Auch beim vierten deutsch-chinesischen Gipfel in einem Jahr bleiben trotz guter Geschäfte politische Differenzen

Berlin. Regierungskonsultationen sind ein besonderes Stilmittel der Außenpolitik Angela Merkels: Nicht nur die Regierungschefs, sondern ganze Kabinette treffen sich dabei. Die Idee dahinter ist, die Zusammenarbeit mit vielen Einzelprojekten praktisch zu machen, statt nur Floskeln auszutauschen. Mit den Nachbarn und engsten Verbündeten gibt es diese Klassenfahrten in die Weltpolitik schon länger, aber auch mit den Großmächten.

An diesem Freitag und Sonnabend sind zum dritten Mal die Chinesen zu Besuch. Ministerpräsident Li Keqiang und seine Minister vereinbaren zahlreiche Kooperationen, außerdem sollen 40 Wirtschaftsverträge im Gesamtwert von mehreren Milliarden Euro unterzeichnet werden. So eng war die Partnerschaft noch nie: Erst im Frühsommer 2013 war Li zum letzten Mal in Berlin, Staatspräsident Xi Jinpin auf einer eigenen Reise ebenfalls, Merkel ihrerseits hatte den kommunistischen Machthabern erst im Juli in Peking und Chengdu eine Aufwartung gemacht – man sieht sich jetzt also schon zum vierten Mal in nur einem Jahr.

Auch der sozialdemokratische Teil der Regierung will nicht zurückstehen. Vizekanzler Sigmar Gabriel veröffentlichte am Freitag einen Gastbeitrag in der Zeitung „China Daily“, indem er für engere Wirtschaftsbeziehungen warb. Ein Hinweis auf die Menschenrechte oder die Demonstrationen in Hongkong fehlte in dem Text. Gabriels Kritik erschöpfte sich in dem Satz: „Ausländische Unternehmen sehen sich in China immer noch umfangreichen Beschränkungen ausgesetzt.“

Im Gegensatz dazu hatte Bundespräsident Joachim Gauck bei seinem Treffen mit Li am Morgen die Bedeutung des Rechtsstaats hervorgehoben. Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen sagte Gauck bei dem etwa einstündigen Gespräch im Schloss Bellevue, die kommunistische Partei Chinas habe sich in der Vergangenheit schwerer Rechtsbrüche schuldig gemacht. Die Frage sei jetzt, wie die Rolle des Rechts mit der Herrschaft der KP einhergehen könne.

Die Bundeskanzlerin deutete auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Li Kritik nur an: Für Deutschland seien „faire Bedingungen beim Marktzugang und bei Patenten, die journalistischen Bedingungen und Fragen der Menschenrechte wichtig“. Li lachte, als er von einem Reporter gefragt wurde, warum die Menschen in Hongkong ihre Vertreter nicht selbst wählen dürften, und sah während der Übersetzung der Antwort demonstrativ auf seine Uhr. Hongkong sei eine Angelegenheit der „chinesischen Innenpolitik“, er könne aber allen ausländischen Investoren, auch den deutschen, garantieren, dass ihre Interessen gewahrt blieben. Die Frage, ob die Verhaftung von Mitarbeitern deutscher Medien zur Vertrauensbildung beitrage, ignorierte der Ministerpräsident. Eine chinesische Mitarbeiterin der Wochenzeitung „Die Zeit“ war Anfang November festgenommen worden. Li hob von sich aus die Bedeutung seines Besuchs hervor: „Deutschland ist das einzige Land, das ich als chinesischer Ministerpräsident schon zum zweiten Mal besuche.“ Er sprach von einer „Schicksalsgemeinschaft Asien und Europa“ und sagte: „Wir befinden uns an beiden Enden eines Kontinents und sind einflussreiche Großmächte.“ Er versprach, den Marktzugang für deutsche Unternehmen in China zu „erleichtern“ und „geistiges Eigentum besser zu schützen“. Die Sorge vor einem sich abschwächenden chinesischen Wachstum versuchte Li zu besänftigen: Er sei zuversichtlich, dass „in diesem Jahr ein Wachstum von etwa 7,5 Prozent erreicht werden kann“. Eine Abweichung von 0,1 oder 0,2 Prozent von diesem Ziel dürfe man nicht überbewerten.

Merkel und Li betonten beide das weitere politische Potenzial der Zusammenarbeit. Li kleidete dies in ein für europäische Ohren ungewohntes Bild: „Ich habe gesagt, wir sollten die Flusskrebse, die aufgetischt sind, wirklich aufessen. Die Frau Bundeskanzlerin hat geantwortet: ‚Ja, dafür braucht man aber Instrumente.‘ Ich meine: Wir haben diese Instrumente.“ Warum beim gemeinsamen Mahl unbedingt Flusskrebse aufgetischt werden mussten, erschließt sich vielleicht aus dem Gastkommentar, den der chinesische Premier vor seiner Ankunft in der „Welt“ veröffentlicht hatte. Dort hieß es: „Ein aus dem Lateinischen stammendes deutsches Sprichwort sagt: ‚Wer den Weg nicht kennt, auf dem er zum Meer gelangen kann, der sollte sich einen Fluss als Begleiter suchen.‘“ Mit diesem Bild hatte Li seinen Befund abgeschlossen, dass Deutschlands und Chinas „jeweiliger historischer und kultureller Hintergrund sowie ihr politisches System völlig verschieden“ seien. Das ist eine geradezu mutige Beobachtung im Vergleich zu den Worten, die von der deutschen Staatsspitze zu den wechselseitigen politischen Differenzen zu vernehmen waren.