Versicherte sollen regelmäßig nach ihrer Bereitschaft gefragt werden. In Hamburg kommen auf eine Million Einwohner 19,5 Organspenden.

Berlin/Hamburg. Etwa 12 000 Menschen warten in Deutschland auf ein lebenswichtiges Spenderorgan. Deshalb haben alle Fraktionen des Bundestages nach einer zum Teil sehr persönlich geführten Debatte die Weichen für eine Neuregelung der Organspenden gestimmt. Das Gesetzgebungsverfahren soll bis zum Sommer beendet sein. Künftig sollen die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet werden, ihre Versicherten in regelmäßigen Abständen zu fragen, ob sie ihre Organe nach dem Tod spenden wollen.

+++Er lebt - dank einer Organspende+++

Diese "Entscheidungslösung" soll das Bewusstsein für das sensible Thema schärfen und die Zahl der möglichen Spender deutlich erhöhen. In Spanien kommen auf eine Million Einwohner 34 Organspenden, in Deutschland nicht einmal die Hälfte (14,7). In Hamburg sind es immerhin 19,5. In Spanien gilt die sogenannte Widerspruchslösung, das heißt, man muss sich aktiv dafür aussprechen, keine Organe spenden zu wollen, und das dokumentieren.

+++Ärzte begrüßen neue Regelungen zur Organspende+++

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, der seiner Frau eine Niere gespendet hat, sagte im Bundestag: "Es geht um Verantwortung. Und es geht um Verantwortung, die wir übernehmen für Menschen, die unserer Hilfe bedürfen. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte, Diabeteskranke hofften darauf, "dass sie von der Dialyse wegkommen können". Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin sagte, man solle sich zu Lebzeiten mit der Frage befassen, was sei, "wenn man dem Tod näher als dem Leben ist, wenn nur noch Apparate dafür sorgen, dass der Körper nicht endgültig versagt". Trittin weiter: "Ich habe vor einigen Jahren erlebt, dass meine Lebensgefährtin bei einem Fahrradunfall ums Leben kam. Ich musste in dieser Situation ihrer Tochter, ihren Eltern diese Nachricht überbringen, ihren besten Freundinnen." In einer solchen Situation wolle man den Willen zur Organspende nicht interpretieren müssen, sondern sei froh, wenn der Tote eine Botschaft darüber hinterlassen hat.

Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) sagte, auch Lebendspenden würden erleichtert. Jeder Organspender sei ein Lebensretter. Das sei ein Akt der Nächstenliebe. "Derjenige, der sich für die Lebensspende entscheidet, darf keine Nachteile haben." So soll etwa ein Spender einen möglichen Gehaltsausfall von der Krankenkasse des Empfängers erstattet bekommen. Weitere gesetzliche Regelungen zu Lebendspenden sind in der Planung.

Der Vorstandschef der Techniker Krankenkasse, Prof. Norbert Klusen, begrüßte die Einigung. Die Bundestagsdebatte zeige, "dass das Thema Organspende von einer breiten Basis der Gesellschaft getragen wird". 877 Menschen hätten 2011 einem Angehörigen per Lebendspende das Leben gerettet. "Deshalb ist es wichtig, dass der Gesetzgeber mit der geplanten Reform dafür Sorge trägt, die Situation der Lebendspender so abzusichern, dass ihnen aus ihrer Hilfe weder in der medizinischen Versorgung noch in finanzieller Hinsicht Nachteile entstehen", so Klusen.

Dem Hamburger Experten Prof. Hermann Reichenspurner (Uniklinik Eppendorf) geht der politische Kompromiss nicht weit genug. "Ein netter Versuch, der an der Situation wenig ändert." Das Anschreiben der Versicherten werde nicht den gewünschten Effekt haben: "Der Gesundheitsminister hat gesagt, dass man den Brief auch wegwerfen kann. Das ist enttäuschend", sagte Reichenspurner dem Abendblatt. Man solle die Organspende so regeln wie den Nachlass beim Erben. Wer eine andere als die gesetzliche Erbfolge wolle, müsse das verbindlich erklären.

Nach dem Tod können Niere, Herz, Leber, Lunge, Bauchspeicheldrüse und Dünndarm gespendet werden. Ein Organspender kann nach Auskunft von Experten bis zu sieben schwer kranken Menschen helfen. Zuletzt gab es 600 Hirntote im Jahr, die als Organspender ausfielen, weil keine Klarheit darüber herrschte, ob sie dazu bereit waren. Hätten die Ärzte bei ihnen Organe entnehmen können, hätten rechnerisch Tausende auf ein Organ wartende Menschen überleben können.

Im Bundestag gab es außerdem Diskussionen über das Speichern der Organspendebereitschaft auf der Gesundheitskarte. Es gab Stimmen von Grünen und Linken, die den Kassen kein Schreibrecht auf der Karte zubilligen wollen. Die grüne Gesundheitsexpertin Birgitt Bender sagte: "Hüten sollten wir uns vor Erfolgsmeldungen nach dem Motto: Jetzt wird alles besser. Es wird auch weiterhin so sein, dass Menschen in der Wartezeit auf ein Organ sterben."