Angela Merkel beim Auftakt des Auschwitz-Gedenkens. Zentralrat: Jeder Schüler sollte KZ-Gedenkstätten besuchen

Berlin. Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) haben am Montag an die Befreiung des Lagers vor 70 Jahren durch die Rote Armee erinnert. Bei einer Gedenkstunde des Internationalen Auschwitz Komitees in Berlin sagte Merkel: „Wir dürfen nicht vergessen. Das sind wir den vielen Millionen Opfern schuldig.“ Auschwitz mahne auch heute, nicht hasserfüllten Parolen gegen Menschen zu folgen, die in Deutschland ein neues Leben suchten. Im Bundestag diskutierten am Nachmittag Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundespräsident Joachim Gauck und der Auschwitz-Überlebende und polnische Journalist Marian Turski mit Jugendlichen über die Befreiung des Todeslagers im damals von Deutschland besetzten Polen.

Am heutigen Dienstag erinnert der Bundestag in einer Gedenkstunde an die Befreiung des Vernichtungslagers, Gauck hält eine Gedenkrede. Zur Gedenkstunde sind junge Menschen aus mehreren Ländern eingeladen, darunter Deutschland, Frankreich und Polen. Sie nehmen an einem Jugendaustausch des Bundestages teil. Der Bundespräsident fliegt anschließend nach Polen, um dort an der zentralen Gedenkveranstaltung teilzunehmen. Dazu werden zahlreiche Staats- und Regierungschefs erwartet. Der russische Präsident Wladimir Putin ist nicht dabei. Er ist nach Kreml-Angaben nicht eingeladen worden. Die polnische Regierung rechtfertigte dies damit, dass in diesem Jahr keine offiziellen Einladungen an einzelne Politiker verschickt worden seien. Außenminister Grzegorz Schetyna sagte im polnischen Rundfunk, dass lediglich die Botschaften über die Gedenkfeier informiert worden seien. Die Einladungen seien „offen“ gewesen. Jedes Land habe selbst entscheiden können, wen es zu den Feierlichkeiten schickt.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland beklagte, dass Juden immer noch weltweit Ziel von Angriffen seien. „Davor darf niemand die Augen verschließen“, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster.

Merkels Forderung entgegen steht eine am Montag in Gütersloh veröffentlichte Umfrage der Bertelsmann Stiftung. Der Studie zufolge will sich ein Großteil der Deutschen nicht mehr mit dem Holocaust auseinandersetzen. 81 Prozent der Befragten gaben an, die Geschichte der Judenverfolgung „hinter sich lassen“ und sich gegenwärtigen Problemen widmen zu wollen. 58 Prozent der befragten Deutschen forderten gar einen regelrechten Schlussstrich.

Andererseits besteht in Deutschland ein anhaltend hohes Interesse an den Verbrechen während der NS-Diktatur. Die Zahl der Besucher in den deutschen KZ-Gedenkstätten ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Allein in die KZ-Gedenkstätte Dachau bei München kamen 2014 weit mehr als 800.000 Menschen, das waren 100.000 mehr als in den Vorjahren. In der Gedenkstätte Sachsenhausen bei Berlin wurden mehr als eine halbe Million Gäste gezählt. Nach Buchenwald und Mittelbau-Dora (Thüringen) kamen rund 560.000 Menschen.

Zentralratspräsident Schuster betonte: „Mit einer modernen Gedenkkultur sowie guter pädagogischer Arbeit können wir auch nachfolgenden Generationen das historische Geschehen vermitteln und Empathie für die Opfer wecken.“ Er appellierte an die Bundesländer, in den Schulen die Gedenkarbeit zu intensivieren und im Unterricht mehr Informationen über den Holocaust zu vermitteln. Sein Vorschlag lautet, „dass jeder Schüler ab der neunten Klasse verpflichtend eine KZ-Gedenkstätte besucht“. Schuster sagte: „Theorie und Unterricht sind schließlich die eine Sache, das konkrete Erleben vor Ort, die plastische Anschauung die andere“. Zugleich betonte er, dass sich die Holocaust-Gedenkkultur in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren positiv gewandelt habe. „Dies hat sicherlich auch damit zu tun, dass aus der Generation der Täter nur noch wenige leben und die jüngere Generation offener über dieses Thema spricht.“

Die Grünen-Vorsitzenden Simone Peter und Cem Özdemir betonten: „Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, an die Nazi-Verbrechen zu erinnern.“ Es dürfe nicht zugelassen werden, dass Angriffe gegen jüdische Menschen und Einrichtungen wieder zunehmen. „Neu aufkommende rassistische Ressentiments und Antisemitismus müssen wir entschlossen bekämpfen.“ CDU-Generalsekretär Peter Tauber erklärte: „Wir müssen die Erinnerung an das nationalsozialistische Grauen und an das diktatorische Regime wachhalten, gerade bei jungen Menschen.“ Für die Linke erklärten die Vorsitzenden von Partei und Fraktion, Katja Kipping, Bernd Riexinger und Gregor Gysi, zum Gedenken gehöre auch, die Rolle aller Beteiligten der Anti-Hitler-Koalition angemessen zu würdigen. (HA)