Deutschland darf durchatmen, nicht ausruhen

Zwölf Jahre nach dem PISA-Schock, der das deutsche Selbstbild von der Bildungsnation mit einem Schlag zertrümmert hat, ist in Sachen Schülerleistungen zum ersten Mal Durchatmen angesagt. PISA 2012 belegt: Deutschland hat sich in den Fächern Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen kontinuierlich verbessert – und zwar so deutlich wie wenige andere der 65 an dem Vergleichstest teilnehmenden Staaten. Allein das ist ein unbestreitbarer Erfolg. Die 15-Jährigen, die zwischen Flensburg und Konstanz zur Schule gehen, nehmen mit ihren Leistungen heute einen Platz klar oberhalb des internationalen Durchschnitts ein. Und doch: Der Abstand zu den Spitzenreitern Shanghai, Singapur oder Hongkong ist nach wie vor sehr beträchtlich – in Mathematik, dem Schwerpunkt von PISA 2012, ist er geradezu unheimlich.

Dennoch: Es ist erfreulich, dass die unheilvolle Verknüpfung zwischen Herkunft und schulischem Erfolg – reiches, bildungsnahes Elternhaus erhöht die Abiturwahrscheinlichkeit – nicht mehr so stark ist. Aber Deutschland kann immer noch von den Niederlanden oder der Schweiz lernen, Staaten mit ähnlicher Sozialstruktur.

Positiv ist, dass PISA 2012 die Bildungsdebatte weiter entideologisieren wird. Die ersten Jahre nach dem PISA-Schock waren stark von der Diskussion über die Schulstruktur geprägt, befeuert nicht zuletzt durch Äußerungen der PISA-Forscher selbst. Skandinavien, zumal Schweden mit seiner Schule für alle, galt manchen als das große Vorbild. Nicht nur, dass Schweden im Länderranking abgestürzt ist: Heute deutet alles darauf hin, dass das Schulsystem wenig Einfluss auf die Schülerleistungen hat.

Entscheidend sind andere Faktoren: Die Hinwendung zu den Schülern zählt, egal in welcher Schulform. Je kleiner eine Klasse ist, desto mehr Zeit bleibt für den Einzelnen. Dass Lehrer heute weniger „Einzelkämpfer“ sind als vor zehn, zwölf Jahren, dass sie voneinander lernen, trägt ebenso zum Erfolg bei wie die Entscheidung eines Kollegiums, Defizite zu erkennen und dagegen wirksame Strategien zu entwickeln. Alles in allem gilt: durchatmen ja, aber nicht ausruhen.