Neue PISA-Studie: Der Zusammenhang zwischen Herkunft und Bildungserfolg verringert sich. Doch fehlt es an Förderung der Leistungsstarken

Berlin. Fast könnte man der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und ihrem deutschen Koordinator für den Bereich Bildung, Andreas Schleicher, unterstellen, die neueste PISA-Schulleistungsstudie habe so ausfallen müssen, wie sie ausfiel. Nämlich für Deutschland ziemlich vorteilhaft. Die Kritik an der immer dichteren Abfolge von Studien der OECD hatte zuletzt deutlich zugenommen. Medien und Politik stellten immer häufiger die Frage, was das eigentlich alles bringen soll.

Mit der neuen PISA-Studie, die dem Schwerpunkt Mathematik gewidmet war und im Jahr 2012 weltweit unter 15 Jahre alten Schülern durchgeführt wurde, besänftigt die OECD die deutsche Politik und Öffentlichkeit. Denn erstmals liegt das Land in allen Kategorien über dem Durchschnitt der 65 untersuchten Staaten. Das ist ein großer Erfolg. Zum fünften Mal hatte die Organisation die Schüler in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften getestet. In den Naturwissenschaften rangiert Deutschland in der Spitzengruppe. In Mathematik nähert man sich dieser. Man erinnert sich, die erste Untersuchung dieser Art löste 2000 den sprichwörtlichen PISA-Schock aus.

Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe jedenfalls hebt die positiven Aspekte der Studie hervor: „Schon wieder eine Studie, die den deutschen Schulen ein gutes Zeugnis ausstellt. Seit dem PISA-Schock haben alle Bundesländer große Anstrengungen unternommen, um den Bildungserfolg zu verbessern. In Europa gehört Deutschland mittlerweile zur Spitzengruppe“, sagte er dem Abendblatt. Dieses gute Zeugnis widerlege die in Deutschland immer noch hoch emotionale Kritik gegenüber dem Schulsystem, der Schulpolitik und dem Bildungsföderalismus. Rabe: „Ich bin zuversichtlich, dass es weitere Fortschritte geben wird.“

Zuletzt hatte die Mathematik im Jahr 2003 im Zentrum der OECD-Studie gestanden. Im Vergleich dazu haben sich deutsche Schüler nun um elf Punkte verbessert. Sie liegen damit 20 Punkte über dem Schnitt aller Staaten. Die Mathe-Studie belegt noch einen anderen Trend: Die Schlechten und Benachteiligten werden besser. Schon bei PISA 2009, die dem Lesen gewidmet war, zeigte sich, dass die bessere Platzierung aufgrund des Leistungszuwachses bei den schwächeren Schülern erreicht wurde. Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, und solche aus schwierigen Verhältnissen lasen besser als die entsprechende Gruppe zehn Jahre zuvor.

Dieser Befund wiederholt sich nun. 2003 lagen die Mathe-Ergebnisse noch 81 Punkte unter denen von Schülern ohne Migrationshintergrund. Jetzt beträgt der Abstand 54 Punkte. Neben Deutschland haben nur noch Mexiko und die Türkei es geschafft, sowohl die Ergebnisse in Mathematik zu erhöhen als auch mehr Schülern gleiche Chancen zu garantieren. Tatsächlich haben die Politik, aber auch die Bildungsforschung und Interessengruppen seit dem PISA-Schock das Augenmerk vor allem auf die Schwachen gerichtet. Das war richtig, führte aber auch zu Auswüchsen.

Die Gruppe der besten Schüler bleibt laut der Studie konstant

„Man stärkt die Schwachen nicht, wenn man die Starken bremst“, sagte der Präsident des Deutscher Lehrerverbands, Josef Kraus. Die bisherige Fokussierung auf die schwachen Schüler spiegelt sich in der aktuellen PISA-Studie wider. Nicht nur durch den Lernzuwachs bei ihnen, sondern auch im Stagnieren der Besten. Die Zahl der Mathe-Cracks ist nicht gestiegen. 17 Prozent erreichen die Leistungsstufen fünf und sechs. Im OECD-Schnitt sind es 13 Prozent. Der gleiche Befund zeigte sich bei PISA 2009. Auch in puncto Lesen blieb die Gruppe der Besten unverändert.

Das soll sich ändern. „Wir müssen die beiden Enden der Skala im Blick haben“, sagte der Präsident der Kultusministerkonferenz, Sachsen-Anhalts Ressortchef Stephan Dorgerloh (SPD), bei der Vorstellung der Studie. Ziel müsse sein, den Prozentsatz der Schwächsten unter zehn Prozent zu drücken (derzeit 17,7 Prozent). Der Anteil der Stärksten müsse Richtung 25 Prozent steigen. Der Bund versprach Hilfe. „Wir wollen in Zusammenarbeit mit den Ländern im kommenden Jahr ein Programm auflegen, um die Gruppe der Leistungsstarken zu stärken“, sagte Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU).

Dass hier noch Potenzial vorhanden ist, beweisen die Werte der Spitzenländer. Auch wenn die asiatischen Schulsysteme mit den europäischen eigentlich nicht verglichen werden können, so ist es doch aufschlussreich, dass in Shanghai mehr als 55 Prozent die höchsten Levels erreichen. In Korea sind es 30 Prozent. Unter den Staaten in Europa rangiert Liechtenstein mit 24,8 Prozent an erster Stelle, gefolgt von der Schweiz mit 21,4 und den Niederlanden mit 19,3 Prozent. Auf die Frage, wo in Deutschland die Mathe-Asse sitzen, gibt die Studie keine Antwort. Eine Auflistung nach Bundesländern liegt nicht vor. Allerdings haben die Kultusminister vor einem Monat entsprechende Ergebnisse vorgelegt. Beim Länder-Ranking zeigte sich, dass die besten jungen Mathematiker und Naturwissenschaftler in den östlichen Bundesländern zu finden sind.

Es ist wahrscheinlich, dass die aktuelle PISA-Studie, gäbe es eine Bundesländeranalyse, einen ähnlichen Befund gebracht hätte. Eine Analogie zur Studie der KMK findet sich jedenfalls an einer anderen Stelle. Da wurde untersucht, ob Jungen oder Mädchen besser in Mathematik sind. Laut PISA-Studie erzielten die Jungen durchschnittlich 14 Punkte mehr als die Mädchen. 2003 betrug dieser Abstand nur neun Punkte. Alle Bemühungen, Mädchen für die sogenannten MINTt-Fächer zu begeistern, haben bisher offensichtlich nicht gefruchtet. „Damit darf sich Deutschland, das so sehr auf Fachkräfte angewiesen ist, nicht abfinden“, sagte die OECD-Bildungsdirektorin Barbara Ischinger.