Chefankläger Range hält Details aus taktischen Gründen zurück. Friedrich kündigt “Abwehrzentrum Rechts“ an. Leutheusser-Schnarrenberger will NDP-Verbotsfverfahren akribisch prüfen.

Berlin/Erfurt/Karlsruhe. Im Zusammenhang mit der Zwickauer Neonazi-Zelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) haben die Ermittler vier weitere Verdächtige im Visier. Dies habe der neue Generalbundesanwalt Harald Range beim Krisengipfel zum Kampf gegen rechtsextremen Terror am Freitag in Berlin berichtet, sagte ein Teilnehmer. Gegen zwei der vier Verdächtigen liege mehr vor, sie würden bereits als Beschuldigte geführt. Das heißt, gegen sie wird ermittelt. Überwachungsmaßnahmen liefen, hieß es. Weitere Details habe Range aus ermittlungstaktischen Gründen nicht genannt.

Nach dem Treffen in Berlin kündigte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat die Einrichtung einer zentralen Datei über Rechtsextremisten an. Darauf hätten sich die Innen- und Justizminister von Bund und Ländern bei ihrem Sondertreffen geeinigt, sagte der CSU-Politiker am Freitag nach Ende der Gespräche. Er verwies auf die bereits existierende ähnliche Datei über Islamisten. Diese funktioniere "sehr gut“.

Außerdem werde ein "Abwehrzentrum Rechts“ gegründet, sagte Friedrich. Daran sollten sich das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt (BKA) beteiligen. Noch besprochen werde, inwieweit die Polizei- und Verfassungsschutzbehörden der Länder und die Bundesanwaltschaft dabei mitarbeiten sollten.

Beim Gipfel haben die Innen- und Justizminister von Bund und Ländern über Konsequenzen aus der Mordserie beraten. Mit den Spitzen der Sicherheitsbehörden erörterten sie den Stand der Ermittlungen zu den Taten des Neonazi-Trios aus Zwickau. Auch Pannen und Versäumnisse bei der Fahndung sollten zur Sprache kommen. Inzwischen ist ein neuer Datenträger aufgetaucht, der dem Zwickauer Neonazi-Trio zugerechnet wird. Dort sind etwa 10.000 Namen aufgelistet, darunter Politiker wie der rheinland-pfälzische Ministerpräsiden Kurt Beck , Kirchen und Vereine gegen Rechts.

Justizministerin skeptisch zu neuem NPD-Verbotsverfahren

Nach Angaben von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) haben sich Bund und Länder auf einen besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus geeinigt. "Alle Akten müssen auf den Tisch“, sagte die Ministerin nach dem Krisengipfel in Berlin. "Es gibt noch heute kein umfassendes Lagebild, was wir zu diesem Komplex erstellen können“, meinte sie zu den Ermittlungen in der rechtsextremistischen Mordserie. Auch regionale Informationen müssten so schnell wie möglich zusammengetragen werden, sagte Leutheusser-Schnarrenberger.

Ein mögliches neues Verbotsverfahren gegen die rechtsextremistische NPD will Leutheusser-Schnarrenberger akribisch prüfen. Es dürfe "auf gar keinen Fall passieren“, dass ein solches Verfahren noch einmal "sehenden Auges“ scheitert, sagte die FDP-Politikerin nach dem Berliner Sondertreffen. Dabei verwies sie auf den gescheiterten Anlauf zu einem NPD-Verbot im Jahr 2003.

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"Nur wenn wir uns alle gewiss sind“, dass die Lage anders sei als beim damaligen Verfahren, könne ein Verbot der Partei erneut beantragt werden, mahnte Leutheusser-Schnarrenberger. Eine Arbeitsgruppe der Landesinnenminister werde sich damit befassen.

Unmittelbar vor der Berliner Konferenz hatte Leutheusser-Schnarrenberger für eine stärkere Konzentration von Verfassungsschutzämtern plädiert. Statt über 16 Landesämter könnte man auch über drei oder vier nachdenken, sagte die FDP-Politikerin der "Süddeutschen Zeitung“: "Das gesamte Alarmsystem gegen Rechts hat nicht funktioniert.“

Neuer NSU-Datenträger mit 10.000 Namen

Dem Neonazi-Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt werden zehn Morde zwischen 2000 und 2007 zur Last gelegt. Der rechtsextreme Hintergrund der Verbrechen ist jedoch jahrelang nicht erkannt worden. Die beiden Männer sind inzwischen tot. Sie hatten sich nach Angaben der Behörden vor zwei Wochen erschossen. Zschäpe sitzt im Gefängnis in Köln und hat sich bisher nicht zu den Taten geäußert. Die Bundesanwaltschaft ermittelt.

Vor dem Spitzentreffen verlangte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) eine bessere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Im Deutschlandfunk verteidigte er zugleich seinen Vorstoß, eine sogenannte Verbunddatei der Sicherheitsbehörden zu schaffen. Er wies darauf hin, dass derzeit alle Verfassungsschutzämter und alle Polizeibehörden in den Ländern eigene Dateien führen.

Der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, machte sich für weitreichende Konsequenzen aus der Mordserie stark. Die Polizei- und Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder müssten „enger verzahnt werden“, sagte er der Zeitung „Die Welt“.

Thüringer LKA gerät zunehmend unter Druck

Im Fall der rechtsextremistischen Zwickauer Terrorzelle werden immer mehr Einzelheiten zu frühen Fahndungspannen des Landeskriminalamtes bekannt. So habe einer von ihnen, der inzwischen verstorbene Uwe Böhnhardt die Ermittler 1998 selbst zu einer Garage geführt, die dann durchsucht wurde. Böhnhardt sei dann aber mit einem Auto davongefahren, wie die "Thüringer Allgemeine“ (Freitagausgabe) berichtete. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits unter anderem wegen Volksverhetzung zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Böhnhardt trat die Strafe nie an.

Wegen der Verurteilung hätte er laut dem Bericht zehn Jahre lang gesucht werden müssen. Allerdings habe das Landeskriminalamt die Suche 2003 eingestellt.

Union und FDP wollen parteiübergreifends Vorgehen

Die Koalitionsfraktionen von Union und FDP streben ein parteiübergreifendes Vorgehen gegen den Neonazi-Terrorismus an. Die Fraktionschefs Volker Kauder (CDU) und Rainer Brüderle (FDP) hätten die Parteivorsitzenden sowie die Chefs der anderen im Parlament vertretenen Fraktionen von SPD, Grünen und Linke zu einem Gespräch an diesem Dienstag eingeladen, teilte ein Sprecher der Unionsfraktion mit.

Bereits am Montag soll der Innenausschuss des Bundestages in einer Sondersitzung über Konsequenzen aus den Vorfällen und möglichen Versäumnissen der Behörden beraten. Für Dienstag wurde nach Angaben des Sprechers der Unionsfraktion eine Sonder-Plenardebatte angesetzt.

Auf einem neuen Datenträger, der dem Zwickauer Neonazi-Trio zugerechnet wird, sind etwa 10.000 Namen aufgelistet. Auf der Liste sollen Politiker – darunter Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) – sowie Kirchen, SPD-Ortsvereine und Vereine gegen Rechts stehen. Ob all diese Namen im Fadenkreuz der Terrorzelle standen, ist unklar. Das Bundeskriminalamt (BKA) schätzt die Daten, die mehrere Jahre alt sein sollen, laut den Kreisen bisher zurückhaltend ein. Berliner Sicherheitskreise bestätigten der Nachrichtenagentur dpa am Freitag die Existenz des Datenträgers.

Sicherheitsbehörden sprechen nicht von "Todeslisten"

Die "Rhein-Zeitung“ berichtete von einem USB-Stick von 2007, auf dem auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), und der jetzige FDP-Bundestagsfraktionschef Brüderle stehen sollen. Die Terroristen hätten die Privatadressen, oft auch die Telefonnummern ermittelt.

Sicherheitsbehörden sprachen gegenüber der „Passauer Neuen Presse“ nicht von Todeslisten, sondern von einer Sammlung von Daten, die für die Zwecke der Rechtsextremisten offenbar relevant waren. Derzeit würden die Daten - auf die einzelnen Bundesländer heruntergebrochen - von den dortigen Sicherheitsbehörden ausgewertet. Das Zwickauer Trio wird für zehn Morde an türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern sowie einer Polizistin in Heilbronn verantwortlich gemacht.

Es ist nicht die erste Liste der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Ermittler hatten in der abgebrannten Zwickauer Wohnung der drei eine Liste mit 88 Posten gefunden – darunter auch die Namen des Grünen-Bundestagsabgeordneten Jerzy Montag und des CSU-Abgeordneten Hans-Peter Uhl. Das BKA hatte jedoch erklärt, dass es nach bisherigen Erkenntnissen keine konkreten Anschlagspläne gegeben habe.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, beklagte, dass die Behörden keine Auskunft über jene Listen geben würden. "Wir haben bei den Sicherheitsbehörden angefragt. Aber wir haben keine Informationen bekommen. Es wäre sinnvoll, wenn es hier mehr Transparenz gebe“, sagte Mazyek der "Mitteldeutschen Zeitung“.

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Täglich kommen weitere Details ans Licht: Der sächsische Staatsschutz hat möglicherweise schon seit über einem Jahr Hinweise auf einen rechtsradikalen Hintergrund der Taten. Wie die „Dresdner Morgenpost“ berichtete, ließ das Landeskriminalamt im Juli 2010 eine Musik-CD der rechtsextremen Plattenfirma „PC Records“ indizieren, auf der ein „Döner-Killer“ und die Mordserie an neun Unternehmern türkischer und griechischer Herkunft besungen wird. Zudem würden darauf weitere Morde angedroht, schrieb die Zeitung.

Der Staatsschutz ermittelte dem Bericht zufolge zunächst wegen Volksverhetzung. Einen Hinweis an die wegen der Morde ermittelnde Sonderkommission "Bosporus“ in Nürnberg habe die Behörde nicht weitergegeben.

Mit Material von dpa und rtr