Joghurts, Käse, Schokoriegel oder Babybreis - immer mehr Lebensmittel mit Probiotika, sind auf dem Markt. Forscher erkunden, wie sie dem Magen-Darm-Trakt guttun.

Mikroben im Joghurt, Keime im Käse, Bakterien im Babybrei: Was nach einem großen Lebensmittelskandal klingt, ist Teil der boomenden Wellness-Euphorie. Joghurts, Käse, Schokoriegel, Babybreis und Ergänzungspräparate: Immer mehr Lebensmittel enthalten Probiotika - gute Bakterien, ähnlich denen, die im menschlichen Verdauungstrakt nützliche Arbeiten verrichten. Als ähnlich gesund werden die neueren Präbiotika vermarktet: Statt der Keime enthalten sie Nährstoffe, an denen sich die guten Bakterien im Magen-Darm-Trakt laben sollen.

Die Nachfrage nach gesunden Lebensmitteln wächst weltweit. Der Trend, der in Europa und Asien schon seit Jahren auf dem Vormarsch ist, ist auch auf die USA übergeschwappt. Nun holt Amerika auf: Kamen dort im Jahr 2005 erst 40 pro- oder präbiotische Produkte auf den Markt, so waren es ein Jahr später schon 100 solche Artikel, wie der Marktforscher Tom Vierhile berichtet. In diesem Jahr kamen nochmals 140 dazu. "Das ist definitiv ein Wachstumsmarkt", konstatiert Vierhile.

In den Lebensmittelregalen der Supermärkte breiten sich die Produkte aus wie Keime auf einer Nährlösung. Auf den Verpackungen ködern sie die Kunden mit vagen, aber verlockenden Versprechungen wie "Fördert die Verdauung" oder "Stärkt die Abwehrkräfte".

Holly Maloney unterrichtet am Kendall College in Chicago Ernährung. Die 32-Jährige, die schon seit Langem Joghurt und Kefir liebt, schwört inzwischen auch auf probiotische Snacks. "Sie sorgen dafür, dass ich mich gesund fühle", sagt sie. "Wenn ich ein paar Tage darauf verzichte, fühle ich mich nicht gut."

Probiotika, so glauben manche Experten, können unter Umständen vielleicht tatsächlich nützlich sein. Zumindest richten sie vermutlich keinen Schaden an. Aber einer wissenschaftlichen Prüfung wurden bislang nur die wenigsten Probiotika unterzogen.

Das ändert sich gerade: Zunehmend erforschen Wissenschaftler die Rolle der Verdauungsbakterien für die Gesundheit des Menschen. Die nationalen US-Gesundheitsinstitute (NIH) wollen daraus sogar künftig einen ihrer Forschungsschwerpunkte machen. Weltweit prüfen derzeit etliche Studien die Rolle der winzigen Darmhelfer bei verschiedenen Erkrankungen.

So ergab eine kanadische Studie im November, dass fermentierte Milch mit Lactobacillus der Arten acidophilus und caseii verhindert, dass Patienten bei der Einnahme von Antibiotika Durchfall bekommen. Und ein Hafergetränk mit Bifidobacterium lactis fördert laut einer finnischen Untersuchung die Verdauung der Senioren in Pflegeheimen. Kalifornische Forscher ergründen gerade, ob Probiotika allergische Hautreaktionen bei Babys lindern, und israelische Wissenschaftler nehmen den Nutzen der Keime bei Lebererkrankungen unter die Lupe.

Die Resultate der Studien will die Wirtschaft nicht abwarten, sie nimmt das Ergebnis vorweg. Schon jetzt erzielen Probiotika weltweit einen Milliardenumsatz. Allein in den USA wurden im Jahr 2005 solche Produkte im Wert von 764 Millionen Dollar (etwa 520 Millionen Euro) verkauft. Der Betrag wird laut Marktforschern bis 2010 auf eine Milliarde Dollar (etwa 681 Millionen Dollar) steigen.

Verkaufsschlager zwischen Los Angeles und New York ist der Activia-Joghurt, der dem Danone-Konzern schon im Jahr seiner Einführung einen Umsatz von 100 Millionen Dollar bescherte. Inzwischen zog Konkurrent General Mills mit Yo-Plus nach. Andere Branchenriesen sind nicht untätig: Kraft brachte kürzlich den präbiotischen LiveActive-Käse heraus, Nestle die Babynahrung Good Start Natural Cultures.

Schon seit einigen Jahren beobachten Forscher die Rolle von Bakterien für die menschliche Gesundheit aus neuer Perspektive. Demnach tummeln sich im Verdauungstrakt Millionen guter Bakterien und sorgen dafür, dass böse Keime nicht überhand nehmen. Viele Ärzte glauben inzwischen, dass Krankheiten dann entstehen, wenn dieses Verhältnis aus dem Gleichgewicht gerät und üble Erreger die Kontrolle übernehmen. Dies passiere etwa bei entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder beim Reizdarmsyndrom, sagt der Gastroenterologe Sri Komanduri vom Universitätsklinikum Chicago. Entzündlichen Darmerkrankungen rückt der Facharzt mit probiotischen Pillen zu Leibe, in denen pro Tablette 450 Milliarden lebende Milchsäurebakterien stecken.

Menschen ohne Beschwerden rät Komanduri allerdings nicht zu einer solchen Keimkur. Generell betrachtet er die Probiotika-Welle mit Skepsis. Es gebe keinen Hinweis auf eine wohltuende Wirkung, betont der Mediziner. Dass Menschen wie Holly Maloney eine Wirkung spüren, erklärt er nicht mit den Bakterien, sondern mit einer anderen mächtigen Heilkraft: dem Placebo-Effekt.