Umweltminister Röttgen und Länder sehen Wendland nicht mehr als einziges mögliches Endlager - Erkundung des Salzstocks geht aber weiter.

Berlin. Für die Anwohner des geplanten Atomendlagers Gorleben könnte es das Licht am Ende des Tunnels sein: Am Freitag haben sich Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) und die Vertreter der 16 Bundesländer darauf geeinigt, künftig auch außerhalb des niedersächsischen Wendlands nach geeigneten Standorten zu suchen. Vor allem die süddeutschen Bundesländer hatten sich jahrelang gegen eine bundesweite Suche nach Alternativstandorten gesperrt. "Es besteht die einmalige Chance, auch in der Frage der nuklearen Entsorgung einen nationalen Konsens zu erzielen", sagte der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister (CDU) dem Hamburger Abendblatt. Niedersachsen hat diesen Prozess angestoßen.

Ähnlich optimistisch äußerte sich der Grünen-Fraktionschef und Gorleben-Gegner Jürgen Trittin im Abendblatt: "Wir haben zum ersten Mal die Chance seit drei Jahrzehnten, zu so etwas zu kommen wie dem Endlagerkonsens", sagte Trittin. Seiner Ansicht nach ist das allerdings der Verdienst des grünen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann.

Atomkraftgegner kritisieren die Gespräche von Bund und Ländern dennoch scharf. Es handele sich dabei um "reines Theater", sagte die Sprecherin der Initiative "X-tausendmal quer", Luise Neumann-Cosel, in Gorleben. Denn der Salzstock unter ihren Füßen könnte nach wie vor zum Endlager werden. Die Gorleben-Kritiker bemängeln ein fehlendes Deckgebirge über dem Salzstock sowie die Gefahr von einströmendem Gas und eindringendem Grundwasser.

+++ Zulasten von Gorleben +++

+++ Warum die Erkundung im Wendland so lange dauert +++

+++ Castor: Polizei beginnt mit Sicherungsmaßnahmen +++

Ungeachtet dieser Kritik einigte sich die Berliner Runde darauf, Gorleben weiterhin auf seine Eignung zu überprüfen. Einen Baustopp, wie ihn auch Trittin fordert, scheint es damit nicht zu geben. Solange der aber nicht verfügt werde, glaube man der Neustart-Ankündigung von Röttgen nicht, erklärte die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. "Man muss Gorleben bei der Endlagersuche aus dem Topf nehmen, sonst ist das Verfahren zum Scheitern verurteilt", sagt auch Tobias Münchmeyer von Greenpeace. "Dann wäre die Ausgangslage weder fair noch ergebnisoffen." Münchmeyer fordert zudem eine Absage des bevorstehenden Castor-Transports nach Gorleben und eine gesellschaftliche Debatte über Standortkriterien.

Es müsse klar sein, dass über keinen Standort entschieden wird, "bevor nicht ein Vergleich mit anderen Standorten vorgenommen worden ist", betonte dagegen Röttgen und sprach von einem "Entscheidungsmoratorium". Wenn es nach ihm gehe, werde gesetzlich festgelegt, dass es keine vollendeten Tatsachen für Gorleben gibt. "Es geht darum, den sichersten Standort für radioaktive Abfälle in Deutschland zu finden." Es gebe "keine Tabus", versicherte der CDU-Politiker und sprach von einer "weißen Landkarte".

Wie das Auswahlverfahren genau ablaufen würde, blieb am Freitag zunächst offen, ebenso, wann weitere Standorte untertägig erkundet werden sollten. Noch im November solle eine Arbeitsgruppe aus acht Ländern und dem Bund ihre Arbeit aufnehmen. Im Dezember sollen alle Länder noch einmal zu Beratungen zusammenkommen. Röttgen stellte bis zum Sommer ein Endlagersuchgesetz in Aussicht, das von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden solle. Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann (Grüne) sprach von einer einmaligen Chance für einen Endlagerkonsens. "Schuldfragen sind nicht produktiv", sagte er mit Blick auf Fehler der Vergangenheit bei Gorleben. Es gehe nun um einen von allen gewollten Neubeginn. Auch Gorleben solle im Spiel bleiben, unter anderem, "weil wir Salzstöcke grundsätzlich für geeignet halten". Man dürfe keine Option von vornherein ausschließen. Kretschmann sagte: "In diesen Fragen muss Sicherheit, Klarheit und Kontinuität über die Parteigrenzen hinweg bestehen."

Kretschmann brachte auch eine Volksabstimmung über ein Atommüll-Endlager ins Gespräch. Dies könne für eine größere Legitimation sinnvoll sein. "Wenn es ein nationaler Konsens ist, den wir da treffen, dann könnten wir auch nur national darüber abstimmen", sagte Kretschmann im Deutschlandradio Kultur. Er schränkte aber zugleich ein: "Im Grundgesetz sind solche Abstimmungen bisher überhaupt nicht vorgesehen."

Auch Bayern zeigte seine Bereitschaft, bei null anzufangen: "Die Geologie ist das entscheidende, nicht die Geografie", sagte Umweltminister Marcel Huber (CSU). Bayern hatte früher kategorisch eine neue Suche ausgeschlossen, nach dem Atomausstiegsbeschluss aber neue Offenheit gezeigt.

Es bestehe die einmalige Chance, auch in der Frage der nuklearen Entsorgung einen nationalen Konsens zu erzielen. Niedersachsens Ministerpräsident McAllister (CDU) sagte, es werde ein ambitionierter und sensibler Weg über mehrere Jahre. Es gebe jetzt eine Vielzahl an Fragen zu klären. Etwa ob es ein Tiefenlager geben soll oder nicht, ob der Müll in Salz, Ton oder kristallinem Gestein eingelagert werden soll und ob die Lagerung rückholbar gestaltet werden soll. Das sei letztlich eine Entscheidung, die Bundesrat und Bundestag zu treffen hätten - unter Beteiligung der Gesellschaft und wissenschaftsbasiert. "Wir müssen die Endlagerforschungskapazitäten in Deutschland weiter ausbauen", sagte McAllister. Bei Gorleben gebe es die "Erkundung auf der einen Seite und einen Entscheidungsvorbehalt auf der anderen Seite".

Niedersächsische Oppositionspolitiker forderten auch einen Erkundungsstopp für Gorleben. "Wir dürfen keine Zeit und kein weiteres Geld in Gorleben verbrennen", sagte der atompolitische Sprecher der SPD, Marcus Bosse, im niedersächsischen Landtag. McAllisters Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) warf der Bundesregierung unterdessen vor, mit der Erarbeitung des geplanten Atomendlager-Suchgesetzes in Verzug zu sein, dessen Entwurf bis Ende des Jahres vorliegen soll.

"Man hätte im Sommer sofort darangehen müssen, ein Gesetz zu erarbeiten und mit uns Ländern abzustimmen", sagte der FDP-Politiker der "Berliner Zeitung". Nach Sanders Vorstellungen könnte auch eine ganz andere Lösung in der Endlagerfrage gefunden werden: Indem man gar kein echtes Endlager sucht, sondern Atommüll rückholbar lagert. Dafür kämen Bunker oder abgeschaltete Atomkraftwerke infrage, sagte Sander.