Übergriffe gegen Polizisten in Hamburg sind Zeichen einer beängstigenden Entwicklung.

Hamburg. Wenn Gewalt gegen Polizisten, und damit gegen eines der Kernelemente der Exekutive, zunimmt, läuft etwas falsch in einer Gesellschaft.

Der aktuelle Befund aus Hamburg ist eben nicht nur Ausdruck einer erschreckenden Entwicklung in einem Teilbereich der Stadt, er beantwortet stellvertretend die Frage, wie wir heute in einem freien Gemeinwesen miteinander umgehen. Die Antwort: leider nicht mehr mit dem nötigen Respekt.

Das beginnt viel zu oft im normalen Leben, etwa wenn Autofahrer bei der Suche nach einem freien Parkplatz aufeinander losgehen, als ginge es nicht um ein Stück Asphalt, sondern um einen Tropfen Wasser in der Wüste; es setzt sich fort in Schulen, in denen Kinder auch dann mit ihrem Handy SMS versenden, wenn der Lehrer gerade etwas erklärt oder ein Mitschüler ein Referat hält; es lässt sich in manchen Firmen beobachten, in denen Mitarbeiter schlicht dann weniger (oder gleich nichts mehr) wert sind, wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht haben. Und es trifft verstärkt auch Polizeibeamte, die es jahrzehntelang zu Recht gewohnt waren, dass ihnen quasi von Natur aus Respekt bei der Ausübung ihrer Arbeit entgegengebracht wurde.

Theoretisch müsste der bloße Anblick eines Mannes oder einer Frau in Uniform für Ruhe und Ordnung sorgen, und so war es ja lange Zeit auch. Praktisch ist von der Autorität einer der obersten Autoritäten zu wenig übrig geblieben.

Das gefährdet nicht nur die von Gewaltausbrüchen betroffenen Beamten, sondern auch die Form unseres Zusammenlebens. Eine freie Gesellschaft reizt selbstverständlich, sich auch und gerade gegen die Autoritäten, soll heißen: den Staat, aufzulehnen, und bis zu einem bestimmten Punkt muss das sogar so sein.

Wird dieser Punkt jedoch überschritten, verschwindet also der Respekt vor den Grundregeln der Gemeinschaft und der Rolle der anderen, gerät das sowieso schwer zu stabilisierende System aus der Balance. Eine Überbeanspruchung der Freiheit wird dann am Ende dazu führen, dass diese wieder mehr eingeschränkt werden muss, durch neue Vorschriften, Strafen, Bestimmungen.

Weil das niemand wollen kann, ist die Einhaltung gewisser zivilisatorischer Standards wie Höflichkeit und Respekt zwingend nötig - unabhängig davon, mit wem man sich auseinandersetzt. "Was du nicht willst, das man dir tu', das füg auch keinem anderen zu" mag dabei ein überstrapaziertes Zitat sein. Richtig bleibt es dennoch, und noch besser wäre eine Erweiterung: Wenn jeder den anderen so behandeln würde, wie er selbst gern behandelt werden würde, blieben uns Meldungen wie jene von Übergriffen auf Hamburger Polizisten erspart.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Selbstverständlich sollte man gegen andere Meinungen und auch gegen andere Personen klar Stellung beziehen und die eigene Haltung verteidigen. Gerade Letzteres ist für das Funktionieren und die Entwicklung einer Demokratie ebenso lebensnotwendig wie das Infragestellen und die Veränderung von (überkommenen) Strukturen, das Auflehnen gegen Ungerechtigkeiten, etc.. Das darf in Ton und Inhalt auch mit der gebotenen Härte geschehen, aber eben nicht dazu führen, dass die moralische und körperliche Unversehrtheit des Gegenübers beeinträchtigt wird.

Freundlich und respektvoll mit anderen umzugehen mag dabei gerade in einer Metropole wie Hamburg, in der Menschen nahezu täglich auf unterschiedlichen Feldern (Verkehr, Wohnungsmarkt, Arbeitssuche) konkurrieren, nicht leicht sein. Es ist aber der einzige Weg, der auf Dauer akzeptabel und im Übrigen auch Erfolg versprechend ist. Denn nur wer Respekt vor der Leistung anderer hat, wird am Ende auch Respekt für die eigene erfahren.

Der Autor ist Chefredakteur des Hamburger Abendblatts