Kritiker bemängeln: Geringe gentechnische Verunreinigungen sind weiter erlaubt. Dennoch ist ein neuer Weg beschritten.

Die Marke "Landliebe" ist auf dem Weg, zum Flaggschiff für tierische Lebensmittel ohne Gentechnik zu werden. Seit Oktober füllt der Hersteller Campina Milch von Kühen ab, die garantiert gentechnikfreies Futtermittel wiederkäuen, und kennzeichnet die Milch mit dem Label "Ohne Gentechnik". "Das ist der Durchbruch für die Kennzeichnung von gentechnikfreien Lebensmitteln, andere Unternehmen werden nun folgen", freut sich Silke Schwartau, Ernährungsberaterin der Verbraucherzentrale Hamburg.

Zusammen mit der Genießerorganisation Slow Food ("Für Artenvielfalt und Esskultur") präsentierte sie gestern eine Marktrecherche, nach der neben der Landliebe-Marke auch Milchprodukte der Regionalkette tegut die Kennzeichnung tragen. Ergänzt wird die Liste durch ein knappes Dutzend pflanzlicher Lebensmittel, etwa Nudeln, Cornflakes, Sojadrinks. "Damit erhalten die Verbraucher nach den Bio-Produkten eine zweite Möglichkeit, der Gentechnik gezielt auszuweichen", so Schwartau.

Bereits seit Mai 2008 konnten Lebensmittelhersteller, deren Produkte garantiert ohne Gentechnik auskommen, ihre Produkte kennzeichnen. Das freiwillige Label ist das Gegenstück zur Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Organismen (GVO) enthalten. Diese EU-Regelung ist aus Sicht von Umwelt- und Verbraucherschützern lückenhaft. So müssen Fleisch- und Milchprodukte von Tieren, die GVO-haltige Futtermittel fraßen, nicht gekennzeichnet werden. Zudem sind gentechnische Verunreinigungen von bis zu 0,9 Prozent erlaubt, ohne dass gekennzeichnet werden muss. Der Schwellenwert von 0,9 Prozent gilt auch bei der Gentechnikfrei-Kennzeichnung. Allerdings muss der Hersteller nachweisen, dass die GVO-Spuren zufällig in das Lebensmittel hineingekommen sind oder technisch unvermeidbar waren.

Um Verunreinigungen auszuschließen, geht Campina auf Nummer sicher: Bauern, die den Rohstoff für die bundesweit vertriebene Frischmilch, H- und Schulmilch liefern, dürfen ihrem Vieh keine Futterkomponenten aus Übersee vorsetzen - "die Landliebe-Bauern verzichten auf importiertes Soja, das ein GVO-Risiko trägt", so Campina. Stattdessen kommen Gras sowie die traditionellen Futterpflanzen Raps, Lupinen, Erbsen, Ackerbohnen und Getreide in den Trog. Als Gegenleistung erhalten die Lieferanten pro Liter Milch einen Eurocent mehr.

Die Landliebe-Milch wird in der Molkerei getrennt verarbeitet, der Prozess von der Milchkuh bis zum Kühlregal kontrolliert und dokumentiert. Der Mehraufwand mag ein Grund sein, dass das "Ohne Gentechnik"-Label ein Schattendasein fristete - immerhin verzichtet die Lebensmittelindustrie auf einen Werbeträger, denn etwa zwei Drittel der Deutschen lehnen Gentechnik in Lebensmitteln ab.

Schwartau nennt einen zweiten Grund: "Die Hersteller möchten keine Nachfrage für explizit gentechnikfreie Produkte schaffen, damit sie die konventionelle Ware weiter verkaufen können." Dagegen verweisen Lebensmittel- und Futtermittelhersteller auf ein Glaubwürdigkeitsdefizit der neuen Kennzeichnung, denn sie lasse ein bisschen Gentechnik zu. Das sei eine "Irreführung der Verbraucher", wettert der Bund für Lebensmittelrecht.

Tatsächlich gibt es Zugeständnisse, um das "Ohne Gentechnik"-Zeichen attraktiver zu machen. So müssen Schweine nur in den vier Monaten vor dem Schlachttermin nachweislich gentechnikfrei gefüttert worden sein, bei Milchkühen reichen drei Monate, bei Legehennen sechs Wochen. "Die Tiere reisen oft weit, mindestens von der Zuchtanstalt zum Mastbetrieb, sodass es sehr aufwendig wäre, eine Nachweispflicht für Gentechnikfreiheit von Geburt an zu liefern", erklärt Schwartau. Zudem würden in der ersten Lebensphase häufig Arzneien oder Futterzusätze eingesetzt, die mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt wurden. Sie hält die Zugeständnisse für vertretbar.

Allerdings vermisst die Ernährungsberaterin eine einheitliche Kennzeichnung, derzeit verwende jeder Hersteller sein eigenes Label. Unabhängig davon fordert sie die Verbraucher auf, gezielt nach "Ohne Gentechnik"-Produkten zu fragen: "Solange der Gegenbeweis nicht angetreten wird, muss man davon ausgehen, dass tierische Produkte, die nicht mit 'ohne Gentechnik' gekennzeichnet sind, mit gentechnisch verändertem Futtermittel hergestellt wurden."


"Ohne Gentechnik"-Produktliste unter www.vzhh.de