Ein liebenswerter zerstreuter Professor, den auch im Ruhestand die Forschung so wenig loslässt wie seine klassische Gitarre.

Jülich/Hamburg. Der Anruf aus Stockholm erreichte Peter Grünberg beim Checken seiner E-Mails. Wie so oft saß der 68 Jahre alte Physiker in seinem Büro im Forschungszentrum Jülich bei Aachen. Heute sei er dort gewesen, "weil man ja weiß, dass der Anruf aus Stockholm gewöhnlich um 11.30 Uhr kommt", sagt er augenzwinkernd. Die Verbindung war schlecht, sein Festnetzanschluss war auf sein Handy umgestellt. Die gute Nachricht kam trotz des Rauschens an.

"Es ist eine große Ehre", kommentierte der frisch gekürte Nobelpreisträger, bevor er zwei Flaschen Sekt öffnete und mit seinen Kollegen anstieß. Die Flaschen lagen zufällig noch von der letzten Feier im Kühlschrank, Champagner gab es da noch nicht. Und auf sein geliebtes Sportprogramm wird der rüstige Forscher in den kommenden Wochen wohl verzichten müssen, der Trubel wird ihm dazu kaum Zeit lassen.

"Peter Grünberg ist ein Grundlagenforscher aus Leidenschaft. Etwas zu finden, was anwendbar ist, das war nicht sein Antrieb", sagte Joachim Treusch dem Abendblatt. Der heutige Präsident der Jacobs University Bremen war bis 2006 Chef des Forschungszentrums Jülich, mit 4400 Mitarbeitern eines der größten in Europa. Grünberg habe 1987 allerdings seinen Rat beherzigt, so Treusch, mit seiner Entdeckung erst zum Patentanwalt zu gehen, bevor er seine bahnbrechenden Erkenntnisse 1988 veröffentlichte.

Unabhängig voneinander hatten Grünberg und der nun mit ihm geehrte Franzose Albert Fert von der Universite Paris-Süd einen magnetischen Effekt entdeckt, mit dem riesige Datenmengen auf kleinsten Speicherflächen lesbar werden. Das war der Durchbruch zu Gigabyte-Festplatten, die heute in jedem PC im Einsatz sind (siehe Text unten).

Basierend auf den Erkenntnissen von Grünberg reichte der Jülicher Anwalt die Patentschrift ein - und damit hatten die Deutschen die Nase vorn. Sieben Jahre später floss die erste Euro-Million Patentgebühren. IBM kaufte die Rechte, weitere elf Firmen folgten. Heute basieren rund 90 Prozent aller Computer-Festplatten auf dem Effekt. "Das Patent war so umfassend, dass keine Firma es umgehen konnte", sagt Treusch, der bis heute stolz darauf ist, dass ihm dieser Coup gelungen ist. Das Patent gehört übrigens dem Forschungszentrum, Grünberg hat daraus seine Erfindervergütung bekommen. Das reicht für ein kleines Vermögen. "Wenn man drei Kinder hat, tut das schon ganz gut", sagt der Forscher verschmitzt.

Grünberg und Fert, die gemeinsame Publikationen schrieben und sich Auszeichnungen wie den Internationalen Preis für Neue Materialien der American Physical Society oder den israelischen Wolf-Preis teilen, verbindet eine Freundschaft. Albert Fert hielt sogar den Festvortrag, als Grünberg 2004, nach 32 Jahren am Forschungszentrum, offiziell in den Ruhestand verabschiedet wurde - genauer in den Unruhestand, denn er spielt nicht nur klassische Gitarre, sondern forscht immer noch.

Dass seine Entdeckung nun die weltweit höchste Auszeichnung erfährt, betrachtet Peter Grünberg eher gelassen, auch wenn ihn der Siegeszug schon mit Genugtuung erfüllt. "Ich hätte mir aber eigentlich gewünscht, dass ich im Bereich Energieeinsparung, im Bereich Umwelt eine Entdeckung mache oder etwas voranbringe", bekannte er 1998, als ihm Roman Herzog den Deutschen Zukunftspreis des Bundespräsidenten verlieh. Am Morgen danach, so erinnert sich Treusch, sei Grünberg im strömenden Regen mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren. Dort habe er ein ordentliches Fest für seine Mitarbeiter gegeben. "Er ist unglaublich bescheiden, und eher medienscheu", sagt Treusch. Man könnte den Physiker auch als Prototypen eines zerstreuten Professors betrachten. Kinder lieben ihn, sind hellauf von ihm begeistert. Immer noch hält er Vorträge im Schülerlabor des Forschungszentrums.

"Ich war bei dem Anruf heute Morgen total überwältigt", so der gerade geehrte Wissenschaftler selber. Er habe aber "insgeheim gehofft, diesen Preis einmal zu bekommen", räumt er freimütig ein, doch so richtig damit gerechnet habe er nicht: "Sonst hätte ich mir einen Schlips angezogen", sagte er gestern auf der Pressekonferenz in Jülich. Eigentlich ist diese Auszeichnung die letzte, die auf der langen Liste fehlte. Die Europäische Kommission und das Europäische Patentamt zeichneten den hartnäckigen Forscher, der sich auch von Rückschlägen nicht entmutigen lässt, im vergangenen Jahr als "Europäischen Erfinder des Jahres" aus. In diesem Jahr erhielt er die Stern-Gerlach-Medaille der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und den Japan-Preis.

Diese Karriere war Peter Andreas Grünberg nicht in die Wiege gelegt, das Interesse an Technik vielleicht schon. Denn er wurde am 19. Mai 1939 in Pilsen als Sohn eines Diplom-Ingenieurs geboren. Die Familie siedelte 1946 nach Lauterbach in Hessen um. Sein Physikstudium begann er in Frankfurt am Main, schloss es 1969 mit der Promotion in Darmstadt ab. Schon dort war ihm übrigens prophezeit worden, dass er mal den Nobelpreis gewinnen würde. Als er einmal zu besonders früher Stunde an der Hochschule erschien, sagte einer seiner Professoren: "Hallo, Herr Grünberg, so früh schon auf den Beinen? Das sind die künftigen Nobelpreisträger." Grünberg schildert die Anekdote schmunzelnd - und fügt hinzu: ",Wie richtig', dachte ich."

Von Darmstadt aus gingen die Grünbergs, die damals schon drei Jahre verheiratet waren, zunächst nach Kanada, kehrten 1972 zurück nach Jülich. Dort wurden auch die drei Kinder Andreas (1973), Sylvia (1974) und Katharina (1981) geboren. Grünbergs Frau Helma kümmerte sich nicht nur um die Familie, sondern arbeitete auch viele Jahre im Vorstand des "Internationalen Clubs" in Jülich.

Die Frage, warum er Physik studiert habe, beantwortete der humorvolle Forscher einmal so: "Ich habe mich schon immer gefragt, wie es wohl kommt, dass sich die Planeten um die Sonne drehen. Mein Physiklehrer hat mir erklärt, dass die Schwerkraft dafür verantwortlich sei und Newton diese Zusammenhänge herausgefunden hatte. Da habe ich beschlossen: Darüber möchte ich mehr wissen." Mit dem Nobelpreis, dessen kann man sich sicher sein, wird seine Forscherneugier nicht versiegen.