Mecklenburg-Vorpommern kämpft 20 Jahre nach der Wende gegen den Bevölkerungsrückgang, Arbeitslosigkeit und den Fachkräftemangel.

Berlin. Wenn in diesen letzten Tagen vor der Wahl Spitzenpolitiker aus Berlin in den Nordosten kommen, geht es neben der Mobilisierung natürlich auch um schöne Bilder. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach jüngst vor dem Leuchtturm in Rostock-Warnemünde für die CDU, Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) war bei der Mecklenburger Metallguss (MMG) an der Müritz zu Besuch, um riesige goldene Schiffsschrauben zu begutachten. Das wahlkämpfende Mecklenburg-Vorpommern zeigt, was es hat. Touristenhochburgen und die maritime Wirtschaft gehören in jedem Fall dazu.

Für die neue Landesregierung allerdings wird die neue Legislaturperiode nicht so einfach werden, wie manche Bilder vermuten lassen. Auch 20 Jahre nach der Wende muss das Land noch mit einigen wirtschaftlichen Problemen kämpfen - die Arbeitslosigkeit gehört seit Jahren zu den größten und wichtigsten. Im Juli 2011 betrug die Arbeitslosenquote 11,7 Prozent. Bundesweit lag dieser Wert bei sieben Prozent, unter den Flächenländern führt Mecklenburg-Vorpommern die Statistik an. Umfragen zeigen, dass auch die Wähler die mangelnde Beschäftigung als das wichtigste Problem im Land ansehen: Für 69 Prozent hat die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit höchste Priorität. Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD), der auch weiter Landeschef bleiben möchte, wirbt deshalb damit, die Quote bereits ein ganzes Stück gedrückt zu haben - doch sei die wichtigste Aufgabe der nächsten fünf Jahre weiterhin, "die Wirtschaftskraft des Landes zu stärken, damit Arbeitsplätze entstehen".

Die Bedeutung dieses Themas war schon bei der letzten Landtagswahl im Nordosten immens, und auch was andere Probleme im Land betrifft, bleibt vieles beim Alten. Denn durch Abwanderung vor allem junger Leute nach Hamburg und Schleswig-Holstein und durch eine wachsende Zahl von Rentnern bekommt Mecklenburg-Vorpommern die Folgen des demografischen Wandels schon jetzt zu spüren. Derzeit nimmt die Zahl der Beschäftigungsfähigen im Land jedes Jahr um rund 14 000 ab. Trotz der hohen Arbeitslosigkeit macht sich deshalb auch der Fachkräftemangel bemerkbar. 2009 hat die Große Koalition deshalb eine landesweite Initiative gestartet. Großes Thema ist bei SPD, Linke und Grünen die Einführung eines Mindestlohns. Nirgendwo anders werden derzeit so niedrige Löhne gezahlt wie in Mecklenburg-Vorpommern.

Kontinuität wird es wohl auch im Schweriner Schloss geben, dem Sitz des Landesparlaments. Seit 2006 regieren SPD und CDU relativ geräusch- und skandalfrei, und die Chancen sind gut, dass Sellering nach dem 4. September in seine zweite Amtsperiode starten wird. Die SPD liegt in den Umfragen mit 34 Prozent vorn; er wird sich den Koalitionspartner am Ende aussuchen können: Entweder regiert er weiter mit der CDU (27 Prozent), oder die SPD versucht es noch einmal mit der Linken (17 Prozent), mit der sie bereits von 1998 bis 2006 koalierte. Während die Partei im Westen häufig mit dem Ruf eines Schmuddelkindes von links außen belegt ist, ist das im Nordosten anders. Sollten es FDP und NPD (beide fünf Prozent) nicht in den Landtag schaffen, wäre für die SPD auch eine Koalition mit den Grünen (sieben Prozent) drin.

Schon allein deshalb verläuft der Wahlkampf friedlich, wenn nicht sogar langweilig. Zu scharf können sich die Parteien nicht angreifen, immerhin will man nach dem Votum ja zusammenarbeiten. Auf der anderen Seite fehlt jedoch auch ein Gegner, der Sellering tatsächlich gefährlich werden könnte. Die Beliebtheitswerte von CDU-Herausforderer Lorenz Caffier sind mangelhaft - 17 Prozent der Wähler bevorzugen ihn, der Amtsinhaber kommt auf 62 Prozent. Der kurz über die Landesgrenzen hinaus bekannt gewordene Slogan "C wie Zukunft" hat die Situation nicht verbessern können. Innerparteilich wäre nur Landessozialministerin Manuela Schwesig eine ernst zu nehmende Konkurrenz zu Sellering. Ambitionen auf den Posten der Landeschefin hat sie allerdings noch nicht gezeigt.

Insgesamt 337 Kandidaten von 16 Parteien bewerben sich um einen der 71 Abgeordnetenplätze. Große Freiheiten werden die Parlamentarier aber nicht haben, der Gestaltungsspielraum des neuen Landtages ist finanziell eng begrenzt. Mecklenburg-Vorpommern stehen weniger Solidarpaktmittel und EU-Zuwendungen zur Verfügung. Das Land muss zudem weiter sparen, der demografische Wandel dezimiert auch die Steuereinnahmen. Doch bereits seit 2006 wurden keine neue Schulden mehr aufgenommen, zudem eine Schuldenbremse im Landesgesetz verankert. "Damit bekennen wir uns zu unserer Verantwortung gegenüber kommenden Generationen", so Sellering. Die Last Mecklenburg-Vorpommerns liegt derzeit bei 10 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Hamburgs Schuldenstand beläuft sich auf rund 24 Milliarden Euro, der von Nordrhein-Westfalen sogar auf mehr als 130 Milliarden. Für den Nordosten gab es deshalb zuletzt sogar Lob von der Kanzlerin: Die Schuldenpolitik des Landes habe "Vorbildfunktion" für andere Länder und die gesamte Bundespolitik, meinte Merkel.

Die Kanzlerin kann der Wahl am Sonntag alles in allem gelassen entgegenblicken. Zwar wäre ein gutes Ergebnis in Zeiten von Euro- und Richtungsdebatte ein nötiger Motivationsschub; allerdings ist klar, dass es höchstens auf eine weitere Regierungsbeteiligung hinauslaufen wird. Und selbst wenn die CDU weitere fünf Jahre mit der SPD zusammenarbeiten wird, muss Schwarz-Gelb nach wie vor auf eine eigene Mehrheit im Bundesrat verzichten.