Chemiker Schüth erhält Hamburger Wissenschaftspreis für seine wegweisende Forschung. Er ist Direktor am MPI in Mülheim an der Ruhr.

Hamburg. Seitenpfade. Das ist so ein Wort, das fällt, fragt man Ferdi Schüth, warum er nicht in die Wirtschaft gegangen ist, wo er sicher viel Geld verdient hätte. "In Unternehmen kommt es darauf an, Produkte auf geradem Weg schnellstmöglich zum Erfolg zu bringen. Seitenpfade, die vielleicht sehr spannend sind, kann man nicht verfolgen. Doch genau das reizt mich an der Wissenschaft."

Immer neue Ideen zu entwickeln, ein Dutzend Projekte gleichzeitig zu betreuen, auch wenn sie länger als zehn Jahre dauern - das nennt Schüth "Luxus". Es ist diese Vielseitigkeit, verbunden mit großer Ausdauer, die den 51 Jahre alten Forscher zu einem der gegenwärtig erfolgreichsten deutschen Chemiker gemacht hat - und zu einem international gefragten Energieexperten. Für seine wegweisende Forschung erhält Schüth heute im Kaisersaal des Hamburger Rathauses den diesjährigen Hamburger Wissenschaftspreis. Das Preisgeld von 100 000 Euro vergibt die Hamburgische Stiftung für Wissenschaften, Entwicklung und Kultur Helmut und Hannelore Greve.

Ferdi Schüth fand schon früh Gefallen daran, verschiedene Möglichkeiten auszuloten. Während er an der Uni-versität Münster seine Doktorarbeit schrieb, studierte er nebenher Jura, weil er erkannt hatte, dass juristische Entscheidungen in Gesellschaft und Industrie eine wichtige Rolle spielen. Er war 35, als ihn die Universität Frankfurt zum Professor für Anorganische Chemie berief. Damals gründete Schüth die hte AG. Heute beschäftigt das Unternehmen, das Hochdurchsatz-Reaktoren baut, mehr als 200 Mitarbeiter; Schüth ist Mitglied des Aufsichtsrats. Schüth war 38, als er einen Ruf des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr erhielt. Seit 13 Jahren amtiert er dort als Direktor.

In seinem Arbeitsbereich forschen etwa 40 Mitarbeiter in mehreren Gruppen, wobei die Doktoranden unter ihnen nur einige Jahre bleiben. Mit diesem sich stetig erneuernden Team arbeitet Schüth an Technologien für die Energiewende. So entstand etwa in Kooperation mit Opel ein Wasserstoffspeicher aus dem Feststoff Natriumalanat. Dessen Kapazität ist zwar noch zu gering für die Praxis, dennoch ist der Speicher Schüth zufolge das bislang beste Produkt dieser Art. Eine andere Gruppe entwickelt in Mülheim Stoffe, die Methan direkt in Methanol umwandeln. Dieses Verfahren ließe sich einsetzen, um Methan, das bei der Erdölerzeugung häufig abgefackelt wird, nutzbar zu machen. In all diesen Projekten geht es um Katalyse, also die Beschleunigung einer chemischen Reaktion durch einen Katalysator. Solche Stoffe sind der Schlüssel, damit chemische Reaktionen energiesparend ablaufen und eine höhere Ausbeute liefern. Das gilt auch für Schüths bedeutendstes Forschungsprojekt: die Holzverzuckerung.

Die Idee an sich ist nicht neu: Bereits um 1855 war es dem belgischen Chemiker G. F. Melsens gelungen, Traubenzucker aus Holz zu gewinnen. Um die Lignocellulose, die Zellwand des Holzes, aufzuschließen und die darin enthaltenen Zuckermoleküle, die in Ketten von Tausenden Einzelmolekülen gebunden sind, herauszulösen, verwendete er Schwefelsäure. 1924 verbesserte der deutsche Chemiker Friedrich Bergius das Verfahren mit Salzsäure; später erhielt er unter anderem für diese Leistung den Nobelpreis. Doch bis heute funktioniert die Holzverzuckerung nur unter harschen Bedingungen: bei Temperaturen um 200 Grad, hohen Säurekonzentrationen und hohen Drucken. Bei Raumtemperatur richtet die Säure allein gar nichts aus. Ein weiteres Problem: Wenn die Cellulose mit Säure behandelt wird, entstehen nutzlose Nebenprodukte. Diese Faktoren erschweren bisher die industrielle Nutzung.

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Bei dem von Schüth entwickelten Verfahren wird mit Säure behandeltes Holzpulver in einer Mühle vermahlen. Durch die mechanische Energie in Verbindung mit der Säure werden die Molekülketten in winzige Einheiten zerhackt, die nun wasserlöslich sind und so einfacher weiterverarbeitet werden können. Das funktioniere bei Raumtemperatur, sagt Schüth. Und: "Während Pilotanlagen bisher nur 30 bis 50 Prozent des Zuckers herauslösen, liegt unsere Ausbeute bei 90 Prozent, und es entstehen kaum Nebenprodukte."

Aus Zucker lässt sich Ethanol machen, der in der chemischen Industrie als Rohstoff für Kunststoffe dienen könnte. Ethanol ist bereits ein Bestandteil von Biokraftstoffen. Diese basieren allerdings noch auf Erdöl, und das zugesetzte Ethanol aus Biomasse wird hauptsächlich aus den Früchten von Pflanzen, etwa Maiskörnern und Rapssamen, hergestellt. Diese Früchte könnten jedoch auch als Lebensmittel dienen, deshalb ist ihre energetische Nutzung umstritten.

Eine Verzuckerung aus Holz wäre eine Alternative, wobei es zumindest in Deutschland nur wenige Flächen gibt, um für diesen Zweck Bäume zu pflanzen. In Osteuropa sieht es besser aus. "Die Holzverzuckerung wird sicher nicht alle Energieprobleme beseitigen, aber sie eröffnet neue Möglichkeiten, die Abhängigkeit vom Erdöl zu verringern und das Dilemma bei den Energiepflanzen zu lösen", sagt Ferdi Schüth. Allerdings: Bis wir mit Benzin aus Bäumen fahren, wird es noch etwa zehn Jahre dauern, denn derzeit funktioniert das Verfahren nur auf der Gramm-Skala. Um tonnenweise Zucker aus Holz zu erzeugen, sei noch intensive Forschung notwendig, sagt Schüth. Dafür wolle er das Preisgeld aus Hamburg verwenden.

Der Chemiker erhielt schon etliche Auszeichnungen, darunter den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungs-gemeinschaft. Trotz seines Erfolgs sei Schüth nicht abgehoben, sagen Weggefährten wie der Hamburger Chemieprofessor Michael Fröba, der Schüth 1995 bei einem Forschungsaufenthalt in Kalifornien kennenlernte.

"Ich kann schon deshalb nicht abheben, weil meine Familie mich erdet", sagt Schüth. Er hat zwei Töchter, zwölf und 14 Jahre alt. Hin und wieder stellten sie ihm Fragen zu seiner Forschung. Aber immer mit der Aufforderung: "Bitte gib uns eine kurze Antwort."