Hamburger und Dresdner Forschern ist es gelungen, infizierte Zellen vom Aidsvirus zu befreien. Eine von ihnen neu entwickelte sogenannte molekulare Schere macht's möglich.

Das ist ein entscheidender Durchbruch im Kampf gegen das Humane Immundefizienz Virus (HIV), das Aids auslöst. Erstmals ist es gelungen, eine HIV-Infektion rückgängig zu machen. Im Labor entfernten Wissenschaftler des Hamburger Heinrich-Pette-Instituts (HPI) und Forscher des Max-Planck-Instituts für Molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden das virale Erbgut aus infizierten Zellen. "Diese Ergebnisse eröffnen völlig neue Therapiestrategien gegen HIV und Aids. Es ist das erste Mal in der Geschichte dieser Pandemie, dass wir die Chance haben, infizierte Zellen wirklich zu heilen, indem wir das Virus aus diesen entfernen", sagt Prof. Joachim Hauber, der am HPI in Hamburg-Eppendorf die Abteilung für Zellbiologie und Virologie leitet. Er ist neben Dr. Ilona Hauber (HPI) und Dr. Indrani Sarkar sowie Dr. Frank Buchholz vom MPI-CBG in Dresden einer der vier Autoren der Publikation, welche das US-Wissenschaftsjournal "Science" heute veröffentlicht.

Es bedarf keiner prophetischen Kunst, um zu wissen: Diese Arbeit wird zu den großen wissenschaftlichen Leistungen des Jahres 2007 gezählt werden. Es war bisher ein ungeschriebenes Gesetz, dass das Erbgut von HIV, das sich in das menschliche Erbgut einbaut (s. Grafik), nicht entfernt werden kann. Alle Versuche dazu - und weltweit sind viele unternommen worden - sind in den vergangenen Jahren fehlgeschlagen.

"Ich war lange skeptisch, ob wir es schaffen können, schließlich hatten wir auch Rückschläge", sagt Dr. Ilona Hauber, die mit ihrem Mann - "wir ergänzen uns einfach prima" - diesen Meilenstein im Kampf gegen HIV und Aids setzte. Die Wissenschaftlerin, die für ihre Arbeit lebt, ist heute überglücklich. "Es ist ein absoluter Höhepunkt unserer Forschung."

Fünf Jahre haben die Hamburger und Dresdner Wissenschaftler lange Tage im Labor verbracht, Daten ausgewertet, Ergebnisse überprüft. Immer wieder haben sie neue Varianten einer maßgeschneiderten molekularen Schere, sprich Rekombinase, kreiert, um dem viralen Erbgut zu Leibe zu rücken. "Der Wunsch, den HIV-Infizierten zu helfen, treibt einen an", sagen die beiden Paten eines Aids-Waisenkindes in Afrika.

Im Februar konnten sie dann endlich ihre Ergebnisse an "Science" schicken. Vier Gutachten holte die Zeitschrift ein, bevor sie nur zweieinhalb Monate später beschloss, das Papier zu veröffentlichen. Seitdem herrschte Vorfreude an beiden Instituten.

Die Vision, virales Erbgut aus einer infizierten Zelle zu entfernen, gibt es seit Jahren. Molekularbiologen identifizierten bereits in den 1980er- Jahren natürlich vorkommende Eiweiße, sogenannte Rekombinasen, die zielgenau DNA-Abschnitte erkennen und spezifisch aus dem Erbgut herausschneiden können. Sie sind das Vorbild für alle molekularen Scheren. Die bekannteste ist die "Cre Rekombinase". Sie ist ein vielseitiges Werkzeug in der genetischen Forschung. Doch die "Cre" konnten die Dresdner und Hamburger Wissenschaftler nicht nutzen. "Denn die molekularen Zielstrukturen, die die Cre mit ihrer Arbeit beginnen lässt, gibt es im Bauplan des HI-Virus nicht", erläutert Joachim Hauber. "Der Weg von der Cre zu unserem Werkzeug, der ,Tre Rekombinase', war deshalb auch äußerst kompliziert", ergänzt Dr. Frank Buchholz, der in Dresden zusammen mit seiner Mitarbeiterin Dr. Indrani Sarkar diese Arbeit durchführte.

Das Problem lautete: Wie bringen wir einer molekularen Schere bei, wo sie ansetzen soll? Das Erbgut des Menschen ist in rund drei Milliarden chemischen Buchstaben, genauer Basen, geschrieben. Doch die neue Schere sollte nur genau die etwa 10 000 Basenpaare entfernen, die das HIV in das menschliche Erbgut stabil eingebaut hat. Auf keinen Fall, durfte sie die Gene der menschlichen Zelle zerschneiden.

Doch die Natur kam den vier Wissenschaftlern zu Hilfe: Denn am Anfang und am Ende dieser 10 000 Basenpaare steht immer genau die gleiche Abfolge an Basen. Diesen Abschnitt des viralen Erbgutes nennen die Forscher "Long Terminal Repeat" oder kurz "LTR". Die nach mehr als 120 Generationen molekularer Evolution gezüchtete Tre erkennt nun eine bestimmte Basenpaarabfolge im LTR-Abschnitt. Wie eine Schere trennt die Tre exakt den viralen Bauplan aus dem Erbgut der Zelle heraus.

Was so einfach klingt, bedurfte langjähriger intensiver Laborarbeit unter Einsatz modernster Techniken, wie der erwähnten molekularen Evolution und des Gene Shuffling. "Mit diesen eleganten biotechnologischen Methoden hatten wir endlich eine molekulare Schere an der Hand, mit der wir weiterarbeiten konnten", sagt Joachim Hauber. Diese Schere, die natürlich ein Eiweiß ist, musste nun getestet werden. Dafür setzten die Forscher erprobte Werkzeuge aus dem Baukasten der Molekularbiologie und Zellbiologie ein. Zuerst schleusten sie die genetische Information, die den Bauplan für die Tre enthielt, in den beliebtesten Mitarbeiter der Gentechniker ein: in das Bakterium Erichia Coli.

Und das war erst der erste Schritt. "Jetzt hatten wir zwar eine funktionelle Schere, aber die war bislang ausschließlich in Bakterien getestet worden. Eine nächste spannende Frage war nun: Wird diese Tre Rekombinase auch in HIV-infizierten Zellen funktionieren?", erklärt Ilona Hauber. Zunächst wurden menschliche Zellen mit HIV-1 infiziert. Danach wurde die Bauanleitung für die molekulare Schere in die infizierten Zellen eingeschleust. Tre müsste, wenn alles gutgeht, dann das virale Erbgut aus den Zellen wieder entfernen.

Das Warten begann. "Mitte vergangenen Jahres sahen wir dann endlich, dass sich etwas in den Zellkulturen tat", erzählt Ilona Hauber. Tag für Tag, Woche für Woche wuchs die Spannung, und nach etwa zehn Wochen war in den Zellkulturen keine virale DNA mehr nachweisbar. Ende September 2006 waren zum ersten Mal seit Beginn der Erforschung von HIV und Aids infizierte Zellen vom viralen Erbgut wieder befreit worden.

"Auch wenn noch sehr viel Entwicklungsarbeit zu tun bleibt", sagt Joachim Hauber, "geht es jetzt hauptsächlich darum, die Techniken zu verfeinern und eventuelle Nebenwirkungen auszuschließen, damit hoffentlich Infektionen mit HIV in einigen Jahren heilbar werden."