“Maria S. Merian“: Sie ist das Beste, was die Meereswissenschaft zu bieten hat. Eine Testfahrt auf der Ostsee. Im Frühjahr geht es in Dienst. Dann sollen Sedimentkernproben aus bis zu 10 000 Meter Tiefe des Nordmeeres wegweisende Erkenntnisse über Vergangenheit und Zukunft unseres Klimas bringen.

Ostsee vor Rügen. Es ist Nacht, und die norwegischen Techniker haben den x-ten Versuch hinter sich, die Probleme am Vertikallot zu beheben. Vergeblich. Vom "Pinger" kommen krause Daten, der Schallgeschwindigkeitsmesser rührt sich erst gar nicht. "Macht nichts", meint der Bootsmann lakonisch, "unser Leben ist die Forschung." Bis halb zwei in der Frühe bedient er die Winde, dann geht er in die Koje. Einer der Norweger verschwindet in der Dunkelheit auf dem Achterdeck. "Vielleicht", spöttelt der Hydrograph, "muß er nachdenken?" Um zwei stellen die Norweger fest, daß das Gerät gar keinen Strom hat (die Batterien sind leer!), um halb drei geben sie auf. Sie murmeln was von einem "Software-Fehler" und ziehen sich ins Kontrollzentrum zurück. Erst am nächsten Mittag wird man sie in der Offiziersmesse wiedersehen. Dann ist der Fehler in der Software korrigiert, und das Lot hat die Tests endlich bestanden.

56,4 Millionen Euro hat der Bau der "Maria S. Merian" gekostet. Mit ihren vielen Extras sei sie das modernste Forschungsschiff der Welt, sagt Peter Otten von der Krögerwerft und brummt, daß er nie wieder was von einem "Traumschiff für Forscher" lesen will. Das habe neulich in einer Illustrierten gestanden. "Traumschiff!" Bei der Erinnerung daran schüttelt der einstige Admiral's Cupper angewidert den Kopf. Die "Maria S. Merian" sei "ein akademisches Schiff"! Andere nennen den Neubau liebevoll "das Eisrandschiff", weil die "Maria S. Merian" darauf ausgelegt ist, mit 21 Mann Besatzung und 25 Wissenschaftlern an Bord den arktischen Saum des Nordatlantiks zu erkunden. Für Matthias Günther, den Ersten Offizier, der früher auf Containerschiffen fuhr, ist sie "das erste Schiff mit Teppichboden auf der Brücke". (Tatsächlich wird gerade gestaubsaugt.) Wenn es nach ihm ginge, sagt der 40jährige dann noch trocken, wären die Sofapolster in den Kammern auch nicht resedagrün.

Mit Hilfe der "Maria S. Merian" soll Deutschlands Spitzenstellung in der Meeresforschung weiter ausgebaut werden. Das hat die gerade aus dem Amt geschiedene Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) gesagt, als sie das Schiff am 26. Juli taufte. In erster Linie soll an Bord des Forschungsschiffs der Einfluß der Meere auf die Klimaschwankungen untersucht werden, darüber hinaus erhofft sich die Wissenschaft auch neue fundamentale Erkenntnisse in der Ozeanographie, der marinen Geologie, der Meeres- und Luftchemie, der marinen Geophysik und in der Meteorologie.

Die an Bord installierten Lotsysteme können nicht nur Bodenstrukturen bis 10 000 Meter Tiefe erkennen und darstellen; mittels eines eigens dafür konstruierten Auslegers ist es sogar möglich, Sedimentkernproben bis zu 24 Meter Länge zu entnehmen. Sie werden regelrecht ausgestanzt.

24 Meter sind ein Quantensprung. Bislang konnte man nur Sedimentkerne von zwölf Meter Länge heraufholen. An denen ließ sich anderthalb Millionen Jahre arktische Geschichte ablesen; aber was ist das schon angesichts der Schätzung, daß die Vereisung des einst tropischen Nordmeers (im kanadischen Teil der Arktis fand man Krokodilskelette!) vor mindestens vier Millionen Jahren stattgefunden hat?

Paläontologisch läßt sich das Alter der verschiedenen Sedimentschichten anhand von Mikrofossilien bestimmen. Physikalisch gibt der Sauerstoffgehalt Aufschluß über die Entstehung der Schichten: Je weniger davon nachzuweisen ist, um so wärmer muß es gewesen sein. Weil die Klimageschichte der Arktis noch weitgehend Terra incognita ist, das Nordmeer aber für unser heutiges Klima zentrale Bedeutung hat, erwartet sich die Wissenschaft von den Proben, die die "Maria S. Merian" vom Eisrand der Arktis zurückbringen wird, aufregende neue Erkenntnisse.

Das Arkona-Becken vor Rügen, in dem die Norweger ihre Lot-Probleme lösen sollen, hat schon lange keine Sensationen mehr zu bieten. Alles kartiert, alles bekannt. "Überschwemmte Wiesen", meint Otten abschätzig, aber mit knapp 50 Meter Tiefe ist die Ostsee an dieser Stelle gerade noch für die praktische Erprobung des Vertikallots geeignet.

Man merkt, daß alle nach Hause wollen. Alles dauert schon zu lange. Das Schiff ist überfällig. Am 30. Juni 2004 hätte es abgeliefert werden sollen, vor Januar 2006 wird es damit nichts werden. Mehr als zwei Millionen Euro Konventionalstrafe hat die Krögerwerft inzwischen bezahlt. Da kann einem die Freude am Neubau schon vergehen.

Die Schacht-Audorfer haben den Auftrag im Sommer 2002 erhalten, weil sie bereit waren, die Bausumme von den mehr als 65 Millionen Euro, die sie kalkuliert hatten, auf die von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Mittlere Forschungsschiffe" festgelegten 56,4 Millionen Euro "runterzumassieren" (Otten). Daß das Schiff für diesen Preis in Deutschland nicht zu bauen war, war dem federführenden Bundesforschungsministerium gleichgültig. Daß die Krögerwerft den Bau nach Polen auslagerte, auch.

Und so ist das deutsche Forschungsschiff "Maria S. Merian", das den stolzen Namen einer der frühesten Naturforscherinnen der Welt trägt, in Danzig (Stahlbau) und Gdingen (Ausstattung) gebaut worden; ein Schiff, in dem ausschließlich öffentliche Gelder stecken. Schön, meint die Crew einhellig, sei das nicht. Zumal sich der Schiffsaufbau in Polen verzögerte.

Einer der beiden von einem Dresdner Hersteller angelieferten Pod-Antriebe war defekt und sorgte für zusätzliche Probleme, aber die waren nichts im Vergleich zum monatelangen Tauziehen darum, woher denn die Lote kommen sollten. Aus Norwegen? Oder doch aus Deutschland? Der Streit begann im September 2002, führte bis zum Europäischen Gerichtshof und wurde erst im Januar 2004 durch einen Kompromiß beigelegt. Jetzt hat man Systeme beider Länder an Bord.

Womit wir wieder bei den Norwegern wären. Die kriegen von einem absichtlich herbeigeführten Blackout am Nachmittag nichts mit - zur Genugtuung von Kapitän Friedhelm von Staa springt der zweite Diesel erstmals in weniger als dreißig Sekunden an und erfüllt damit endlich die Vorgaben des Germanischen Lloyds.

Der Erste Offizier kündigt an, daß er gleich seinen Vorratsstore öffnen wird. Letzte Gelegenheit, zollfrei Zigaretten zu kaufen. Allerdings sind dank der massenhaften Vorbestellungen die meisten Sorten schon weg. Einer mault. "Mensch", sagt der Koch, "Hauptsache ist doch: Es qualmt!"

Am nächsten Morgen ist die Stimmung gelöst. Die Sonne scheint, das Schiff hat die letzten wichtigen Prüfungen bestanden, und während die Lotsen die "Maria S. Merian" durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Schacht-Audorf navigieren, erzählt man sich auf der Brücke Witze. Die meisten Lacher hat Hartmut Dobinsky von der Bundesanstalt für Wasserbau. Der Mann ist Projektleiter wie Peter Otten, nur eben auf der Seite der Auftraggeber. Dobinsky sagt: "Kommt ein Seemann nach Hause. Im Hafen wartet die Frau mit den Kindern. Sie hat ein Baby auf dem Arm. Sagt er: ,Was soll das denn? Ich war doch zwei Jahre nicht hier!' Sagt sie: ,Hein, du bist Seemann, jetzt spiel dich mal nicht als Mathematiker auf.'" Das hätte sicher auch die Norweger amüsiert. Aber die sind schon in Kiel-Holtenau von Bord gegangen. Für sie ist die "Maria S. Merian" womöglich ein Alptraumschiff gewesen.