Akten aus den Ermittlungen zeigen, dass das Terror-Trio seine Ideologie auch in Hamburg verbreiten wollte

Hamburg. Das Deckblatt des Briefes zeigt das Logo mit den drei Buchstaben: N, S und U. Nationalsozialistischer Untergrund. „Verbote zwingen uns immer wieder, nach neuen Wegen im Widerstandskampf zu suchen“, heißt es. Und ganz unten: „Beachte: Beiliegende Unterstützungen ziehen keinerlei Verpflichtungen nach sich.“ Als Polizisten Ende 2011 die abgebrannte Wohnung des Zwickauer Terror-Trios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe durchkämmten, entdeckten die Beamten eine Datei mit dem Brief. Im Mai 2012 durchsuchtensie in Schwerin das Büro und die Wohnung eines NPD-Landtagsabgeordneten – und fanden eine Kopie des Briefes. Er soll das Schreiben 2002 erhalten haben. In der Neonazi-Postille „Der Weisse Wolf“ heißt es 2002: „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen ;-) Der Kampf geht weiter…“ Mutmaßlicher Blattmacher damals: eben dieser NPD-Abgeordnete. Er bestritt, den Brief zu kennen.

Aus den Ermittlungsakten, die dem Abendblatt vorliegen, geht hervor, dass dem Brief eine „erhebliche Beweisbedeutung“ zukommt. Er zeigt, welche Ideologie die mutmaßliche rechtsterroristische Gruppe vertrat. Der NSU soll zehn Menschen ermordet haben. Zschäpe steht derzeit in München vor Gericht. Und der Brief zeigt, wie das damals untergetauchte Trio ihre Ideologie nach außen vertrat und möglicherweise versuchte, auch durch Geldspenden Sympathisanten und neue Aktivisten anzuwerben. Auch in Hamburg.

So fanden Polizisten in der Wohnung des NSU-Trios einen Zettel mit zehn Adressen rechtsextremer Organisationen, darunter „Der Weisse Wolf“. Und das „Deutsche Rechtsbüro“ (DRB), das bis heute Neonazis Rechtsbeistand leistet. Auch an das Büro könnte der NSU-Brief verschickt worden sein. Laut Hamburger Verfassungsschutzbericht von 2010 steuert eine bekannte Hamburger Szene-Anwältin bis heute maßgeblich das DRB. Nach Recherchen von Felix Krebs vom Hamburger Bündnis gegen Rechts habe diese beispielsweise auch den Neonazi-Aufmarsches 2012 in Wandsbek mit vorbereitet. Und: Auch der 2009 verstorbene bekannte Hamburger Szene-Anwalt Jürgen Rieger engagierte sich im Rechtsbüro. Erhielten die Anwälte Spenden des NSU?

Geld hatte das Trio. Insgesamt erbeuteten sie bis zu ihrem Auffliegen 2011 durch Banküberfälle 600.000 Euro. Die Ermittler schreiben, durch die Funde bestehe der Verdacht, dass genannte Zeitschriften, Verlage und Vereine in den Jahren bis 2002 den Brief und eine Geldspende erhalten haben. Sie regten Durchsuchungen an. Kurz darauf durchsuchten Polizisten Wohnungen und Büros rechtsextremer Gruppen unter anderem in Fürth und Coburg. Die Generalbundesanwaltschaft (GBA) konnte in zwei Fällen nachweisen, dass der NSU Brief und Spende tatsächlich übermittelte.

Doch Büros von Anwälten des Deutschen Rechtsbüros durchsuchten die Polizisten 2012 nicht, obwohl sie auf dem Adressen-Zettel des NSU standen. Ein Verantwortlicher des Rechtsbüros für das Jahr 2002 sei nicht bekannt, heißt es nur knapp in den Akten. Auch die völkisch-rassistische „Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“ und deren „Nordische Zeitung“ waren zunächst im Fadenkreuz der Ermittler. Auch diese Zeitschrift fand sich auf dem Zettel im Haus des Trios und könnte Adressat des NSU gewesen sein. Ihr Vorsitzender war von 1989 bis 2009: Jürgen Rieger. Doch auch gegen die „Artgemeinschaft“ werden 2012 keine Durchsuchungen eingeleitet.

Um rechtliche Schritte wie Durchsuchungen einzuleiten, fehlten den Behörden 2012 konkrete Personen wie Herausgeber oder Vorsitzende sowie gesicherte Hinweise auf einen möglichen Adressaten des Briefs. Seit 2007 verfügt das Deutsche Rechtsbüro laut GBA lediglich über eine Postfachadresse. Angesichts der hohen rechtlichen Hürden für Durchsuchungen bei unverdächtigen Personen sei daher eine Durchsuchung der Wohnungen der Aktivisten des Deutschen Rechtsbüros oder der „Nordischen Zeitung“ rechtlich nicht möglich gewesen, sagt ein Sprecher der GBA. Dies habe auch für Angehörige der aktiven Personen gegolten. Auch der Sprecher des Hamburger Verfassungsschutzes sieht keine Hinweise für eine Verstrickung zwischen NSU und Neonazis wie Rieger: Die bis Anfang der 1990er-Jahre zurückreichenden Recherchen hätten bisher keine Hinweise darauf ergeben, dass Hamburger Rechtsextremisten Kenntnis von den Morden des NSU hatten oder sie sogar dabei unterstützten.

Für Krebs vom Hamburger Bündnis gegen Rechts ist dagegen unverständlich, dass es keine Durchsuchungen gegeben hat. Seit vielen Jahren recherchiert Krebs über die neonazistische Szene. Auch er kennt die Ermittlungsakten zum NSU-Brief. Die Verstrickungen mit dem Rechtsbüro und der „Artgemeinschaft“ dürften nicht geringer gewesen sein als mit der Zeitschrift „Nation und Europa“, bei der mehrere Personen durchsucht wurden.

Doch offenbar fehlte der Bundesanwaltschaft mit Riegers Tod im Fall der „Artgemeinschaft“ eine konkrete Verdachtsperson. Ein möglicher Versand der Briefe lag bereits ein Jahrzehnt zurück. In einem internen Zwischenbericht zur NSU-Mordserie stellte das BKA 2012 zudem fest, dass das mutmaßliche Terror-Trio offenbar zu den in Erwägung gezogenen Empfängern des NSU-Briefs keinen engerer Kontakt hatte, da „man keinerlei Verpflichtungen mit den Geldsendungen verband“.

Die Abgeordnete der Hamburger Linksfraktion Christiane Schneider will dennoch eine Anfrage an den Senat stellen, was die Behörden über die Verbindungen von NSU zu Szene-Anwälten gewusst haben. Die strafrechtliche Aufarbeitung der Mordserie sei das eine. Sie ersetze jedoch nicht die politische Aufarbeitung der Bedingungen, unter denen die Mordserie jahrelang unaufgeklärt bleiben konnte, sagt sie.

Zwar fehlen Beweise, dennoch zeigen die NSU-Akten, dass die Hamburger Szene gut vernetzt war – auch nach Thüringen. Noch 2009 hielt Rieger einen Vortrag im Braunen Haus, ein Szene-Treff in Jena. Zudem nahm der NSU-Mitangeklagte André E. laut Akten zwischen 2003 und 2005 zweimal an Veranstaltungen von Riegers „Artgemeinschaft“ in Thüringen teil.

Im Oktober 1997, kurz vor dem Untertauchen der Zwickauer Terrorzelle, soll die Hamburger Anwältin für eine Rechtsschulung für 40 Neonazis in der Gaststätte Heilsberg in Thüringen eingeladen worden sein. Der Ort war zu dieser Zeit ein zentraler Anlaufpunkt für Mitglieder des „Thüringer Heimatschutzes“, in dem auch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe aktiv waren. In einem Vermerk des Thüringer Verfassungsschutzes von 2000 berichtet dessen V-Mann Tino Brandt, dass er selbst Domaininhaber der Webseiten des Heimatschutzes gewesen sei – und auch Inhaber der Webseite des Deutschen Rechtsbüros. Brandt war bis 2001 Spitzel des Verfassungsschutzes und soll dafür etwa 200.000 D-Mark erhalten haben. Brandt baute auch den THS auf, in dem auch Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt aktiv waren.