Die ausgeklügelte Komposition verschiedener Substanzen zaubert das Lichtschauspiel der Leuchtraketen. Metallsalze sorgen für die Farbe.

Hamburg. Schon die Germanen wollten zum Jahreswechsel böse Geister mit Licht und Lärm vertreiben, Feuerwerker der heutigen Zeit treiben dies zur Perfektion. Abertausende Raketen erstrahlen in der Silvesternacht am Hamburger Himmel, funkeln und leuchten in bunten Farben. Die Pyrotechnik der Neuzeit basiert auf einem uralten Stoff: Vor mehr als 1000 Jahren erfanden Tüftler im alten China das Schwarzpulver, eine Mischung aus Kaliumnitrat, Holzkohle und Schwefel. Es treibt die Feuerwerksraketen an, ergänzt durch eine ausgeklügelte Kombination von Substanzen, die für die Leuchteffekte sorgen.

Die Physik, die die Rakete abheben lässt, ist dieselbe wie bei der großen Schwester in der Raumfahrt: Wenn der Treibstoff - bei der Silvesterrakete das Schwarzpulver - verbrennt, entstehen heiße Gase, die nach hinten aus dem Raketenmotor herausgedrückt werden. Das erzeugt einen Schub nach vorn. Die Bezeichnung Raketenmotor wird auch beim Feuerwerkskörper verwendet, obwohl der "Motor" hier nur aus einer Pappröhre besteht, die gepresstes Schwarzpulver enthält. Ihm werden meist noch Titanpartikel oder Eisenspäne beigemengt, die einen schönen Funkenschweif ergeben.

Beim Abheben können Silvesterraketen bis zu 100 Kilometer schnell sein. Auf ihrem Weg in den Himmel verlieren sie zunächst kaum an Tempo. Ist jedoch etwa zwei Drittel des Weges zurückgelegt, schwächelt der Steigflug. "Der Hohlraum in der Pappröhre wird immer größer. Dadurch ist das Schwarzpulver bei der Verbrennung weniger stark eingeschlossen. Das kostet Geschwindigkeit", sagt Lutz Kurth von der Arbeitsgruppe Pyrotechnik der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin. Ihr obliegt die Zulassung aller Sprengkörper, die in Deutschland auf den Markt kommen sollen, inklusive Feuerwerk.

Am Scheitelpunkt ihres Fluges, in Höhen zwischen 50 und 100 Metern, entfacht die Rakete ihre volle Pracht: Ein spezieller Sprengsatz, die Zerlegeladung, entzündet die Leuchtsterne und verteilt sie. Eine Kombination aus Papp- oder Plastikhalbschalen, die sich in mehreren Lagen mit Leuchtsubstanzen abwechseln, können Kugeln, Schmetterlinge und andere Formen in den Himmel malen.

Für die Farbenvielfalt sorgen verschiedene Metallsalze. Sie sind Temperaturen von mehr als 1000 Grad Celsius ausgesetzt. Dadurch werden die Elektronen der Metallatome der Salze angeregt. Dieser Zustand ist aber sehr kurzlebig. Wenn die Elektronen in ihren Grundzustand zurückfallen, geben sie dabei Licht ab - je höher die Temperatur, desto größer die Lichtausbeute.

Die jeweilige Wellenlänge des Lichts bestimmt die Farbe. Sie hängt vom Metall ab: Natriumsalze geben Licht mit einer Wellenlänge von 590 Nanometern (nm) ab und leuchten gelb. Strontiumsalze steuern das Rot bei (605 bis 682 nm), Bariumsalze leuchten grün (490 bis 560 nm) und kupferhaltige Salze zaubern ein kräftiges Blau an den Nachthimmel (435 bis 440 nm). Um sehr helles Licht zu erzeugen, werden Substanzen hinzugefügt, die mit heller Flamme verbrennen, etwa Magnesium oder Aluminium.

Mit dem Schwarzpulver und den Leuchtsubstanzen reisen weitere Chemikalien gen Himmel, um das Gesamtkunstwerk zu formen. Der wichtigste Zusatz ist das Oxidationsmittel. Es stellt Sauerstoff für die Verbrennung zur Verfügung und macht den Feuerwerkskörper damit unabhängig vom Luftsauerstoff. Oxidationsmittel steuern zusammen mit einer Düse am hinteren Ende der Papphülse das allmähliche Abbrennen des Schwarzpulvers in der Rakete. Ganz anders in Silvesterknallern: Hier verbrennt das Gemisch aus Schwarzpulver und Oxidationsmittel sehr schnell. Die entstehenden Gase sind von einer festen Hülle umgeben, die erst unter sehr hohem Druck - mit einem lauten Knall - birst.

Auch wenn die Zerlegeladung die Leuchtsterne entzündet, gibt es eine kleine Explosion, die jedoch am Boden meist kaum hörbar ist. "Andere Länder haben es gern etwas lauter. Dort ist in die Zerlegeladung ein Knallsatz oder ein Blitzsatz eingebaut", sagt Pyrotechniker Kurth.

Weitere Raketenzusätze sind Katalysatoren, die die chemischen Reaktionen des Feuerzaubers fördern, und Inhibitoren, die die Reaktionen bremsen. Bindemittel halten den Chemiecocktail zusammen. Und dann gibt es noch Substanzen und Konstruktionen für Spezialeffekte.

Wenn die Sterne langsam abbrennen, ziehen sie Lichtschweife - Fachmann Kurth spricht vom "Weiden-Effekt". Glitzernde Leuchtsterne werden erzeugt, indem zunächst ein Leuchtsatz gezündet wird, dann eine Dunkelphase eintritt, in der sich ein sehr reaktives Gemisch bildet, das bei der anschließenden Reaktion hell leuchtet. Dunkelphase und Aufblitzen wiederholen sich, bis der Leuchtsatz erschöpft ist.

Eine Besonderheit sind Pfeiftöne, die manche aufsteigende Rakete begleiten und den Heulern ihren Namen gaben. Ihr Treibmittel besteht nicht oder nur anteilig aus Schwarzpulver, vielmehr aus sauerstoffreichen anorganischen Salzen (Nitrate, Chlorate). Der Abbrand verläuft auch nicht kontinuierlich, sondern in Form von 3000 bis 4000 kleinen Explosionen pro Sekunde. Diese versetzen Luft in Resonanz und erzeugen damit den Pfeifton.

Der Umweltschutz bleibt bei den faszinierenden Lichtspielen auf der Strecke. In der Silvesternacht sei die Luft "zum Schneiden", moniert das Umweltbundesamt, "die Augen brennen und der Hals kratzt". Am Neujahrstag sei die Feinstaubbelastung vielerorts so hoch wie an keinem anderen Tag im Jahr. Feuerwerksexperte Kurth sieht nicht, dass sich daran in nächster Zeit etwas ändern wird.

Zumindest beim anfallenden Abfall gibt es einen Lichtstreifen am Horizont. Kurth: "Einige Hersteller arbeiten daran, biologisch abbaubare Kunststoffe in Batterie-Feuerwerken und als Hülsen von Raketenmotoren zu verwenden. Oder sie entwickeln Pappe, die sich leichter zersetzt, weil sie weniger Leim enthält. Als Ausgleich wird sie stärker gepresst." Schließlich sollen die Raketen nur am Himmel kurz Spuren hinterlassen, nicht aber in der Natur.