Mohammed-Karikaturen: Islam-Wissenschaftler erklärt Dialog mit dem Orient für “tot“. Französische Zeitung veröffentlicht neue Karikaturen. Iran: “Merkel sieht sich als Hitler.“

KÖLN/TEHERAN/HAMBURG. Angesichts der weltweiten Ausschreitungen haben die 16 muslimischen Spitzenverbände in Deutschland in einer einmaligen Aktion die gewaltsamen Reaktionen auf die umstrittenen Mohammed-Karikaturen verurteilt.

In einer in Köln vom Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, Oguz Ücüncü, verlesenen Erklärung forderten sie aber auch einen respektvollen Umgang mit den religiösen Empfindungen gläubiger Muslime. In mehreren muslimischen Staaten hielten die gewaltsamen Proteste aber an.

Ücüncü erklärte, die Verbände, darunter Unternehmervereine ebenso wie die Türkisch Islamische Union DITIB, der Islamrat, der Verband Islamischer Kulturzentren VIKZ und der Zentralrat der Muslime in Deutschland, hätten die Nachricht von Toten bei den Auseinandersetzungen um die Mohammed-Karikaturen mit Bestürzung aufgenommen. Bilder von brennenden Einrichtungen westlicher Staaten stürzten sie in tiefe Sorge. Ücüncü versicherte, es sei kein Zufall, daß es in Europa und in Deutschland derartige Ausschreitungen nicht gebe. Die türkischen Verbände in Deutschland nutzten ihren Einfluß, "um das friedliche und harmonische Miteinander in unserer Gesellschaft zu fördern und Fehlentwicklungen, wie wir sie derzeit in der Welt erleben, in Deutschland und in Europa auszuschließen".

Der Milli-Görüs-Generalsekretär äußerte sich auch kritisch zur Politik des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Zugleich verurteilte er im Namen der 16 Verbände die Hetze gegen Juden im Iran "aus tiefstem Herzen und religiöser Überzeugung".

Die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) riefen Muslime in aller Welt zur Ruhe auf. Auch die indonesische Regierung und führende religiöse Vertreter des größten muslimischen Staates appellierten an die Demonstranten.

Ungeachtet derartiger Aufrufe entluden sich die massiven islamischen Proteste gestern erneut in Gewalt. In Washington rief US-Präsident George W. Bush die Regierungen der Welt auf, einzugreifen und die Gewalt zu beenden. In Paris verkaufte das Satireblatt "Charlie Hebdo" indessen in wenigen Stunden mehr als 400 000 Exemplare einer Ausgabe mit den dänischen und eigenen Mohammed-Karikaturen. Wie gestern bekannt wurde, hatte die Kopenhagener Zeitung "Jyllands-Posten", die die Mohammed-Karikaturen zuerst gedruckt hatte, vor drei Jahren eine Jesus-Karikatur als beleidigend für gläubige Leser abgelehnt,

Bei Ausschreitungen in der südafghanischen Stadt Kalat starben bis zu vier Demonstranten. Randalierer versuchten die örtliche Polizeizentrale zu stürmen. Daraufhin eröffnete die Polizei das Feuer. Die Zahl der Toten in Afghanistan erhöhte sich damit auf mindestens neun.

Im Westjordanland griffen Hunderte Palästinenser das Hauptquartier der internationalen Beobachtertruppe in Hebron (TIPH) mit Steinen an. Die Angreifer zerstörten auch mehrere Autos. Alle 71 TIPH-Beobachter, von denen 21 aus Norwegen kommen, wurden abgezogen.

Auch in der iranischen Hauptstadt Teheran gab es erneut Ausschreitungen. Demonstranten zogen vor die britische Botschaft und warfen Steine. In Teheran hat eine Zeitung zu einem Karikaturen-Wettbewerb zum Thema Holocaust aufgerufen und Gold als Preis ausgesetzt. Der Pressesprecher der Revolutionsgarden sagte zu den Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Atomstreit mit Iran, Merkel sehe sich "in ihren Träumen als Hitler" und glaube, der Welt Befehle erteilen zu können.

In Hamburg erklärte der renommierte Islamwissenschaftler Prof. Udo Steinbach den Dialog mit dem Islam für "tot". Der Bundestag will sich am Freitag in einer aktuellen Stunde mit der Krise befassen.