Der Kinofilm “Das Fremde in mir“ nimmt das Tabuthema auf. Stimmungskrisen nach der Geburt sind weit verbreitet. Manchmal sind sogar die Säuglinge in Gefahr, durch die Hand der eigenen Mutter zu sterben.

Eine junge Frau badet ihr Baby. Sie lächelt nicht, sie spricht nicht, und auch das Kind hält still und schaut seine Mutter unverwandt an. Immer tiefer senkt sie es, bis Ohren und selbst Augen und Mund unter die Wasserlinie geraten. Einen ewig scheinenden Moment lang betrachtet die Mutter es durch das Wasser hindurch wie durch Glas, während sich auf ihrem Gesicht Ungläubigkeit und Entsetzen spiegeln. Dann hebt sie es wieder aus dem Wasser.

Die gespenstische Szene stammt aus dem Kinofilm "Das Fremde in mir" von Emily Atef, der vor Kurzem in die Kinos gekommen ist. Er behandelt ein Tabu: Nahezu ein Fünftel aller Mütter und sogar manche Väter erkranken an einer Wochenbettdepression, einer "postpartalen Depression". Allein in Hamburg sind es jährlich 7000 Frauen, schätzt Kinder- und Jugendpsychiaterin Carola Bindt. Der zwanghafte Gedanke, dem eigenen Kind Schaden zufügen zu müssen, ist ein häufiges Symptom. "Die postpartale Depression ist eine unerkannte Volkskrankheit", sagt Bindt. Die Spezialistin für Stimmungskrisen nach der Geburt ist Leitende Oberärztin am UKE und am Altonaer Kinderkrankenhaus.

Ute Meyer (Name geändert), kaufmännische Angestellte aus Eppendorf, empfand nach der Geburt gar nichts für ihre Tochter. "Ich konnte keinen Kontakt zu ihr aufnehmen", erzählt die 43-Jährige. "Die anderen Frauen kuschelten und lachten mit ihren Babys, ich konnte das nicht." Andere Mütter weinen viel oder schlafen nicht mehr aus Angst vor dem nächsten Stillen. Sie hegen Schuldgefühle und Aggressionen gegen ihr Baby. "Die Bandbreite ist groß", sagt Carola Bindt. "Sie reicht von Unwohlsein bis hin zu Selbstmordgedanken."

Kaum jemand macht sich Gedanken, wenn eine frischentbundene Frau traurig ist. Der Babyblues, die Heulkrise in den ersten Tagen nach einer Geburt, erwischt fast jede zweite Mutter. "Es ist bequem, so eine Krise mit der Hormonumstellung zu erklären", sagt Carola Bindt. Der Babyblues verschwindet meist von allein. Nur ist die Grenze zur Wochenbettdepression so fließend, dass häufig niemand merkt, wenn eine Betroffene Hilfe braucht. Etwa drei von tausend Müttern entwickeln sogar eine Wochenbettpsychose. "Diese ist auch deshalb schwer zu erkennen", so Bindt, "weil sich die Frauen nach der Geburt ohnehin verändern." Die wenigsten jungen Eltern sind darauf vorbereitet, wie gründlich eine Geburt Gewohnheiten über den Haufen wirft. Bis das Baby den Tag-Nacht-Rhythmus gelernt hat, schläft auch die Mutter nur häppchenweise. Neugeborene haben zu willkürlichen Zeiten Hunger, Angst oder Bauchweh. Dagegen weinen Babys depressiver Mütter wenig. Sie imitieren die Stimmungslage der Mütter, werden scheinbar pflegeleicht. "Das Kind kann nicht lernen, was Gefühle bedeuten", sagt Bindt. So gefährdet die Depression der Mutter die kindliche Entwicklung. Wenn Ute Meyer als Kind zu ihrer Mutter ging, wusste sie nie, ob diese mit ihr kuscheln oder sie barsch wegschicken würde. Das Mädchen zog den Schluss: "Wenn ich Liebe zeige, werde ich abgelehnt." Also behielt sie ihre Gefühle jahrzehntelang für sich. Ein paar Wochen nach der Geburt kam Meyers Mutter zu Besuch und übernahm das Regiment in der Familie. "Als sie wieder weg war, ging es erst richtig bergab. Ich dachte, ich sterbe, wenn mir nicht sofort jemand hilft."

"Kindheitserfahrungen mit der eigenen Mutter rücken vielen Frauen nach der Geburt besonders nahe. Das kann ein Auslöser sein", sagt Bindt. "Es spielt aber auch eine Rolle, ob eine Frau sich von ihrem Partner alleingelassen fühlt oder Geldsorgen hat. Frauen, die sich bisher über ihre berufliche Leistung definierten, können sich entwertet fühlen, wenn es plötzlich um wenig messbare Dinge geht wie Stillen, Wickeln und Trösten. Mit hinein spielt auch, wenn etwa das Kind ungewollt oder die Entbindung traumatisierend war. Die Hormonumstellung nach der Geburt ist also nur ein Faktor unter vielen.

"Um Hilfe zu bekommen, muss die Frau erkennen, dass ihr Leiden behandelt werden kann", sagt Bindt. "Von sich aus geht keine Frau zum Psychiater. Der Kinderarzt oder Gynäkologe müsste sie fragen, wie es ihr geht, und sie dann weitervermitteln. Da ist noch viel Aufklärungsbedarf."