BERLIN/BRÜSSEL. Mit der Unterzeichnung des Reformvertrags von Lissabon besiegelt die Europäische Union (EU) heute das Ende einer mühevollen Reformdiskussion. Doch nach der Feierstunde in der portugiesischen Hauptstadt muss die neue Rechtsgrundlage der EU von den 27 Mitgliedsländern erst noch ratifiziert werden, bevor sie in Kraft treten kann. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte gestern im Bundestag an, die Regierung werde die Ratifizierung schon kommende Woche auf den Weg bringen, um sie bis zum Sommer abzuschließen.

Frankreich, Polen und die Slowakei wollen noch schneller sein. Doch mit Sorge blicken die Europapolitiker nach Großbritannien, wo die Opposition und auch Labour-Politiker Druck machen für ein Referendum. Lautstarke Forderungen nach Volksabstimmungen von Abgeordneten aus Großbritannien, Frankreich, Italien und Polen verdarben den Präsidenten von Parlament, Rat und Kommission im Europäischen Parlament gestern bereits die Zeremonie zur Unterzeichnung der Grundrechtecharta.

"Egal, wie laut Sie stören und schreien, heute ist ein Tag von grundlegender Bedeutung für Europa", rief der portugiesische Regierungschef und Ratspräsident Jose Socrates vor den teils aufgebrachten Abgeordneten.

Referenden über die EU sind gefürchtet, nachdem die Verfassung am Nein der Wähler in Frankreich und den Niederlanden vor zwei Jahren scheiterte. Ein Referendum über den Vertrag ist nur in Irland geplant. Dort sind nach Umfragen noch 60 Prozent der Wähler unentschieden.

Angela Merkel sieht die EU mit dem Reformvertrag gut für die Zukunft gerüstet. Der Vertrag von Lissabon sei ein historischer Erfolg und lege die Grundlage für die Union im 21. Jahrhundert. Die Demokratie werde gestärkt, und Europa rücke näher an die Bürger heran. Der Vertrag war zum großen Teil unter ihrem Vorsitz im Juni ausgehandelt und im Oktober unter portugiesischer Federführung abgeschlossen worden.

Der Vertrag von Lissabon soll die Union nach der Erweiterung handlungsfähiger und demokratischer machen. Merkel hob vor allem die Stärkung der nationalen Parlamente hervor. Sie könnten künftig einschreiten, wenn die EU zu stark in nationale Befugnisse eingreife. Die künftige Verteilung der Stimmrechte sorge dafür, dass die Bevölkerungsgröße der Staaten bei Abstimmungen eine größere Rolle spiele. Damit könne das Einstimmigkeitsprinzip, das die EU so schwerfällig mache, in Zukunft auf das Nötigste beschränkt werden.