Ob im Jobcenter, bei Ämtern oder Behörden: Immer mehr Kunden beleidigen Mitarbeiter oder ziehen sogar Waffen. Arbeitgeber wollen jetzt reagieren.

Darmstadt. Peter Schirra denkt mit Schrecken an das Messer zurück. Der Frankfurter Regionalleiter der Nassauischen Heimstätte, Hessens größter sozialer Wohnungsbaugesellschaft, musste bei einem Mieter eine Wohnung abnehmen. „Wir konnten uns nicht einigen“, erzählt Schirra. „Er fing an zu schreien, drehte sich zum Kühlschrank um. Dort lag ein großes Jagdmesser.“ Es ging noch glimpflich ab. „Der Mieter holte sich aus dem Kühlschrank ein Bier.“ Eine am Donnerstag vorgestellte Studie der Hochschule Darmstadt stellt fest, dass verbale Angriffe von erbosten Kunden in Dienstleistungsfirmen, Ämtern und Behörden zunehmen.

Der „Kunden-Konfliktmonitor“ wertete 144 Fragebögen aus. Die Studie ist laut Professor Matthias Neu zwar nicht repräsentativ sei, aber „bundesweit einmalig“ und zeige eine Grundtendenz. In diesem Jahr gaben fast 19 Prozent an, Beschimpfungen, Bedrohungen, Beleidigungen seien häufig vorgekommen. Bei der letzten Untersuchung 2008 lag die Quote bei 15 Prozent. Gewalt nimmt aber ab.

Bei der Nassauischen Heimstätte werde in Rollenspielen Deeskalation trainiert. „Wir dürfen nicht zurückschreien, wenn der Mieter schreit.“ Es gebe schon mal deftige Beleidigungen. Auf die Frage, was es denn für Ausdrücke seien, antwortet Schirra: „So etwas Drastisches möchte ich nicht ausdrücken.“

+++ Polizisten sind zunehmend frustriert +++

Jobcenter Frankfurt, 19. Mai 2011: Eine 39-Jährige randaliert, greift einen Polizisten mit einem Messer an. Seine Kollegin schießt und trifft die Frau tödlich. Jobcenter-Sprecher Steffen Römhild sieht aber generell keine Zunahme von aggressivem Verhalten. Dass es hier und da mal knirscht, sei normal. „Bei Anträgen müssen ja die finanziellen Verhältnisse offengelegt werden. Das fällt nicht jedem leicht. Wir haben das relativ gut im Griff.“ Seit 2005 gebe es für alle Mitarbeiter ein Deeskalationstraining.

Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) ist kritischer. Schuld an einem Streit sei nicht immer nur der Kunde, sondern auch der Mitarbeiter. „Es ist haarsträubend, wie Ämter mit sozial Schwachen umgehen“, sagt KFN-Direktor Prof. Christian Pfeiffer in Hannover. „Es fehlt an Schulung der Mitarbeiter. Es gibt obrigkeitsstaatliches Gehabe.“ Das Institut habe ein jahrelanges Forschungsprojekt ausgewertet. „Es herrscht ein extrem rauer Ton, eine fast feindliche Atmosphäre.“

Wenn ein Kunde jede Menge Wut im Bauch hat – eine solche Situation kann entschärft werden, erläutert der Psychologie-Professor Thomas Elbert von der Universität Konstanz. „Ein Behördenmitarbeiter kann dem Antragsteller sagen: „Ich sehe, Sie sind verärgert“. Dann ist die Luft raus.“