Klaus Wowereit hat Berlin 13 Jahre regiert, ohne zu führen. Machte er Projekte wie den Flughafen BER zur Chefsache, mussten sich die Bürger fürchten

Berlin. Noch bevor Klaus Wowereit auf einer Pressekonferenz die Gründe für seinen vorzeitigen Rücktritt im Dezember schildert, wird er vielfach zitiert, immer wieder. Mit den Worten, die ihn einst bekannt gemacht haben und die da lauten: „Und das ist auch gut so.“ Es handelt sich um den Nachsatz zu seinem „Ich bin schwul“-Bekenntnis, gesprochen im Juni 2001, vor seiner Nominierung für das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. „Und das ist auch gut so“ – derart erleichtert reagieren nun selbst treueste Genossen auf die Nachricht, Wowereit werde als Bürgermeister zurücktreten. Sein Diktum von vor 13 Jahren wird damit zum Brückenschlag. „Und das ist auch gut so“, der Satz, der ihn berühmt machte, zur Kultfigur stilisierte, der T-Shirts und Kaffeetassen zierte, ist nun ein Ausruf der Entlastung, der Befreiung.

Beachtliche Erfolge und ordentliche Niederlagen begleiten die Amtszeit Wowereits. Anfänglich offenbarte er Machtwillen und Machiavellismus, der so manchen das Fürchten lehrte und die Berliner CDU nach über einem Jahrzehnt an der Macht wieder in die Opposition verbannte. Wowereit ließ die ungeliebte Große Koalition unter Führung seines Vorgängers Eberhard Diepgen (CDU) platzen. In einem ersten nicht klassischen „neuen“ Bundesland bildete er eine Regierung mit der damaligen PDS. Wowereit wurde vor allem deshalb als Linker bezeichnet, und innerhalb der SPD ließ er sich gern derart verorten. Das hielt ihn nicht davon ab, die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung als nicht weitreichend genug zu kritisieren – oder einen Finanzsenator Thilo Sarrazin zu halten, der Hartz-IV-Empfängern Billigmenüs vorschlug oder ihnen riet, hohen Energiekosten mit einem Wollpulli zu begegnen. Links war das nicht, und klassisch links war auch nicht die von Wowereit exekutierte Haushaltskonsolidierung.

Ausgerechnet mit der PDS reduzierte er den öffentlichen Dienst, baute ab, was vor allem die CDU aufgebläht hatte. Das war, neben der mutigen Regierungsbildung 2001, die vielleicht größte politische Leistung Wowereits. Kulturell mag Wowereit „links“ gewesen sein, finanz-, sozial- oder innenpolitisch war er es gewiss nicht.

Eine Vision für die vielleicht spannendste Stadt Europas aber besaß Wowereit nie. Auf einen programmatischen, geschweige denn ideologischen Überbau verzichtete er konsequent. Ein Bild der Welt oder wenigstens der Stadt? Fehlanzeige. Zu Wowereits eklatanten Schwächen zählte der Verzicht auf politische Führung, zuweilen: auf Politik. Gewiss, die Häme über den „Regierenden Partymeister“ oder über seine Posen (unvergessen der rote Stiletto in der einen, die Flasche Champagner in der anderen Hand) besaß immer den Beigeschmack des Kleinkarierten. Bei Wowereit war diese Art der Inszenierung Masche, er versuchte sich als Lifestyle-Politiker. Er wollte sich derart abheben von all den grauen Gremienpolitikern, vom Prinzip der Mittelmäßigkeit.

Aus kleinsten Verhältnissen stammend, hatte sich Wowereit hochgearbeitet, machte Abitur, studierte Jura, wurde Volksbildungsstadtrat im Berliner Ortsteil Tempelhof. „Berlins jüngster Stadtrat mit 30: Am Wochenende gräbt er Mutters Garten um“, titelte die „Bild“-Zeitung damals. Unter den mediokren Figuren in der Berliner SPD und nach diversen Wahlschlappen setzte sich Wowereit durch, wurde Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, dann Bürgermeister.

Dreimal führte er seine Partei als Spitzenkandidat in eine Wahl; Wowereit war das wichtigste Pfund der SPD. Zuletzt, vor drei Jahren, reichte es immerhin noch zu 28 Prozent. Hernach wechselte er den Koalitionspartner, holte statt der Linken die CDU ins Boot und gab den übermütigen Grünen einen Korb. Das war machtpolitisch klug, und es offenbarte Wowereits Kühle gegenüber den eigenen Leuten. Herablassend und arrogant erlebte ihn die Partei mehr und mehr, nur im letzten Wahlkampf, da gelang es ihm, noch einmal auf Knopfdruck sein Lächeln und seinen Charme anzuknipsen. So sehr es Wowereit gelang, unabhängige Köpfe in seinen Senat zu holen (einst Ehrhart Körting und, ja nun, Sarrazin und André Schmitz, zuletzt Ulrich Nußbaum), hielt er es nicht für nötig, einen Nachfolger aufzubauen. Der inzwischen dienstälteste deutsche Ministerpräsident begriff sich offenbar als unersetzlich, und über die Kabale zwischen seinen potenziellen Thronfolgern dürfte er nur hämisch gegrinst haben. Der gefeierte, kommunikative „Wowi-Bär“ mit Ausstrahlung war immer auch ein verschlossener Meister des Schweigens, kühl und abweisend, zu Alleingängen neigend, wichtige Fragen im Gespräch mit sich selbst erörternd. Eine Sphinx.

Zeitweise wurde Wowereit als SPD-Bundesvorsitzender, als Kanzlerkandidat oder gar Kanzler gehandelt. Er besaß bundespolitische Ambitionen, holte sich entsprechende Vertraute in seine Senatskanzlei. Doch den entscheidenden Schritt wagte er nicht. Nach der Niederlage der SPD bei der Bundestagswahl 2009 hätte er den Parteivorsitz beanspruchen können; es gab Genossen, die Wowereit seinem Widersacher (und zeitweiligen Konkurrenten) Sigmar Gabriel vorgezogen hätten. Er passte.

Vielleicht war das eine glückliche Fügung. „Ich gehe freiwillig“, behauptete Wowereit am Dienstag, während er seinen Rücktritt ankündigte. Damit dehnte er die Wahrheit, war doch das Debakel um den Großflughafen Berlin-Brandenburg (BER) längst zum Sargnagel von Wowereits Amtszeit geworden. Die nicht pünktliche Eröffnung des Hauptstadtflughafens sei „eine herbe Niederlage gewesen, und das ist sie bis heute“. Selbst dem Datum des Rücktritts zum 11. Dezember haftet das leidige Thema BER an. Auf einer Aufsichtsratssitzung am 12. Dezember soll ein neuer Starttermin für den Flughafen bekannt gegeben werden. Um diesen – im Zweifel peinlichen – Termin kommt er nun herum.

Gewiss: Klaus Wowereit ist nicht für die Details der dysfunktionalen Entrauchungsanlage verantwortlich, und doch passte die Posse um den BER in das Bild des Mannes, dem nichts mehr recht gelingen mag und, noch schlimmer, der Desinteresse zu seinem politischen Leitmotiv gemacht hatte. Machte Wowereit ein Projekt in Berlin zu seiner „Chefsache“, mussten sich seine Mitbürger vor allem fürchten. Der Steuern hinterziehende Kulturstaatssekretär, eine unterschätzte und vergeigte Volksabstimmung sowie die völlig verunsicherte, in Grabenkämpfe verstrickte Berliner SPD nagten weiter an Wowereits Reputation.

Der SPD stehen nun harte Wochen bevor, ein Wettlauf von mindestens zwei Kandidaten um Wowereits Nachfolge: der SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß und Fraktionschef Raed Saleh. Der bestätigte bereits, dass er Wowereit beerben will. „Spekuliert“ und „schwadroniert“ werde in den eigenen Reihen seit geraumer Zeit über die Nachfolgefrage, klagte dieser am Dienstag. Seine Mitschuld? Blendete er konsequent aus. Die miesen Umfragewerte für die Berliner SPD und die leidige, öffentlich geführte Nachfolgefrage haben dabei vor allem einen Grund: Die einstige Kultfigur Wowereit hat sich zum Buhmann gewandelt. Aus dieser Erkenntnis hat er jetzt die Konsequenz gezogen. Spät und allein.