Wie gefährlich ist der Impfstoff gegen Schweinegrippe wirklich? Ein Experte spricht von einem “Großversuch an der Bevölkerung“.

Berlin. Die Schweinegrippe wird sich nach EU-Prognosen auf mindestens eine Million Fälle ausbreiten, möglicherweise weit mehr. "Wir sind sehr beunruhigt, dass die Hersteller des Impfstoffes uns immer wieder vertrösten", sagte der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Europa-Parlament, Jo Leinen (SPD). "Erst hieß es, das Serum kommt im September, dann im Oktober, und nun scheint es erst im November zur Verfügung zu stehen." Dies sei "definitiv zu spät". Leinen: "Wir brauchen den Impfstoff so schnell wie möglich."



Geplant ist, dass im Herbst jeder dritte Deutsche und insgesamt rund 150 Millionen Europäer mit einem Impfstoff gegen das Schweinegrippe-Virus A (H1N1) versorgt werden. Doch jetzt warnen Medizinexperten, dass eine übereilt freigegebene Impfung angesichts des bisher harmlosen Krankheitsverlaufs nicht verantwortbar sei.


Der Herausgeber des pharmakritischen "Arznei-Telegramms", Wolfgang Becker-Brüser, sagte dem "Spiegel": "Was wir hier erleben, ist ein Großversuch an der deutschen Bevölkerung." Die Sicherheitstests der Musterimpfstoffe seien nicht besonders umfangreich gewesen. Nur häufige Nebenwirkungen, die mindestens bei einem von 100 Geimpften auftreten, sollten demnach erkannt werden. Dies bedeute rechnerisch, dass bei 25 Millionen Geimpften fast 250 000 eine schlimme Impfreaktion erleiden könnten, ohne dass dies zuvor in den Studien aufgefallen wäre. Der Bremer Pharmakologe Peter Schönhofer sagte, in den USA sei bereits in den 70er-Jahren ein Impfstoff gegen Schweinegrippe zurückgezogen worden, da es dort bei Impfungen zu einer auffälligen Häufung überschießender Immunreaktionen mit Nervenlähmungen gekommen sei. Der Impfstoff, mit dem nun die neue Grippe bekämpft werden solle, sei "nach demselben Strickmuster" gebaut.


"Bei einer weltweiten Sterblichkeit von 0,5 Prozent ist es fraglich, ob es wirklich notwendig ist, den Impfstoff übereilt anzuwenden", sagt Professor Christian Meyer, Internist am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut, dem Abendblatt. Aber er nennt auch ein Gegenargument: "Im Winter, wenn das Schweinegrippevirus auf das saisonale Grippevirus trifft, könnte sich ein gefährlicherer Erreger bilden. Dann könnte der neue Impfstoff helfen."