SPD erhält 28,3 Prozent der Stimmen und ist klarer Wahlsieger in Berlin. Fiasko für die FDP, Piraten erstmals im Parlament. Grüne legen zu.

Berlin. Nach dem Wahlerfolg seiner Partei spürt Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit "Rückenwind“ für die SPD im Bund. Die SPD, die in den Ländern "sehr stark“ sei, "kann gewinnen und sie gewinnt“, sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende am Montag vor einer Präsidiumssitzung in Berlin. Die Sozialdemokraten seien die "eindeutige Alternative“ zur desolaten schwarz-gelben Bundesregierung. Das desaströse Abschneiden der Liberalen bei der Abgeordnetenhauswahl kommentierte Wowereit mit den Worten: "Die Bürger lassen sich nicht mit Populismus vor den Karren der FDP spannen.“ Die SPD hatte die Berlin-Wahl trotz Einbußen klar gewonnen. Der bisherige Regierungschef Wowereit kann zwischen den Grünen und der CDU als neuem Koalitionspartner wählen. Neue Kraft im Parlament ist die Piratenpartei. Die FDP ist nicht mehr vertreten.

Trotz leichter Verluste blieben die Sozialdemokraten nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis mit 28,3 (2006: 30,8) Prozent stärkste Kraft in Berlin - gefolgt von der CDU, die zulegen konnte und mit 23,4 Prozent (+ 2,1 Prozent) einen versöhnlichen Schlusspunkt unter das von vielen Pleiten geprägte Superwahljahr setzen konnte. Die Grünen mit Spitzenkandidatin Renate Künast erzielten mit 17,6 Prozent (+ 4,5 Prozent) zwar ihr bisher bestes Berlin-Ergebnis, blieben aber dennoch hinter den Erwartungen zurück. Zu den Verlierern zählt neben der FDP (1,8 Prozent) die bisher an der Regierung beteiligte Linke, für die sich nur noch 11,7 (2006: 13,4) der stimmberechtigten Berliner entschieden. Die FDP scheiterte mit einem Minus von 5,8 Punkten klar an der Fünf-Prozent-Hürde. Die Linke dagegen entsendet 20 Kandidaten in das neue Abgeordnetenhaus.

Neu im Parlament ist die Piratenpartei , die auf Anhieb 8,9 Prozent erreichte. Sie erhält 15 Sitze - genau so viele Kandidaten hatte die Partei auf ihrer Liste. Die Wahlbeteiligung verbesserte sich leicht auf 60,2 Prozent (+2,2 Prozentpunkte). Klaus Wowereit, der schon seit Mitte 2001 an der Spitze des Berliner Senats steht, will nun in der kommenden Woche sowohl die Grünen als auch die CDU zu Sondierungsgesprächen über eine Koalition einladen. Die größere inhaltliche Schnittmenge gebe es dabei mit den Grünen, sagte er im ZDF.

+++ SO HABEN DIE BERLIN IN IHREN WAHLLOKALEN GEWÄHLT +++

Die Mehrheit für SPD und Grüne wäre jedoch knapp. Nach dem vorläufigen Endergebnis der Landeswahlleiterin erhält die SPD 48 Sitze, die Grünen 30. Gemeinsam hätten sie einen Sitz mehr als die absolute Mehrheit von 77 Sitzen. In einer Koalition mit der CDU, die 39 Sitze erhält, hätte Wowereit eine komfortablere Mehrheit. Der Amtsinhaber sieht jedoch die größeren inhaltlichen Schnittmengen mit den Grünen.

Zur Frage, ob er 2013 als Kanzlerkandidat der SPD bereitstehe, sagte Wowereit, er habe soeben einen Regierungsauftrag von den Berliner Bürgern erhalten, den er erfüllen wolle. CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel sagte in der ARD: "Heute ist ein erfolgreicher Tag für die CDU." Mit der Abwahl von Rot-Rot habe die Partei ihr wichtigstes Wahlziel erreicht. Grünen-Spitzenkandidatin Künast zog eine gemischte Bilanz. "Wir haben noch mehr gewollt und nicht alle Ziele erreicht, aber wir bleiben dran." FDP-Generalsekretär Christian Lindner verordnete seiner Partei nach der bitteren Niederlage eine "Phase der Nachdenklichkeit". Er empfehle, "das Ergebnis in Demut aufzunehmen". Lindner räumte ein, dass das Wahlergebnis nicht nur für die Berliner Liberalen, sondern für die FDP insgesamt eine Niederlage sei. FDP-Chef Philipp Rösler äußerte sich am späten Abend in der ARD-Sendung "Günther Jauch". "Da ist noch deutlich Spielraum nach oben", sagte er.

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Die eigentliche Überraschung bei der Landtagswahl waren die "Piraten". Aus dem Stand heraus übersprang die Piratenpartei am Sonntag die Fünf-Prozent-Hürde und zog souverän in das Abgeordnetenhaus der Hauptstadt ein . Mit spektakulären neun Prozent der Stimmen waren die Piraten sogar fast fünfmal so stark wie die FDP, die mit nicht einmal zwei Prozent in die Bedeutungslosigkeit abrutschte und zum fünften Mal aus einem Landesparlament gewählt wurde. Die Bürger sehnten sich offensichtlich "nach einer anderen Art Politik", sagte der 33 Jahre alte Spitzenkandidat der Piratenpartei, Andreas Baum. Die erst 2006 gegründete Partei, deren Schwerpunkte bei Internetthemen liegen, zieht zum ersten Mal in ein deutsches Landesparlament ein. Der Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer hält den Erfolg der Piratenpartei bei der Abgeordnetenhauswahl für ein "spezifisches Berliner Produkt“. Bereits bei der Bundestagswahl 2009 habe die Partei in der Hauptstadt gute Ergebnisse erzielt. "Sie ist eine großstädtische Gruppierung“, sagte Neugebauer der Nachrichtenagentur dapd.

Bei der Arbeit im der Arbeit im Parlament werde die Piratenpartei voraussichtlich Probleme bekommen, da sie sich bisher nur einzelnen Themen angenommen habe. "Es kann aber auch sein, dass sie die Sache aussitzen und sich auf ihre Außenseiterrolle konzentrieren“, fügte Neugebauer hinzu. Es sei nicht sicher, ob die Partei durch die politische Praxis entzaubert werde. Die Bundes-FDP sieht er nach der Wahlschlappe am Scheideweg. "Sie muss sich jetzt entscheiden, ob sie sich regierungskonform verhält oder aus der Regierung aussteigt.“ Neuwahlen sollte sie jedoch vermeiden. "In diesem Fall ist die FDP weg vom Fenster“, sagte Neugebauer. Den Wahlsieg habe die SPD vor allem ihrem Spitzenkandidaten Klaus Wowereit zu verdanken. "Wowereit hat sich mit der Herausforderung durch Renate Künast darauf besonnen, dass er ein guter Wahlkämpfer ist.“ Dennoch sei das Konzept der Berliner SPD nicht ganz aufgegangen. Es sei nicht deutlich geworden, wie die Partei die Probleme in der Stadt wirklich lösen wolle.

Mit Material von dpa und dapd