Union und FDP kritisieren Schlichter Heiner Geißler im Streit um Großprojekt Stuttgart 21. 23.000 Menschen bei Montagsdemonstration.

Stuttgart/Berlin. Er ist der Vermittler im heftigen Streit um das Bahngroßprojekt Stuttgart 21: Heiner Geißler, 80 Jahre alt, soll als Streitschlichter die Wogen glätten, doch erntet er mit seiner Kritik an „ Basta-Entscheidungen “ bei dem Milliardenprojekt heftigen Widerspruch. CDU, FDP und Städtetag wehrten sich am Montag gegen den Eindruck, das Bahnvorhaben sei gegen den Willen der Bürger durchgedrückt worden. Der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) stützte jedoch die These Geißlers, dass Großprojekte künftig anders vorbereitet und erklärt werden müssten. Indes empfahl der SPD-Politiker und Städtetagspräsident Ivo Gönner, bei der Landtagswahl entweder für die CDU oder die SPD zu stimmen, um Stuttgart 21 durchzusetzen. „Dieses Projekt ist nicht durch Basta entschieden worden, sondern durch einen 15-jährigen Prozess“, sagte CDU-Generalsekretär Thomas Strobl. Mit Blick auf den Regierungsstil von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) ergänzte er: „Basta war Schröder, nicht Mappus.“ Er kritisierte die SPD für ihre Forderung nach einem Volksentscheid. „Die SPD ist eine Partei, die zugleich dafür und dagegen ist.“ Der Generalsekretär der Bundes-CDU, Hermann Gröhe, versprach weiteren Rückenwind für das Projekt aus Berlin. „Das ist für die CDU fundamental: Dass wir uns hinstellen, wenn wir von etwas für dieses Land überzeugt sind.“

Im Schlossgarten neben dem Stuttgarter Hauptbahnhof machten am Abend tausende Demonstranten erneut ihrem Unmut gegen das umstrittene Bahnprojekt Luft. Nach Angaben der Veranstalter versammelten sich rund 23.000 Menschen zu der sogenannten Montagsdemonstration, die Polizei sprach von rund 10.000 Teilnehmern. Der Protestzug verlief diesmal friedlich. Kaum ein deutsches Infrastrukturprojekt sei in den vergangenen Jahren so ausführlich diskutiert worden wie Stuttgart 21, sagte der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Patrick Döring, in Berlin. Zudem habe es seit Mitte der 90er Jahre zahlreiche Wahlen im Land gegeben, bei denen die Befürworter von Stuttgart 21 eine deutliche Mehrheit bekommen haben. „Demokratie ist am Ende auch die Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit.“

Städtetagschef Gönner monierte, Geißler erwecke den Eindruck, als sei das Verfahren „höchst undemokratisch und unrechtsstaatlich“ erfolgt. „Ich halte die Einschätzung nicht für zukunftsfähig“, sagte Gönner. Mappus sagte, Geißler habe recht, wenn er sage, dass mangelnde Kommunikation Hauptursache für den Konflikt um das Milliardenprojekt sei. „Der Umkehrschluss ist, dass Großprojekte auch nach meiner Meinung, so wie es bisher war, nicht mehr durchsetzbar sind.“ Stuttgart 21 stehe grundsätzlich nicht infrage. Die Menschen müssten aber in regelmäßigen Etappen einbezogen werden: „Es ist offensichtlich nicht hundertprozentig gelungen, sonst hätten wir das Problem jetzt nicht.“

Der erfahrene Tarifschlichter Geißler hatte am Wochenende die Entscheidungsprozesse bei dem 4,1 Milliarden Euro teuren Bahnprojekt kritisiert, weil die Bürger nicht eingebunden worden seien. „Die Schlichtung ist ein deutliches Signal dafür, dass in Deutschland die Zeit der Basta-Entscheidungen vorbei ist“, hatte er gesagt. Aus Ärger über den Widerstand gegen Stuttgart 21 und die Neubaustrecke nach Ulm gab Städtetagspräsident Gönner eine doppelte Wahlempfehlung ab: Nur wenn CDU und SPD bei der Landtagswahl am 27. März 2011 vorne lägen, werde das Bahnprojekt auch verwirklicht. „Ich werbe dafür, dass die SPD, die in der Sache dafür ist, stark wird. Und ich werbe dafür, dass die CDU stark wird, weil sie dafür ist“, sagte Gönner der dpa. Er kritisierte erneut, dass seine Partei einen Volksentscheid über das Projekt fordert. Die Grünen dürften auf keinen Fall gestärkt werden. Im Lager der Gegner gibt es indes weitere Risse: Grünen- Fraktionschef Winfried Kretschmann sieht die vorübergehende Besetzung des Südflügels des Hauptbahnhofes durch Stuttgart-21-Gegner kritisch. „Denn es herrscht ja Friedenspflicht, und diese Aktion könnte die Gespräche beeinträchtigen“, sagte er.

Am Sonnabend hatten etwa 60 Menschen vorübergehend den Südflügel besetzt, der für das umstrittene Milliardenprojekt Stuttgart 21 abgerissen werden soll. CDU-Generalsekretär Strobl sprach von „Rechtsbruch und Straftaten“, die mit Friedenspflicht sicherlich nichts zu tun hätten. Den Besetzern drohen nach Angaben der Polizei bis zu einem Jahr Haft oder Geldstrafen. Grünen-Chef Cem Özdemir machte derweil erneut Front gegen das Projekt: „Stuttgart 21 ist kein Bahnprojekt, sondern eines von großmännischen Politikern, die die Bahn zuvor systematisch kaputt gemacht haben. Durch eine Politik, die einseitig auf den Börsengang gesetzt hat und auf einen Rückzug der Bahn aus der Fläche“, sagte er der Berliner „tageszeitung“ (Dienstag). Kretschmann forderte die SPD-Fraktion auf, den Weg für den Untersuchungsausschuss zu dem harten Polizeieinsatz gegen Stuttgart-21-Gegner frei zu machen. Sonst werde sich die SPD „immer weiter blamieren“.

Am Sonnabend hatte der SPD-Parteitag in Ulm die Fraktion zu einer härteren Gangart bei der Aufklärung des Einsatzes am 30. September im Schlossgarten mit vielen Verletzten aufgefordert. Ein SPD-Sprecher sagte, die Entscheidung werde am Dienstag bei der Fraktionssitzung fallen. Vor dem Landtag protestierten etwa 100 Demonstranten mit einem vier Meter langen Schaumstoffkrokodil – genannt „Mappus-Schnappus“ - gegen Stuttgart 21. Sie wollten dem Regierungschef mehr als 90.000 Unterschriften gegen das Projekt übergeben. Dieser hatte sich nach Angaben der Organisatoren aber geweigert, sich mit den Demonstranten zu treffen. Daraufhin skandierten die Protestler „Mappus weg“.

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Geißler: "Zeit der Basta-Entscheidungen sind vorbei"

Heiner Geißler, der Schlichter im Konflikt um "Stuttgart 21" , hat die Entscheidungsprozesse für das umstrittenen Bahnbauvorhaben scharf kritisiert. "Staatliche Entscheidungen bei solch gravierenden Projekten ohne Einbindung der Bürger gehören dem vorherigen Jahrhundert an", sagte der frühere CDU-Generalsekretär. Auch der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Hans-Peter Friedrich, kritisierte die mangelnde Einbeziehung der Bevölkerung in das Projekt. FDP-Chef Guido Westerwelle warnte vor dem Hintergrund des starken öffentlichen Widerstands gegen den Umbau des Kopfbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation vor einer "Nichts-geht-mehr-Republik". Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin kündigte derweil an, seine Partei werde sich für ein Stopp von "Stuttgart 21" einsetzen, falls die Schlichtung scheitert und die Grünen bei der Landtagswahl 2011 Regierungsverantwortung erhalten.

Geißler sagte: "Die Schlichtung ist ein deutliches Signal dafür, dass in Deutschland die Zeit der Basta-Entscheidungen vorbei ist." Wenn "Stuttgart 21" gekippt würde, kämen auf die Bahn Kosten in Höhe von über drei Milliarden Euro zu. Nach Informationen der "Bild am Sonntag" hat die Bahn bereits 1,43 Milliarden Euro in das Projekt gesteckt. Bei einem Ausstieg müsste die Bahn zusätzlich 1,8 Milliarden Euro in die Erneuerung des Gleisvorfeldes des bisherigen Bahnhofes stecken.

Der Grüne Trittin hofft indes auf eine Befriedung des Streits vor der baden-württembergischen Landtagswahl am 27. März 2011.Vielleicht finde Geißler bis dahin eine Lösung, "die beide Seiten akzeptieren oder die man in einer Volksabstimmung zur Entscheidung stellt". Für den Fall eines Scheiterns der Schlichtung und einer Regierungsbeteiligung der Grünen stellte Trittin eine Stopp des Projekts in Aussicht: "Wir können den Menschen versprechen, dass wir alles dafür tun, den Neubau zu verhindern."

Die Entscheidung über "Stuttgart 21" ist nach Ansicht von Guido Westerwelle von grundsätzlicher Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Als Außenminister stelle er sich auch die Frage, welches Zeichen die Bundesrepublik in die Welt sende. Die dynamische Welt des 21. Jahrhunderts sei voller Länder, deren Gesellschaften eine enorme Veränderungsbereitschaft an den Tag legten. Dagegen sehe er "hierzulande Anzeichen für eine skeptische Grundhaltung", die sich breitmache. "Das kann so nicht weitergehen,wenn wir im globalen Wettbewerb auch in Zukunft bestehen wollen." In einer "Nichts-geht-mehr-Republik" könne der Wohlstand für alle nicht gesichert werden.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, äußerte sich kritisch zu dem von Grünen, SPD und Projektgegnern geforderten Volksentscheid über "Stuttgart 21". "Ein nachträglicher Volksentscheid stellt ein ernsthaftes Problem für die Verwirklichung von Infrastrukturprojekten dar. Irgendwann muss hier ein Schlusspunkt gesetzt werden, spätestens dann, wenn die höchsten Gerichte über das Projekt entschieden haben. Ansonsten verlieren wir unsere Zukunftsfähigkeit." Es mag Ausnahmen von diesem Grundsatz geben, diese sollten aber nicht Schule machen, sagte Voßkuhle.