Geiselnahme im Reichstag, Attentate auf Hotels - Experten debattieren Szenarien von befürchteten Terrorakten. Einiges bleibt aber Spekulation

Hamburg/Berlin. Der "Gotteskrieger" meldete sich per Telefon beim Bundeskriminalamt. Terroristen planten den Sturm auf den Reichstag, dabei sollten auch Geiseln genommen werden. Zwei Mitglieder der Terrorgruppe seien bereits in Deutschland, andere warteten im Ausland auf die Einreise. Das berichtete der "Spiegel". Es ist eines der Szenarien, die seit der dramatischen Terrorwarnung von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) am vergangenen Mittwoch an die Öffentlichkeit dringen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagierte und rief zu erhöhter Wachsamkeit auf. "Wir haben eine reale Gefährdung durch den Terrorismus, das muss man einfach sehen", sagte Merkel am Rande des Nato-Gipfels am Sonnabend in Lissabon. Und dennoch hielt sie den gruseligen Meldungen über geplante Anschläge trotzig einen Aufruf zur Besonnenheit entgegen. Die Menschen dürften sich nicht einschüchtern lassen. "Wir sind entschlossen, uns unsere Lebensweise der Freiheit nicht durch solche Bedrohungen nehmen zu lassen", sagte Merkel. Auch der designierte Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, warnte vor Panikmache. Gleichzeitig forderte er eine Debatte über vorbereitende Maßnahmen für den Fall eines Anschlags in Deutschland: "Denn im Vergleich zu Ausnahmesituationen wie Amokläufen an Schulen haben die Sicherheitsbehörden den Einsatz bei Terroralarm bisher wenig trainiert", sagte Witthaut dem Hamburger Abendblatt. "Hier haben wir Defizite."

Durch das verwirrende Gestrüpp von Informationen aus Sicherheitskreisen und Geheimdienstquellen zieht sich ein roter Faden: Die Behörden halten unterschiedliche Szenarien für möglich, teils mit hier ansässigen Attentätern, teils mit Islamisten aus dem Ausland. Laut "Spiegel" hat der "Gotteskrieger" dem BKA am Telefon berichtet, eine mit al-Qaida paktierende Terrorgruppe habe vor sechs bis acht Wochen zwei Terroristen nach Deutschland geschickt. Beide sollen sich im Raum Berlin aufhalten, wo sie auch herstammen.

Ihr Auftrag: ein Bombenanschlag etwa mit einem Handy als Zeitzünder auf eine Menschenmenge in einer großen Stadt, womöglich einen Weihnachtsmarkt oder ein Hotel. Oder eben: der Sturm eines Terrorkommandos auf den Reichstag. Vier Komplizen sollen noch in Ausbildungscamps auf ihre Abreise warten.

Und es gibt noch eine Version über die möglichen Anschlagspläne: die des FBI. Die US-Bundespolizei warnt laut "Spiegel" vor einer schiitisch-indischen Gruppe namens Saif (Schwert), die einen Pakt mit der sunnitischen al-Qaida geschlossen habe. Sie soll fünf ihrer Männer zur Ausbildung in die pakistanische Provinz Wasiristan geschickt haben. Von dort seien nun zwei Freiwillige in Marsch gesetzt worden. Sie sollten am heutigen Montag in den Vereinigten Arabischen Emiraten ankommen und mit neuen Papieren ausgestattet nach Deutschland reisen. Sie hätten bereits Visa für den Schengen-Raum. Über diese Pläne berichtet auch die ARD-Sendung "Report Mainz", die sich auf ein Papier des BKA beruft.

Zu den Schlagzeilen über ein geplantes Blutbad im Reichstag sah sich selbst der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, zur Stellungnahme genötigt. Er nannte den Bericht "hochspekulativ" und grenzwertig. Ziercke machte auch deutlich, dass ihm die detaillierten Medienberichte nicht passen. Verdeckte Ermittlungen und Quellen der Behörden könnten gefährdet werden. Ein Dementi dieser Informationen klingt allerdings anders.

Wie glaubwürdig diese Quellen sind, ist schwer abzuschätzen. Der "Gotteskrieger", der sich beim BKA per Telefon meldete, will angeblich aus der Terrorszene aussteigen und nach Deutschland zu seiner Familie zurückkehren. Unter welchem Druck oder Einfluss er steht, ist unklar. Ähnlich ist es bei den Informationen der US-Ermittler. FBI und BKA halten sie laut "Spiegel" für bedeutsam, der Auslandsgeheimdienst CIA, der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz seien dagegen skeptisch. So gilt eine Zusammenarbeit der sunnitischen al-Qaida mit schiitischen Extremisten wegen der unterschiedlichen religiösen Auffassungen als schwer vorstellbar.

Der Bundestag soll am Dienstag über die Situation informiert werden. Grünen-Chef Cem Özdemir lobte den Innenminister. "Ich bin vor allem froh, dass Herr de Maizière die momentane Sorge vor Terroranschlägen nicht zur parteipolitischen Kampagne nutzt. Wir machen das genauso", sagte Özdemir der "Leipziger Volkszeitung". Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) forderte die FDP erneut auf, der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung zuzustimmen. "Wir müssen auf die Verbindungsdaten von Telefongesprächen und der Internetkommunikation zugreifen können, um den Terrorismus noch besser bekämpfen zu können", sagte er der "BZ am Sonntag". Die FDP ist gegen neue Sicherheitsgesetze als Reaktion auf jüngste Terrorwarnungen.