Brummen, surren oder piepen? Experten streiten, wie Stromer klingen sollen. Wer in der Autoindustrie an synthetischen Sounds arbeitet, muss die Quadratur des Kreises leisten.

Es ist der vielleicht größte Paradigmenwechsel seit Erfindung des Automobils. Nach 125 Jahren ist Autofahren plötzlich nicht mehr automatisch mit Geräuschentwicklung verbunden. Verkehrslärm ist eine Plage vieler Städte, vier von fünf Menschen empfinden ihn als störend. Doch wieso soll nun Gefahr drohen, wenn Elektroautos fast lautlos auf dem Supermarkt-Parkplatz rangieren oder durch Wohngebiete surren?

Zwar fehlt es mangels Masse noch an einer verlässlichen Datenbasis für die Unfallforscher. Wer aber selbst einmal einen Stromer gefahren hat, weiß von Vorfällen mit verschreckten Fußgängern oder Radfahrern zu berichten. Denn Elektroautos geben bis etwa Tempo 30 nicht mehr als ein leises Surren von sich, erst danach gleichen Wind- und Motorgeräusche den Lärmpegel an Benziner- und Diesel-Niveau an.

Es besteht also Handlungsbedarf – für einen „Sound of Silence“. Doch ob und wie Geräusche erzeugt werden sollen, ist mehr denn je Gegenstand hitziger Debatten. Die Contra-Fraktion hofft auf weniger Lärm und lehnt zusätzliche Geräuschquellen strikt ab. „Es würde das Ziel, den Verkehrslärm in Städten zu reduzieren, konterkarieren”, sagt Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management an der Uni für angewandte Wissenschaften in Bergisch Gladbach.

Die Pro-Fraktion will am liebsten ein permanentes Geräusch, das sich vom Fahrer nicht abstellen lässt. Als Argumentationsstütze dient eine Studie des US-Verkehrsministeriums. Der zufolge steigt das Unfallrisiko von Hybridfahrzeugen gegenüber Autos mit Verbrennungsmotor stark an, wenn sie im E-Modus ihre Geschwindigkeit drosseln oder auf Parkplätze abbiegen.

Wer in der Autoindustrie an synthetischen Sounds arbeitet, muss die Quadratur des Kreises leisten: Künstliche Geräusche sollen weder zu laut noch zu leise, die Frequenz ortbar, aber nervenschonend sein. Und die Zuordnung muss stimmen: Es ist ein Auto, das auf einen zukommt.

Der Akustikexperte Angelo D'Angelico vom Projekt Akustische Umweltaspekte der E-Mobilität (AUE) weiß: „Der Klang des Motors hat sich als Signalquelle etabliert. Bei Elektrofahrzeugen fehlt das Hochlaufgeräusch eines Verbrenners im Klangspektrum zwischen 60 und 120 Hertz. Es signalisiert das Herannahen eines Autos, darauf sind Fußgänger oder Radfahrer konditioniert.“

Daher sollte ein synthetisch erzeugtes Geräusch der Bassfrequenz von Verbrennungsmotoren ähneln, wünscht sich d‘Angelico. Und nach Möglichkeit nicht bei jedem Auto anders klingen. Eine Dauerbeschallung lehnt der Forscher ab. Gefährlich seien vor allem einzeln fahrende Autos in ruhigen Seitenstraßen oder auf Parkplätzen. Besonders das Anrollen berge Gefahrenpotenzial. Daher müsste der Warnsound schon im Stand erklingen.

Fakt ist: Elektroautos leiden aufgrund von Reichweite und Ladezeiten ohnehin an einem Akzeptanzproblem. Kämen nun noch gehäuft Unfälle mit Stromern hinzu, würde das der Elektromobilität als Ganzes schaden.

Doch weil Gesetze – außer demnächst in Japan – noch nirgendwo auf der Welt rechtskräftig sind, ist im Lager der Hersteller von einer einheitlichen Strategie keine Spur. Das beginnt schon bei der Frage, ob ein synthetisches Fahrgeräusch dauerhaft aktiv sein soll (wie im Nissan Leaf oder smart ed), vom Fahrer abgeschaltet werden kann (wie im Renault Zoe und Kangoo Z.E.) oder wie im Opel Ampera oder Renault Twizy als kurzzeitig ertönende Fußgänger-Hupe ausgelegt ist.

Unterschiede gibt es auch bei der Komposition: Nissan und Renault setzen auf Ufo-ähnliche, sphärische Klänge, die sich im Zoe sogar variieren lassen. Der smart ed hingegen ahmt das Geräusch eines Verbrennungsmotors nach und wird umso lauter und hochfrequenter, je stärker der Fahrer das Gaspedal durchtritt. Dieser Sound-Generator kommt jedoch lediglich in den USA und Japan serienmäßig zum Einsatz; in Europa nur gegen 180 Euro Aufpreis. Einheitlichkeit sieht anders aus.

Ähnlich sieht es beim BMW i3 aus. Ab April feiert er in Japan Premiere – mit Soundpaket, weil es das Gesetz so verlangt. In den USA und China rollt das Kohlefaser-Auto dagegen wie in Europa vorerst nur als Flüster-Version auf die Straße. Auch VW will es so halten und den e-up nur dort mit künstlichem Verstärker offerieren, wo dieser auch vorgeschrieben ist.

Im Übrigen verfüge der BMW i3 mit der gegen Aufpreis lieferbaren Personenwarnung mit Anbremsfunktion ja über ein System, das in Gefahrensituationen mit Fußgängern helfen könne, sagt BMW-Sprecherin Katharina Singer. Sie hält es aber für möglich, das Soundpaket auch in Europa zumindest als Extra anzubieten.

Audi hat für seine e-tron-Palette ebenfalls eine spezifische e-Musik kreiert, bestätigt Ralf Kunkel, Chef-Akustiker in Ingolstadt. „Egal ob bei einem Verbrenner oder Elektrowagen – wenn ein vernünftiger Sound produziert wird, empfinden die Fahrer subjektiv bis zu zehn Prozent mehr Leistung“, sagt er. Am wichtigsten sei Authentizität, so Kunkel. „Der Kunde eines E-Fahrzeugs soll erleben: Das klingt auch ganz anders."

Anders als in den USA und China ist es in Europa aber offenbar noch nicht einmal ausgemachte Sache, dass AVAS-Systeme (Acoustic Vehicle Alerting Systems) Pflicht werden. „Die Leistung akustischer Systeme für herannahende Fahrzeuge sollte harmonisiert werden. Die Montage jedoch eine Option im Ermessen der Fahrzeughersteller bleiben“, heißt es in einer EU-Vorlage.

Die Diskussionen um den Verkehrslärm der Zukunft – sie dürften angesichts der aktuellen Gemengelage munter weiter gehen.