Schleswiger Forscher vergleichen das Erbgut von alten Rassen mit Knochen aus Haitabu, um die frühe Viehhaltung zu rekonstruieren.

Schleswig/Warder. Sie sind klein, zäh und ähneln wild lebenden Mufflons: Die Soay-Schafe, eine alte Rasse, die nur auf der Insel Soay nordwestlich von Schottand überlebt hat, könnten nahe Verwandte der Tiere sein, die schon zu Wikinger-Zeiten gehalten wurden. Doch Untersuchungen des Zentrums für Baltische und Skandinavische Archäologie (ZBSA) mit Sitz im Schloss Gottorf in Schleswig kommen zu einem anderen Schluss: Genetische Vergleiche von heute lebenden Tieren mit Erbgutresten aus Knochenfunden in wikingerzeitlichen Siedlungen (Archäogenetik) sprechen gegen eine enge Verwandtschaft. Nun geht die Spurensuche der Schleswiger Archäologen nach den Nachfahren der Wikinger-Schafe in eine neue Runde.

Ein wichtiger Fundort liegt direkt vor der Haustür des ZBSA: Haithabu, ein ehemaliges Handelszentrum der Wikinger am Südufer der Schlei. Wahrscheinlich im 8. Jahrhundert gegründet, ging es zum Ende der Wikinger-Zeit Mitte des elften Jahrhunderts an Schleswig über. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert haben Archäologen in dem weitläufigen Areal der einstigen Hafensiedlung viele bedeutende Funde zutage gefördert, darunter Knochen und Zähne der damals gehaltenen Schafe. Die Fundstücke lagern in den Magazinen des Archäologischen Landesmuseums in Schleswig.

Anhand der Knochen sind die Wissenschaftler des ZBSA dabei, mit genetischen Methoden die Entwicklung vom Wild- zum Hausschaf zu rekonstruieren. "Die Geschichte der Schafe ist trotz ihrer großen wirtschaftlichen und kulturgeschichtlichen Bedeutung bis heute kaum archäogenetisch erforscht", sagt Dr. Elena Nikulina, Genetikerin am ZBSA. "Im Vergleich zu den heutigen Hauptobjekten der Forschung mit altem Erbgut, Rindern, Pferden und Schweinen, sind Schafe deutlich kleiner - und somit auch die Größe ihrer Skelettteile. Die Größe der Knochen ist aber ein entscheidender Faktor für die Erhaltung der Erbsubstanz in ihrem Inneren, sodass alte Schafknochen eine Herausforderung für den Archäogenetiker sind."

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Das Forscherteam erkannte bereits, dass die Tiere in Haithabu vorwiegend zur Gewinnung von Wolle und Milch gehalten wurden. Denn ihr rekonstruiertes Schlachtalter war deutlich höher als drei Jahre - die Tiere waren damit als Fleischlieferanten zu alt. Aber wie sahen die Wikinger-Schafe aus? Zunächst entdeckten die Schleswiger Archäologen eine große genetische Vielfalt. Zwar ist zu vermuten, dass die Wikinger keine gezielte Zucht betrieben, wohl aber unterschiedlich ausgeprägte Eigenschaften gezielt nutzten. So durfte ein Schaf, dessen Fell einen hohen Anteil von kurzen, dichten Haaren und wenige lange, steife "Stichelhaare" aufwies, länger leben, weil es bessere Wolle produzierte.

Hier kommt das Soay-Schaf ins Spiel. Untersuchungen von Textilien deuten darauf hin, dass die Wikinger-Schafe "mischwollig" waren, also einen Übergang darstellten vom Wildschaf mit vielen Stichelhaaren zu heutigen Schafrassen, die ein dichtes, wolliges Haarkleid tragen. "Die Rasse ist sehr widerstandsfähig", sagt Dr. Kai Frölich, Leiter des Nutztierparks Arche Warder zwischen Neumünster und Rendsburg. Hier leben neben zwölf weiteren alten Schafrassen auch Soay-Schafe und werden weiter gezüchtet, um die Rasse zu erhalten. "Die Tiere müssen nicht geschoren werden, sie streifen ihr Vlies selber ab. Das ist eine Spezialität dieser Rasse", so der Tiermediziner Frölich.

Soay-Schafe gelten als besonders ursprünglich. Denn sie lebten über Jahrhunderte isoliert auf der Insel Soay, die zum schottischen St.-Kilda-Archipel gehört. Möglicherweise, so lautet die These, fanden die Wikinger auf ihren Fahrten bis nach Grönland bereits verwilderte Schafe auf der Insel vor oder sie setzten sie dort aus, als lebendes Proviantlager. Die vierbeinigen Inselbewohner gerieten dann in Vergessenheit. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden sie wiederentdeckt und wegen ihrer Genügsamkeit gern als englische Parkpfleger eingesetzt.

Der Tierpark Arche Warder stellte dem ZBSA für die genetischen Vergleiche Speichelproben von Soay-Schafen sowie weiterer fünf Rassen zur Verfügung: vom Rauwolligen Pommernschaf, Rotkopfschaf, Jacobsschaf, Walachenschaf und von der Skudde. Zunächst verglichen die Archäologen das Erbgut des heißesten Kandidaten, des Soay-Schafs, mit den Erbgut-Bruchstücken der Wikinger-Schafe.

Das Ergebnis ist ernüchternd: "Weder in Schafresten aus den wichtigen wikingerzeitlichen Siedlungen in Dänemark und Deutschland noch auf Grönland oder Island wurde der Gentyp des Soay-Schafs bislang gefunden", sagt Elena Nikulina. Es sei daher unwahrscheinlich, dass diese Schafe Tiere der Wikinger repräsentieren. Vielmehr erkannten die Forscher die Rasse als ein Relikt der ersten Wollschafe, die Tausende Jahre vor den Wikingern in den Norden gelangten.

Die anderen alten Rassen aus Warder sind noch nicht endgültig abgeglichen. Doch Nikulina ist zuversichtlich: "Es zeichnet sich ab, dass bald ein neues, detailreiches Bild der Abstammung, Ausbreitung und Weiterentwicklung der ersten wolligeren Schafe Europas rekonstruiert werden kann."

Die Arche Warder kooperiert auch direkt mit dem Haithabu-Museum in Busdorf (Di-So 10-16 Uhr, Eintritt: 7 Euro): Exemplare verschiedener alter Schafrassen beleben dort das Freilichtmuseum. Die Soay-Schafe sind jetzt, zur Lammzeit, nur im Tierpark in Warder zu sehen (tägl. 10 Uhr bis Einbruch der Dunkelheit, Eintritt: sieben Euro).