In Thüringen will Ministerpräsidentin Lieberknecht (CDU) mit SPD und Grünen weiterregieren. Doch die zieren sich

Erfurt/Berlin. Der knappe Ausgang der Landtagswahl in Thüringen sorgt für neue Farbenspiele in der Politik. In Erfurt ist nicht nur die erste rot-rot-grüne Landesregierung unter Führung des ersten linken Ministerpräsidenten möglich – jetzt ist sogar die bundesweit erste „Afghanistan-Koalition“ im Gespräch: ein Bündnis von CDU und SPD mit den Grünen, was farblich der afghanischen Flagge entspricht.

Die amtierende Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) brachte mit Rückendeckung der Bundes-CDU das Modell am Montag ins Spiel: Weil die rechnerische Einstimmenmehrheit von Union und SPD nicht gerade Stabilität verspricht, will Lieberknecht zusätzlich die Grünen zu Sondierungen einladen. „Es geht darum, Verlässlichkeit zu garantieren“, sagte Lieberknecht. „Wenn es eine noch stabilere Mehrheit geben würde, wäre das für das Land bei entsprechenden Schnittmengen auch von Vorteil“, sagte Lieberknecht in Berlin.

Große Hoffnungen kann sie sich nicht machen, die Grünen winkten erst mal ab: Sie wollten nicht „Ersatzspieler“ sein, Schwarz-Rot habe auch so eine Mehrheit, erklärte Spitzenkandidatin Anja Siegesmund. Gesprächen werden sich die Grünen zwar nicht verweigern, aber sie wollen jetzt lieber mit SPD und Linken regieren.

Der Vorstoß der CDU zeigt vor allem, wie verfahren die Lage in Thüringen ist: Eine Neuauflage von Schwarz-Rot hätte ebenso wie Rot-Rot-Grün mit 46 Sitzen jeweils nur eine Einstimmenmehrheit im Parlament, die „Afghanistan-Koalition“ hätte immerhin 52 Sitze. Auch Linken-Spitzenkandidat Bodo Ramelow umwirbt SPD und Grüne, verspricht ihnen eine „ganz neue Koalitionskultur auf Augenhöhe“.

Die Entscheidung liegt bei der stark geschwächten SPD – und die tut sich nach ihrem Absturz auf 12,4 Prozent enorm schwer. Ihre Devise: Zeit gewinnen und vor den Sondierungsgesprächen neu sortieren. Auf Drängen von SPD-Chef Sigmar Gabriel soll der Erfurter SPD-Oberbürgermeister Andreas Bausewein den glücklosen Christoph Matschie als Landesvorsitzenden ablösen, schon am Montagabend sollte der Landesvorstand den Wechsel einleiten. Und dann?

Im SPD-Präsidium in Berlin herrschte am Montag Ratlosigkeit. Die enge SPD-Führung hätte in Erfurt gern eine stabile rot-rote Regierung gesehen, auch der künftige Landeschef Bausewein war dafür. Aber die strategischen Überlegungen werden jetzt von der Furcht vor einer abschreckenden Wackel-Koalition überlagert. Klar, die Lage war schwierig, wird im Willy-Brandt-Haus analysiert: Die SPD sei in Thüringen viel schlechter organisiert als CDU und Linke mit ihrer DDR-Erbmasse. Der SPD-Wahlkampf verblasste im Duell zwischen Lieberknecht und Ramelow.

Aber für die Bundes-SPD stellt sich die unangenehme Frage, ob die SPD in der Rolle des kleineren Koalitionspartners zwangsläufig verliert, nach 2009 auch 2017 wieder im Bund. Ähnliches erlebte jetzt die Linkspartei in Brandenburg an der Seite der SPD. „Juniorpartnerschaft ist immer Mist“, sagt SPD-Vize Ralf Stegner. Gabriel beschwichtigt, das hänge davon ab, wie gut eine Koalition zusammenarbeite. In Thüringen habe es die CDU an Fairness in der Großen Koalition mangeln lassen. Auch SPD-Spitzenkandidatin Heike Taubert schimpft über unfaire Attacken der CDU. Das klingt wie eine Absage an eine erneute Große Koalition in Erfurt. Die ist in der Thüringer SPD umstritten, schon 2009 wurde Lieberknecht im Landtag erst im dritten Wahlgang zur Ministerpräsidentin gewählt. Andererseits: Gabriel betont, es komme auf eine verlässliche Regierung an, Thüringen brauche stabile Verhältnisse. Wäre das Experiment Rot-Rot-Grün dafür geeignet? Die SPD in Thüringen ist in dieser Frage zerrissen, Kritiker haben grundsätzliche Bedenken gegen ein Bündnis mit der Linkspartei. Das bleibt bei der knappen Mehrheit ein Risiko.

Gabriel hatte am Wahlabend deshalb durchblicken lassen, er rechne mit einer Großen Koalition. Schon warnt Linken-Chef Bernd Riexinger die SPD vor einem „fatalen Signal“ für die Bundestagswahl. Entscheiden müsse allein die Thüringer SPD, versichert indes Gabriel. „Die sind in Erfurt nicht zu beneiden“, meint ein SPD-Präside. Doch die Parteiführung hat ja noch einen Trost: In Brandenburg ist die SPD bei der Landtagswahl stärkste Partei geblieben, SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke lobt Parteichef Gabriel: „Aus Berlin hatten wir Rückenwind.“ Nur bis Thüringen reichte der nicht.