Klaus Wowereit kündigt Rückzug an. Machtkampf um Nachfolger in der SPD

Was werden die Berliner einst ihren Enkeln erzählen über jenen Mann, der die Stadt zu Beginn des 21. Jahrhunderts kommandierte? Wird Klaus Wowereit in der ersten Reihe der Regierenden genannt werden, zusammen mit Ernst Reuter, Richard von Weizsäcker, Willy Brandt, wird er der ewige Party-Klaus bleiben, der Flughafen-Vermassler – oder ein ziemlich fleißiger, relativ bescheidener Kopf-und-Bauch-Berliner, der ein depressives Doppeldorf in eine weltweit beliebte Metropole verwandelt hat, auch wenn ihm zum Ende hin die Macht entglitt?

Klaus Wowereit ist Geschichte, aber welche? „Endlich isser weg!“, stellt manch notorischer Wowi-Skeptiker erleichtert fest, andere fragen dagegen besorgt: „Und jetzt?“ Respekt und Erleichterung mischen sich bei den Berlinern angesichts dieser Karriere, die mit dem wunderbaren Halbsatz begann: „... und das ist auch gut so.“ Zum Abschied antwortet die Stadt mit exakt den gleichen Worten.

Sein Rücktrittsauftritt bot noch mal die ganze Palette an Emotionen, die Wowereit seit 13 Jahren verbreitet. Hier ein Lächeln, da ein Scherzchen, beleidigt verkniffene Lippen, tapferer Kampf mit den Tränen, abweisende Fassade, stolzer Blick, tiefe Verletzung und am Ende ein tief aus dem Herzen dringendes „Ich liebe Berlin“.

Mag auch manches schiefgelaufen sein, bewegend war Wowereit immer, am Ende dann in seiner wachsenden Hilflosigkeit. Mochte sich der Sturkopf lange eingeredet haben, dass ihm mit der BER-Eröffnung ein politisches Comeback gelingen würde, so hat er inzwischen akzeptiert, dass er auf einer schiefen, seifigen Ebene unaufhaltsam hinabglitt – die Erosion der Macht, wie sie nahezu jeder Regierungschef erlebt hat. Aber abgewählt wie Kohl oder Schröder, verjagt wie Stoiber, Rau oder Biedenkopf – das wollte sich Klaus Wowereit nicht antun lassen. So erwischte er den letzten halbwegs ehrenvollen Zeitpunkt für seine Demission, bevor ihm die Kontrolle auch hierüber entgleiten würde.

Mag er zuletzt auch die Macht über Partei und Senatoren verloren haben sowie die Lust am politischen Alltag, Klaus Wowereit war ein starker und in seinen besten Tagen grandioser Berliner Bürgermeister. Wer hätte denn nach dem grauen Jahr 2001 ernsthaft daran geglaubt, dass eine eher unscheinbare Nachwuchskraft aus Lichtenrade wie eine Frischzellenkur über die Stadt kommen würde? Er sanierte die Finanzen, der Filz ging zurück. Seine anfangs heftig kritisierte rot-rote Koalition hat die Mauer in den Köpfen abgetragen und die in Ost wie West vorhandene Bunkermentalität schrumpfen lassen. Der Sohn einer Kriegerwitwe handelte aus Leidenschaft. Hätte er Reichtum anhäufen, hätte er intellektuelle Herausforderungen haben oder freie Wochenenden genießen wollen – er wäre Anwalt geworden. Aber Wowereit mochte das Amt, die Anerkennung, sodass er überzeugend ein tolerantes, weltoffenes und fröhliches Berlin verkörperte. Einem Politiker vorzuwerfen, dass er gute Laune verbreite, das bringen nur die Deutschen fertig.

Die Berliner SPD bietet keinen so richtig überzeugenden Nachfolger, auch wenn Fraktionschef Raed Saleh mit süßlicher Bewerbungslyrik vorpreschte. Neuwahlen braucht kein Mensch, allenfalls eine neue Koalition wäre denkbar, etwa Rot-Grün unter der Führung von Salehs Rivalen Jan Stöß. Was nach Wowereit kommt, wird nach jetzigem Stand jedenfalls nicht der donnernde Aufbruch, sondern bestenfalls kein Absturz. Denn bei aller berechtigten Kritik an Klaus Wowereit – er hat in den Disziplinen Schläue, Ausdauer, Charisma durchaus Champions-League-Format.

Wer aber ist der Gewinner des gestrigen Tages? Wowereits SPD wohl nicht, vermutlich eher Frank Henkel. Der Berliner CDU-Chef kann sich auf die Streitlust der SPD verlassen. Wenn Henkel die Ruhe bewahrt, hat er beste Aussichten, nach den Wahlen 2016 ins Rote Rathaus einzuziehen.