2008 starben bei einem Hausbrand in Ludwigshafen neun türkischstämmige Frauen und Kinder. Wird der Fall jetzt neu aufgerollt?

Berlin/Hannover/Karlsruhe/Baden-Baden. Die Ermittlungen zum Brand im Jahr 2008 in einem von Türken bewohnten Haus in Ludwigshafen werden womöglich neu aufgerollt. Sollten sich bei der Untersuchung zu den Hintergründen der bundesweiten Neonazi-Morde neue Anhaltspunkte für die Aufklärung ergeben, würden die Akten wieder geöffnet, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Lothar Liebig. Bei dem Feuer am 3. Februar 2008 waren neun türkischstämmige Frauen und Kinder getötet worden. Knapp ein halbes Jahr später hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt. Die Brandursache blieb ungeklärt. Vorsätzliche Brandstiftung oder einen Anschlag hatte die Ermittler ausgeschlossen. Mit Blick auf ungeklärte Verbrechen beobachten auch andere Staatsanwaltschaften im Land die Ermittlungen zu der rechtsextremen Gruppe.

Zwickauer Neonazi-Trio hatte offenbar auch Politiker im Visier

Die mutmaßliche rechte Zwickauer Terrorzelle hatte offenbar auch Politiker im Visier. Auf einer sichergestellten Liste mit potenziellen Zielen fanden die Ermittler unter anderen den Namen des CSU-Bundestagsabgeordneten Hans-Peter Uhl, wie sein Bundestagsbüro am Mittwoch in Berlin bestätigte.

"Spiegel Online“ und der "Tagesspiegel" hatten zuvor berichtet, dass die Liste mit den Namen und Adressen von 88 Personen auf einer Datei bei der Auswertung der Beweismittel gefunden worden sei. Neben Uhl sollen der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag sowie Vertreter türkischer und islamistischer Organisationen unter den aufgezählten Personen sein. Die Liste sei im Zusammenhang mit der DVD zu der Mordserie an acht Türken und einem Griechen gefunden worden, schrieb der "Tagesspiegel“ unter Berufung auf Sicherheitskreise.

+++ Rechtsterror gibt immer neue Rätsel auf +++

Die Zahl 88 besitzt im rechtsextremen Milieu zwei eindeutige Botschaften. Zum einen steht sie für die Doppelverwendung des achten Buchstaben des Alphabets ("H") und damit die Abkürzung des Hitlergrußes. Liest man das Alphabet von hinten, ist der achte Buchstabe das "S".

Montag bestätigte "Spiegel Online“, er habe sich beim Bundeskriminalamt (BKA) informiert, dort sei ihm der brisante Fund bestätigt worden. Vom BKA seien die Daten inzwischen an die Landeskriminalämter zur genaueren Gefahreneinschätzung gegangen. Montag zeigte sich besorgt. "Das ist ein schreckliches Gefühl für mich“, sagte er "Spiegel Online“. "Das ist nicht erledigt mit der Tatsache, dass die bekannten Mitglieder der Terrorzelle ausgeschaltet sind.“

Grüne fordern zentrale Gedenkfeier für die Opfer der Neonazi-Morde

Der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, fordert eine zentrale Gedenkfeier für die Opfer der rechtsextremistischen Mordserie. "Es bedarf jetzt starker Gesten, die klar machen, dass Menschen nicht-deutscher Herkunft gleicher und gleichberechtigter Teil unseres Landes sind“, sagte Özdemir "Spiegel Online“ am Mittwoch.

In der Regierung wird über eine Trauerfeier diskutiert. Denkbar sei, dass Bundespräsident Christian Wulff die Zeremonie ausrichte, berichtete das Onlinemagazin. Özdemir dringt auf eine rasche Entscheidung: Ein Staatsakt wäre "das richtige Signal“, sagte er. "Ich wünsche mir, dass der Bundespräsident ernsthaft darüber nachdenkt“, betonte Özdemir.

Niedersachsens Verfassungsschutz räumt Panne ein

Unterdessen haben Innenministerium und Verfassungsschutz in Niedersachsen bei der Fahndung nach der rechtsextremistischen Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) und der Beobachtung Holger G.s schwere Fehler in der Vergangenheit eingeräumt. Der als mutmaßlicher Komplize des Zwickauer Neonazi-Trios Uwe M. Uwe B. und Beate Zschäpe festgenommene Holger G. sei bereits im Herbst 1999 in Niedersachsen auf Bitten aus Thüringen drei Tage lang observiert worden, sagte Verfassungsschutzpräsident Hans Wargel am Mittwoch in Hannover.

+++ Niedersachsens fatale "Dienstleistung an Thüringen" +++

+++ Der Spitzel muss ein Mitläufer sein +++

Der Verdacht sei damals gewesen, dass Holger G. dem untergetauchten Terror-Trio ein Quartier im Ausland vermitteln wollte. Ein Bericht zu der Observation, bei der keine konkreten Erkenntnisse gewonnen werden konnten, sei mit dem Vermerk "Rechtsterrorismus“ und den Namen der drei Thüringer an das dortige Landesamt abgegeben worden. In Niedersachsen wurden keine weiteren Maßnahmen ergriffen.

+++ NSU: Eine Spur führt zum Verfassungsschutz +++

Der heute 37-jährige Holger G. später lediglich als Mitläufer eingestuft worden, so Wargel. "Hier drängen sich einige Fragen auf, warum beim Begriff Rechtsterrorismus nicht alle Alarmglocken angegangen sind“, sagte Innenminister Uwe Schünemann (CDU). Warum der Staatsschutz nicht eingeschaltet und keine Telefonüberwachung angeordnet wurde, müsse untersucht werden. Schünemann machte klar, dass man damals hätte handeln müssen.

+++ Ex-Verfassungsschützer wehrt sich und beschuldigt Polizei +++

Die Observation selber sei ergebnislos gewesen und der entsprechende Bericht in Niedersachsen nach drei Jahren gelöscht worden, sagte Wargel. Die Behörden in Thüringen jedoch hätten den Bericht bis heute bewahrt gehabt.

Griesbaum: Keine Hinweise für Kooperation mit Verfassungsschutz

Der amtierende Generalbundesanwalt Rainer Griesbaum indes sieht offenbar keine Hinweise für eine Zusammenarbeit der beiden inhaftierten Terrorverdächtigen Beate Zschäpe und Holger G. mit dem Verfassungsschutz. Auf die Frage, ob es Hinweise gebe, dass die beiden in irgendeiner Weise mit dem Thüringer Verfassungsschutz kooperiert haben, sagte Griesbaum in einem Interview der "Badischen Neuesten Nachrichten“ (Mittwochausgabe) in Karlsruhe: "Uns liegen keine Anhaltspunkte vor, die diese Behauptung stützen könnten.“

Zschäpe wird die Gründung und Mitgliedschaft in der NSU vorgeworfen, Holger G. soll die Gruppierung unterstützt haben, die für bundesweit mindestens zehn Morde und einen Nagelbombenanschlag in Köln verantwortlich sein soll.

Rechter Verfassungsschützer arbeitete zwölf Jahre für die Behörde

Auch in Hessen wird über die Rolle des Verfassungschutzes im Ermittlungsverfahren des rechtsextremistischen Terrors disktutiert. Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) hat SPD und Grünen eine Mitverantwortung für die Einstellung eines mutmaßlich rechtsextremen Verfassungsschützers in Hessen vorgeworfen. Der besagte Mitarbeiter sei "im Jahr 1993 oder 1994 eingestellt“ worden und habe zwölf Jahre im Verfassungsschutz gearbeitet, sagte Bouffier am Mittwoch in der Haushaltsdebatte im Wiesbadener Landtag.

"Es ist offenkundig keiner vorher auf die Idee gekommen, dass es da Verbindungen geben könnte“, betonte Bouffier mit Blick auf die bis 1999 reichende Regierungszeit von SPD und Grünen. Bouffier betonte, seine schwarz-gelbe Regierung nehme die Gewalt „von links oder rechts oder wo sie sonst immer herkommt“, sehr ernst. "Wir haben selbst das allergrößte Interesse, alle Fakten auf den Tisch zu legen, wie wir sie haben“, fügte er hinzu.

Leutheusser-Schnarrenberger schlägt Verzicht auf V-Leute vor

Derweil schlägt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger einen Verzicht des Verfassungsschutzes auf sogenannte V-Leute zur Überwachung der rechtsradikalen Szene vor. Der Einsatz von bezahlten Informanten, "die in einer Grauzone arbeiten, die ja meist aus der Szene selbst kommen“, sei etwas, "was allen rechtsstaatlich Denkenden irgendwo unangenehm aufstößt“, sagte die FDP-Politikerin am Mittwoch dem SWR2 in Baden-Baden.

Auch hält sie ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD für aussichtslos, "solange V-Leute auf Vorstandsebenen der NPD platziert sind.“ Allerdings liege die Entscheidung über einen Abzug der V-Leute in der alleinigen Verantwortung der Innenminister.

Beckstein warnt vor Abzug der V-Leute aus der NPD

In der Debatte über ein NPD-Verbot warnt der ehemalige bayerische Innenminister und Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) vor einem Abzug der V-Leute des Verfassungsschutzes aus der Partei. Dies wäre "ein Fehler“, sagte Beckstein am Mittwoch im Bayerischen Rundfunk. Er fügte hinzu: "Wir brauchen ein solches Frühwarnsystem, gerade bei einer solch gewaltbereiten Partei wie der NPD.“

Das erste NPD-Verbotsverfahren war vor dem Bundesverfassungsgericht wegen der V-Leute gescheitert. Beckstein ist zwar für ein Verbot der Partei, hält ein neues Verfahren aber nur dann für sinnvoll, wenn "das Bundesverfassungsgericht seine Hürden herabsetzt“.

Mit Material von dpa, dapd, epd und kna