Im UKE wurden im vergangenen Jahr mit 30 dieser Minipumpen erstmals deutlich mehr eingesetzt, als es Herztransplantationen gab. Es gibt aber eine Crux bei allen Kunstherzsystemen.

Hamburg. Ein Hammer ist nicht gerade ein geeignetes Arbeitsgerät für einen Chirurgen. Aber Prof. Hermann Reichenspurner, Chef des Herzzentrums im UKE, ist neuerdings damit ausgestattet, seit er ein ehrenvolles Amt übernommen hat, das bisher noch kein in Deutschland tätiger Mediziner innehatte. Der 55-Jährige ist Präsident der Internationalen Gesellschaft für Herz- und Lungen-Transplantation (ISHLT, International Society for Heart and Lung Transplantation) – einer renommierten Vereinigung von vielen wissenschaftlichen Fachdisziplinen, die sich mit der Behandlung von Patienten mit Herz- und Lungenversagen beschäftigt. Weil die medizinische Fachgesellschaft der Transplantationsmediziner ihre Wurzeln in den USA hat, kann Reichenspurner auf den Sitzungen mit seinem jüngst bei der Wahl überreichten Holzhammer zuschlagen – so wie wir das aus dem Fernsehen kennen, wenn Friedensrichter in amerikanischen Gerichtssälen für Ruhe sorgen.

Die Mitglieder erstellen nicht nur Standards und Leitlinien zu medizinischen Fragen, etwa wann bei Kindern ein Spenderherz eingesetzt werden sollte, sondern müssen auch ethische Fragen berücksichtigen. So ist das Gesuch chinesischer Mediziner, in die Fachgesellschaft aufgenommen zu werden, begleitet von der Diskussion, woher in ihrem Heimatland die Spenderorgane stammen. Aus China und Indien gebe es immer wieder „nie widerlegte Gerüchte“, dass es einen Handel mit Spenderorganen gebe oder diese aus anderen zweifelhaften Quellen kämen, wie von unter Druck gesetzten Häftlingen.

Die in Deutschland und anderen europäischen Ländern über die zentrale Vermittlungsstelle Eurotransplant vergebenen Spenderorgane gelten dagegen als unbedenklich. Hier gibt es ein anderes Problem: In Deutschland ist die Bereitschaft, nach dem Tod Organe zu spenden, deutlich gesunken, seit bekannt geworden ist, dass einzelne Lebertransplanteure ihre todkranken Patienten mit falschen Angaben auf der Liste der dringlichsten Fälle nach oben gepusht haben. Gab es 2010 bundesweit noch knapp 1400 Organspender, ist deren Zahl im vergangenen Jahr auf nur noch 900 gesunken. Die Folge: In Deutschland werden heute weniger Spenderherzen eingesetzt als Mitte der 90er-Jahre. Mit derzeit nur 300 im Jahr sind das rund 200 weniger als vor 18 Jahren. Und noch bis 2003 wurden innerhalb eines Jahres mindestens so viele Herzen transplantiert, wie es Schwerkranke auf der Warteliste gab. Seitdem hat sich die Zahl der Schwerkranken, die auf ein Herz warten, etwa verdoppelt. Eine tödliche Zwickmühle: immer weniger Spenderorgane für immer mehr Patienten, die mit dem Horrorszenario leben, dass jeder Tag, jede weitere Woche im Wartezustand, ihre Chance zu überleben verringert.

Der rapide Anstieg derer, die auf ein Spenderorgan warten, sei auch das Ergebnis des medizinischen Fortschritts, erläutert Reichenspurner. Denn viele Infarktpatienten überleben heute bei rechtzeitiger Notfallbehandlung, doch die oft folgende lebensbedrohlich geringe Pumpleistung des Herzens, zumal nach mehreren Infarkten, macht weitere medizinische Eingriffe erforderlich.

Für einige gibt es eine Übergangslösung: das Kunstherz. Im UKE wurden im vergangenen Jahr mit 30 dieser Minipumpen erstmals deutlich mehr eingesetzt, als es Herztransplantationen gab. Wurden vor knapp zehn Jahren noch etwa 25 Herzen im Jahr transplantiert, waren es im Jahr 2013 nur noch 13. In diesem Jahr hat sich dieser Trend weiter verstärkt. Seit Jahresbeginn wurden im UKE nur noch drei Herzen verpflanzt, dafür aber 15 Kunstherzen eingesetzt. Die „mechanischen Kreislauf-Unterstützungssysteme“ bieten sich zum einen zur Überbrückung bis zur Transplantation an oder bei Patienten, die für eine Transplantation zu alt oder wegen anderer Leiden zu geschwächt für eine Transplantation sind.

Neuartige Kunstherzsysteme werden in die Herzspitze eingesetzt und ersetzen das durch Krankheit nicht mehr funktionsfähige Herz. Eine in Hannover entwickelte Operationsmethode, bei der die Minipumpe durch zwei kleine Schnitte in der Brust eingesetzt wird, wird auch im UKE praktiziert. „Das Brustbein bleibt intakt, der Patient erholt sich schneller“, und das schonende Verfahren ermögliche später leichter eine Herztransplantation, bei der die Öffnung des Brustbeins zwingend erforderlich ist, so Reichenspurner.

Die Crux bei allen Kunstherzsystemen: Die Energiezufuhr erfolgt von außen, das heißt, die Patienten müssen den Akku in einer Art Tasche bei sich tragen, der dauerhafte Zugang ist außerdem eine mögliche Quelle für Infektionen. Dennoch, so Reichenspurner, gebe es Patienten, die mit dem Kunstherzen so gut zurechtkämen, dass sie eine Transplantation für sich gar nicht mehr wünschten. Auch wenn die Verpflanzung eines Spenderorgans „unschlagbar bei der Lebensqualität“ sei, denn 95 Prozent der Patienten könnten hinterher ohne Einschränkung leben, bis hin zur Ausübung von Extremsportarten wie Bungeespringen.

Welche Ziele hat Reichenspurner an der Spitze der internationalen Fachgesellschaft? „Wir müssen auf dem Gebiet der Herz- und Lungenschwäche noch enger interdisziplinär zusammenarbeiten, insbesondere Kardiologen und Herzchirurgen, wie wir das am UKE bereits umgesetzt haben. Außerdem müssen wir international und besonders in Deutschland die Organspende voranbringen“, sagt er. „Und Transplantationskoordinatoren müssen in allen Krankenhäusern eingesetzt werden.“ Hier will er auch seine Kontakte als Mitglied in der Fachkommission der Bundesärztekammer nutzen. Das klingt nach einer Politik der kleinen Schritte. Denn einen großen Lichtblick, die Voraussetzungen für Organspenden zu ändern, sieht der Hamburger Herzmediziner derzeit nicht.