Die neue Doppelspitze der Linken will die tiefen Gräben in der Partei schließen. Das Gespenst der Spaltung in Ost und West ist aber noch lange nicht besiegt.

Göttingen. Die Linkspartei steht nach ihrem Parteitag vor einem Scherbenhaufen. Die rund 550 Delegierten wählten mit Bernd Riexinger und Katja Kipping zwei neue Parteivorsitzende, die weitgehend den Wünschen des fundamentalsozialistischen Flügels der Partei entsprechen. Der Kandidat der Reformer, der stellvertretende Bundestagsfraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch, unterlag Riexinger knapp, nachdem es zuvor zu öffentlichen Auseinandersetzungen in nie dagewesener Schärfe gekommen war. Damit ist die Befriedung missglückt, eine Trendwende der sich in einer Abwärtsspirale befindenden Linken ist nicht abzusehen.

Bei der Wahl der neuen Doppelspitze setzte sich beim Göttinger Parteitag das radikale Lager um Oskar Lafontaine gegen die ostdeutschen Reformer durch. Deren Kandidat Dietmar Bartsch musste sich in einer Kampfabstimmung Riexinger knapp geschlagen geben. Beide Flügel gelobten aber, die Grabenkämpfe der vergangenen Monate beenden zu wollen.

Der 56-jährige Riexinger und die 34-jährige Kipping setzten sich die Vermittlung zwischen beiden Flügeln zum gemeinsamen Ziel. „Bitte lasst uns diese verdammte Ost-West-Verteilung auflösen“, rief die Bundestagsabgeordnete Kipping den rund 560 Delegierten zu. Der baden-württembergische Landeschef Riexinger sagte: „Ich bin überzeugt: Wir werden eine gemeinsame Linke weiterentwickeln, und wir werden wieder auf die Erfolgsspur zurückkommen.“

Kipping wird keinem der beiden Flügel zugerechnet. Die bisherige Vizevorsitzende setzte sich mit 67,1 Prozent der Stimmen gegen die Hamburger Fraktionschefin Dora Heyenn (29,3 Prozent) klar durch. Ursprünglich wollte sie zusammen mit der nordrhein-westfälischen Landeschefin Katharina Schwabedissen ein Führungsduo bilden. Jedoch zog Schwabedissen ihre Kandidatur kurz vor dem Wahlgang zurück, weil sie keine Chance mehr für einen „dritten Weg“ zwischen den Flügeln sah.

Der 56-jährige Riexinger triumphierte nur knapp mit 53,5 zu 45,2 Prozent der Stimmen über Bartsch. Der Verdi-Funktionär wurde von den Parteilinken ins Rennen geschickt, nachdem Lafontaine auf eine Kandidatur verzichtet hatte. Er selbst und seine Gefolgsleute favorisierten von Anfang an eine Doppelspitze mit Kipping.

Die Parteiflügel streiten vor allem darüber, ob die Linke einen konsequenten Oppositionskurs fahren oder sich – wie in einigen ostdeutschen Ländern – SPD und Grünen annähern und an Regierungen beteiligen soll. Die Partei war vor fünf Jahren aus der westdeutschen WASG und der ostdeutschen PDS hervorgegangen.

Die Enttäuschung bei den ostdeutschen Reformern über Bartschs Wahlniederlage war zwar groß, zu Trotzreaktionen kam es aber zunächst nicht. Der zu den „Bartschisten“ zählende Landeschef von Sachsen-Anhalt, Matthias Höhn, wurde am Sonntag mit einer großen Mehrheit von 80,9 Prozent zum Bundesgeschäftsführer gewählt. Ein weiteres Trostpflaster für die Reformer war die Wiederwahl des Schatzmeisters Raju Sharma, der sich gegen den saarländischen „Lafontainisten“ Heinz Bierbaum durchsetzte.

Der neuen Führung gehört allerdings auch Lafontaines Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht an. Die 42-Jährige erhielt bei der Wahl der Stellvertreter das beste Ergebnis. Wagenknecht entschied sich erst nach langem Zögern gegen eine Kandidatur für den Parteivorsitz. „Ich möchte nicht die Polarisierung auf die Spitze treiben“, sagte sie auf dem Parteitag.

Bundestags-Fraktionschef Gregor Gysi hatte vor der Abstimmung eine Spaltung der Partei nicht ausgeschlossen. In einem eindringlichen Appell rief er die Delegierten dazu auf, eine Führung zu wählen, in der sich die unterschiedlichen Flügel wiederfinden. Sonst sei es besser, sich fair zu trennen. Gysi lieferte eine schonungslose Zustandsbeschreibung der Partei: „In unserer Fraktion im Bundestag herrscht auch Hass“, sagte er. „Seit Jahren befinde ich mich wirklich zwischen zwei Lokomotiven, die aufeinander zufahren. Ich weiß, dass man dabei zermalmt werden kann.“

Linke-Gründungsvater Lafontaine kritisierte Gysis Ausführungen. „Trotz aller Schwierigkeiten: Es gibt keinen Grund, das Wort Spaltung in den Mund zu nehmen.“ Darin war er sich mit Bartsch einig. „Eine Spaltung ist ein Gespenst, das herbeigeredet wird, für das es keine Grundlage gibt“, sagte dieser nach seiner Wahlniederlage der dpa. „Eine Spaltung ist im Kern der Tod, und deswegen wird es das auch nicht geben.“

Riexinger gab sich zum Abschluss des Parteitags optimistisch: „Ich habe den Eindruck gewonnen, dass wir in der Lage sind, Gräben, die aufgerissen wurden, auch wieder zuzuschütten.“ Er sei überzeugt, dass es gelingen werde, die Linke auch längerfristig wieder auf die Erfolgsspur zu bringen. Gysi hält auch einen Erfolg bei der Bundestagswahl 2013 für möglich. Wenn die Linke ein politisches Konzept, eine sehr gute Vorbereitung der Wahl und eine wirkliche Integration hinbekomme, „dann nehmen uns die Bürgerinnen und Bürger auch wieder ernst“, sagte er im „Bericht aus Berlin“ der ARD. „Und dann wird unser Wahlergebnis auch besser sein als jetzt die Umfragen.“

Die SPD sprach der Linken nach der Wahl die Regierungsfähigkeit ab. „Dieser Parteitag hat die Linke geschwächt und nicht gestärkt“, sagte Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. „Die hasserfüllten Grabenkämpfe werden weitergehen.“

Die neue Doppelspitze folgt auf die Berliner Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch und den bayerischen Gewerkschafter Klaus Ernst, die glücklos agierten und auch in den eigenen Reihen viel Kritik ernteten. (dapd/dpa)