13 Jahre lang führte Klaus „Wowi“ Wowereit die Bundeshauptstadt. Sein Nachfolger Michael Müller verkörpert in vielem das komplette Gegenteil seines schillernden SPD-Genossen.

Berlin. So kurz vor dem Ende packt Klaus Wowereit doch die Wehmut. „Den Abschied steckt man nicht so schnell weg“, sagt der scheidende Regierende Bürgermeister Berlins diese Woche mal ganz ohne Schnodderschnauze bei einem seiner letzten Termine. Und auch die Berliner, die den SPD-Politiker im Sommer zum unbeliebtesten Politiker der Hauptstadt kürten und damit seinen Rücktritt beschleunigten, zeigen Herz und haben „Wowi“ plötzlich wieder gern: Im Beliebtheitsranking schafft er es jetzt immerhin ins Mittelfeld.

Aber das nützt auch nichts mehr, der Rückzug ist beschlossen: Am heutigen Donnerstag ist Schluss, im Abgeordnetenhaus übergibt der 61-Jährige an seinen weithin unbekannten Nachfolger Michael Müller. Die Entscheidung zur Demission hatte er im August getroffen, unter dem Eindruck desaströser Umfragewerte, Unruhe in der SPD und der Erkenntnis, dass die Berliner ihm das Desaster mit dem Flughafenprojekt BER nicht mehr verzeihen würden. Dreizehneinhalb Jahre war Wowereit Regierungschef, Berlin ist in dieser Zeit eine andere Stadt geworden und der SPD-Politiker der dienstälteste Ministerpräsident. Für die Hauptstadt geht eine Ära zu Ende, die Republik verliert ein politisches Alpha-Tier, zeitweise gehandelt als SPD-Kanzlerkandidat.

Aber kannte man ihn, der mal charmant, mal schnoddrig-unbeherrscht, mal lässig-cool auftrat, wirklich? Zum Abschied lässt der machtbewusste Wowereit durchblicken, wie sehr ihn öffentliche Abwertungen verletzt haben. Balsam auf seine Seele sei es, dass nun auch die Opposition mal ein anerkennendes Wort finde. „Ungerecht“ findet er, das Flughafendebakel nur an seiner Person abzuladen. Dass ihm das Amt „Spaß gemacht“ hat, gerät zum beleidigt-trotzigen Bekenntnis – wegen des Klischees vom „Party-Meister“ habe er jahrelang nur noch von Freude gesprochen, das Wort Spaß habe man ihm ausgetrieben. Überhaupt: „Ich habe immer Klischees verpasst bekommen und musste immer dagegen ankämpfen“, beklagt Wowereit das Bild des partyfreudigen Glamour-Bürgermeisters.

Der scheidende Regierungschef sieht sich eher als disziplinierter, detailversessener Aktenfresser. Und plötzlich finden sich berufene Zeugen: „Ich habe selten in der Berliner Landespolitik jemanden kennengelernt, der so tief in den Details ist“, lobt etwa der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Eric Schweitzer.

Was bleibt? Im kollektiven Gedächtnis wohl vor allem zwei Sätze des Regierenden: Berlin sei „arm, aber sexy“. Und: „Ich bin schwul, und das ist auch gut so“, Wowereits Outing kurz vor seiner ersten Wahl 2001. Der Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer sagt: „Er hat Berlin nach vorn gebracht und der Stadt Aufmerksamkeit in der Welt verschafft.“ Berlin ist trendige Kulturmetropole, der Tourismus boomt, vor allem junge Leute und Kreative fühlen sich angezogen. Der Wirtschaftsforscher und DIW-Präsident Michael Fratzscher meint: „Man muss anerkennen, dass Berlin in den vergangenen Jahren deutlich stärker gewachsen ist als der Bundesdurchschnitt.“ Es gebe große ökonomische Fortschritte etwa im Kreativbereich, bei neuen Medien oder der Softwareentwicklung. Doch die Arbeitslosigkeit ist weiter hoch, Industrie gibt es kaum, der Schuldenberg ist gigantisch.

Müller gilt als kompletter Anti-Wowereit

Auch deshalb tritt sein Nachfolger Michael Müller kein leichtes Erbe an. Der 49-jährige Familienvater und bisherige Stadtentwicklungssenator verkörpert in vielem das Gegenteil von Wowereit: freundlich-bieder, öffentlich blass und ohne Glamour, als SPD-Landeschef gestürzt, in Teilen der Partei als führungsschwach kritisiert. Schon hat Müller einen „neuen Stil“ angekündigt, der von „Ernsthaftigkeit, Sachlichkeit und Dialog“ geprägt sein soll. Das kann bei seinen Berlinern wie bundesweiten Verhandlungspartnern gut ankommen, die Wowereit auch eine gewisse Schnoddrigkeit vorhielten.

Inhaltlich wird er den Kurs seines Freundes Wowereit aber wohl fortsetzen, nicht umsonst galt der politisch erfahrene Müller lange Zeit als Kronprinz des Regierenden. Schonfrist hat er nicht: Schon heute, gleich nach seiner Wahl, geht es bei der Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin um die Zukunft der Länderfinanzen – das hoch verschuldete Berlin braucht weiter Milliardenhilfen. Und am Freitag tagt der Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft. Da warten große Baustellen auf Müller.

Und Wowereit? „Erst mal werde ich nichts tun und sicher auch in ein Loch fallen“, sagt er in bekannter Lässigkeit. „Ich bin gespannt, was auf mich zukommt.“

Zahlreiche gute Wünsche an „Wowi“

Zunächst einmal allerhand gute Wünsche von Politikerkollegen und Prominenten: „Lieber Wowi, ich wünsche Dir, dass Dein Nachfolger länger durchhält als meiner!“, verabschiedete sich Entertainer Thomas Gottschalk via „Bild“-Zeitung von Wowereit. Am letzten Arbeitstag des Regierungschefs hatte die Zeitung Prominente um persönliche Abschiedsgrüße gebeten.

SPD-Chef Sigmar Gabriel schreibt: „Ich wünsche Dir, dass Du jetzt endlich die Zeit findest, all das neu zu entdecken, was Berlin heute ausmacht.“ Wowereit habe großen Anteil an Berlins Entwicklung zu „einer der faszinierendsten Metropolen der Welt“, so Gabriel. „Wie kein anderer stehst Du für den Wandel von der Frontstadt des Kalten Krieges zum Zentrum der Kreativität und des Aufbruchs.“

Viele Künstler scheinen den Regierungschef und amtierenden Kultursenator schon zu vermissen. „Er liebt uns Künstler, hat uns immer unterstützt und uns viel Zuneigung entgegengebracht“, schreibt Schauspielerin Veronica Ferres. „Im Namen aller Mitarbeiterinnen der Komischen Oper Berlin danke ich Dir für Deine Leidenschaft, Deinen Humor und Deine unendliche Unterstützung“, so Intendant Barrie Kosky.

Selbst Ministerpräsident-Kollege Horst Seehofer (CSU), der als Chef des größten Geberlandes Bayern im Länderfinanzausgleich immer mit Wowereit und Berlin als größtem Nehmerland über Kreuz lag, bleibt bei mildem Spott. „Ich wünsche Klaus Wowereit für seine Zukunft alles Gute und hoffe, dass er ,seinen Sponsor Bayern‘ in fester Erinnerung behält.“ Nur dessen Finanzminister Markus Söder (CSU) erinnert an das böse F-Wort. „Hoffe, dass Sie noch so lange fit und gesund bleiben, um einmal selbst von Ihrem Flughafen fliegen zu können.“