Archäologie: Ägyptens versunkene Schätze. Der französische Unterwasser-Archäologe Franck Goddio führt uns die Welt der Pharaonen vor Augen - zu bewundern im Berliner Gropius-Bau.

Jede der Kostbarkeiten aus den Tiefen des Meeres verleitet zum Träumen, zum Staunen. "Ägyptens versunkene Schätze" erzählen Geschichten vom Leben, Lieben, Arbeiten, Hassen und Glauben im alten Ägypten, die gleichwohl von bestechender Aktualität sind. Spätestens beim Betreten des letzten Saals wird jedem Besucher das vor Augen geführt: Eingehüllt in blaugrünes Licht und dem Blubbern der Tauchgeräte, steht man plötzlich sich selbst gegenüber. Wer bist du? scheint das Spiegelbild zu fragen, während auf einer überdimensionalen Leinwand imposante Trümmer einer versunkenen Welt auftauchen.

Der französische Unterwasserarchäologe Franck Goddio, den das US-amerikanische Wissenschaftsmagazin "Science" als Jacques Cousteau der Archäologie bezeichnete, barg diese Schätze in spektakulären Expeditionen aus dem Meer vor Alexandria und dem nahegelegenen Abukir. Knapp 500 dieser Kostbarkeiten, die teilweise 1300 Jahre unter meterdicken Schlickschichten im Meeresgrund schlummerten, werden der Öffentlichkeit zum ersten Mal im Martin-Gropius-Bau in Berlin präsentiert. Stelen mit Hieroglyphen, der älteste bekannte astrologische Kalender der Welt, Geschirr aus Gold, Sphinxe, Schöpfkellen, Kopfkeile oder die drei fast sechs Meter hohen Kolossalstatuen lassen 1500 Jahre ägyptische Geschichte aufleben - in einer sensationellen Ausstellung, die in jeder Hinsicht weltweit einzigartig ist.

Wer sie betritt, taucht in blaugrünes Licht und sphärische Musik ein, wandfüllende Unterwasserbilder dokumentieren die Bergung des Serapis-Kopfes, den die Taucher vor Kanopus gehoben haben - Staunen. Auf ungezählten Monitoren in den 16 Sälen dieser Ausstellung umschwärmen Taucher meist in trüben Wasser archäologische Kostbarkeiten, vermessen Grabungsorte, tragen mit Saugern meterdicke Sedimentschichten ab, fotografieren Fundstücke, kartieren ihre Lage, befestigen Bojen und Seile an ihnen, um sie nach gut 1300 Jahren aus ihrem nassen Grab zu bergen. Man muß nicht selber abtauchen, um von der Leistung von Goddios Team, das aus Geophysikern, Restauratoren, Tauchern, Konservatoren, Archivaren und Archäologen besteht, fasziniert zu sein.

Dabei findet viel Arbeit außerhalb des Wassers statt. Auch das erfährt man in der Ausstellung. Goddio betreibt umfassende Studien in Archiven, bevor er mit Unterwassergrabungen beginnt, und nutzt High-Tech-Methoden bei seinen Expeditionen. Er sucht den Meeresboden mit Geräten ab, die jede noch so kleine Unregelmäßigkeit im Erdmagnetfeld aufspüren können. Diese Nuklear-Resonanz-Magnetometer entwickelte das französische Ministerium für Atomenergie.

Bestätigen punktuelle geophysikalische Schürfungen und geologische Bohrungen die Ergebnisse der Magnetometer, dann geht es ab in die Tiefe. Mit dieser systematischen Vorgehensweise entdeckte Goddio in den vergangenen 20 Jahren allein 14 historische Schiffe - 1996 dann erste Teile des versunkenen Königsviertels von Alexandria und im Jahr 2000 die antiken Städte Kanopus und Heraklion in der Bucht von Abukir. Ihnen ist diese Ausstellung, die auf 3000 Quadratmetern von einem internationalen Team von Ausstellungsgestaltern verwirklicht wurde, gewidmet.

Heraklion sei ein archäologischer Fundort, wie es auf der Erde keinen anderen gibt, hat Goddio über seinen wohl spektakulärsten Fund einmal gesagt. Bis zum Jahr 2000 rankten viele Legenden um diesen Ort. Einige antike Texte berichteten von einer Stadt Heraklion, andere von Thonis . . . doch dann fanden die Taucher 2000 einen Schrein, einen "Naos" aus rosa Granit mit ausgewaschenen Hieroglyphen. Sie erzählten den Forschern die Sensation: Sie hatten das antike Heraklion entdeckt. Es sollte nicht der einzige Glücksmoment bleiben, wie die Ausstellung berichtet. Die Archäologen fanden eine Stele mit unglaublich gut erhaltenen Hieroglyphen. Diese verrieten ihnen, daß Heraklion und Thonis ein und dieselbe Stadt sind. Seitdem ist eines der großen Rätsel der Antike gelöst - die Zeugen stehen im mystischen Halbdunkel des Lichthofes des Gropius-Baus.

Dort ist zweifellos einer der zahlreichen Höhepunkte der Ausstellung, die 16 Säle umfaßt. Im Lichthof erlebt der Besucher eine archäologische Grabungsstätte im Tempelbezirk Heraklions. In ihm stehen auch die drei fast sechs Meter hohen und fünf Tonnen schweren Kolossalstatuen aus rosa Granit - ein Pharao, eine Königin und die Gottheit Hapi. Diese Statue des Fruchtbarkeitsgottes ist die größte freistehende Götterstatue, die bislang in Ägypten gefunden wurde.

"Ägyptens versunkene Schätze" entführen in eine andere Welt. Der gelungene Einsatz von Grafiken, Licht und Ton, informative Texte, Hörstationen und Zitate helfen, sie zu erkunden. Wer aus dieser Welt wieder auftaucht, kann auf einer Leinwand den Weg der versunkenen Schätze aus den Fluten in den Berliner Gropius-Bau verfolgen. Auf jeden Fall sollte man sich für diese Reise ins alte Ägypten und in die geheimnisvolle Unterwasserwelt mehr als eine Stunde Zeit nehmen.

Informationen zur Ausstellung: "Ägyptens versunkene Schätze", (www.aegyptens-versunkene-schaetze.org) bis 4. September, Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin;

Öffnungszeiten: So, Mo, Mi 10-20 Uhr, Do, Fr, Sbd 10-21 Uhr; 3.6., 20.6, 27.6., 4.7.: 10-20 Uhr; Eintritt: zehn Euro (sechs Euro erm.), Familien 19 Euro, Kinder (6-10 Jahre) und Schulklassen drei Euro; Angeboten werden auch Themen- und Kinderführungen.