte hinzukommen. Gespeist mit vorbehandeltem Erdgas und kaum größer als eine Waschmaschine, können sie Ein- und Mehrfamilienhäuser versorgen. Diese stationäre Anwendung gilt als Tor zur Wasserstoffwelt, denn der Wasserstoffantrieb für Fahrzeuge ist deutlich aufwendiger.

Beim Heizen spielt die Architektur eine große Rolle: "Plusenergiehäuser" kommen ohne Heizung aus, indem sie die Sonneneinstrahlung optimal nutzen und so gut verpackt sind, daß die Raumwärme im Haus bleibt. Einen Teil der Hausheizung können Solarkollektoren übernehmen. Mit einer Fläche von rund vier Quadratmetern kann in einem Durchschnittsgebäude ein Vierpersonenhaushalt über das Jahr zu 60 Prozent mit warmem Wasser versorgt werden, größere Anlagen unterstützen zusätzlich die Heizung. Derzeit wächst die Kollektorfläche in Deutschland jährlich um 700 000 Quadratmeter.

Seitdem der Mensch gelernt hat, Feuer zu machen, liefern Holz und andere Pflanzen nachwachsende Nutzenergie. Im heutigen Sprachgebrauch heißen sie Biomasse und werden ergänzt durch Gülle oder organische Abfälle. Das niedersächsische Dorf Jühnde will beweisen, daß es seinen Energiehunger ausschließlich mit der Biomasse stillen kann, die es selbst anbaut. Das Herz wird eine Biogasanlage sein, die die Landwirte mit eigens auf 150 Hektar angebauten Energiepflanzen und mit Gülle beliefern. Ein Blockheizkraftwerk produziert aus dem Gas Wärme sowie 3,5 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr - deutlich mehr, als die 765 Bewohner von Jühnde verbrauchen.

Ein Nachteil der Biomasse ist ihr Flächenbedarf: Er ist etwa hundertfach größer als der von Wind, Sonne oder Braunkohle. Dafür eignet sich die Energie vom Acker gut als Treibstoff für Fahrzeuge. Nach Plänen der EU sollen 2010 sechs Prozent des Kraftstoffbedarfs durch Biosprit gedeckt werden. Die Zahl zeigt, daß Mineralöl den Fahrzeugantrieb vorerst weiter dominieren wird.

Zusätzlich wird der Anteil von Erdgasfahrzeugen wachsen. Dagegen stehen der Serienreife von Wasserstoffautos noch technische Hürden im Weg. Es fehlt vor allem an einer brauchbaren Speichertechnik: Die Verflüssigung von Wasserstoff bei minus 250 Grad Celsius kostet viel Energie, etwa 25 Prozent des Energiegehaltes des Wasserstoffs. Das Komprimieren für Druckgastanks schluckt etwa 20 Prozent.

Das größte ökologische Manko des Wasserstoffs aber ist, daß er heute fast ausschließlich aus Erdgas erzeugt wird. Er ist aber nur dann zukunftsträchtig, wenn erneuerbare Energien die Produktion übernehmen - über den energieaufwendigen Umweg einer Zerlegung von Wasser mit Strom (Elektrolyse). Axel Friedrich, Leiter des Bereichs Umwelt und Verkehr beim Umweltbundesamt, plädiert dafür, den wertvollen Ökostrom lieber ins Netz zu speisen, anstatt ihn durch Umwandlungsverluste bei der Produktion von Wasserstoff zu vergeuden: "Nach Berechnungen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt lohnt es sich frühestens in 40 Jahren, mit Ökostrom Wasserstoff herzustellen."

Manche Länder setzen auf die klimaneutrale Großtechnik der Kernkraftnutzung, halten sie für zukunftsträchtig. Doch steht dem die noch immer ungelöste Frage der Entsorgung der radioaktiven Abfälle gegenüber. Nicht die heutige Kernspaltung, sondern die Kernfusion könnte ein Stromproduzent der Zukunft werden. Sie befindet sich seit Jahrzehnten im - kostspieligen - Versuchsstadium. Auch Deutschland engagiert sich; in Greifswald entsteht derzeit ein großer Versuchsreaktor. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit mehreren Forschungszentren an den internationalen Kernfusionsprojekten maßgeblich beteiligt. Sie betont, die Fusion sei "eine Energieversorgungsoption für die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts und danach".