Der Kreml drangsaliert Homosexuelle. Wer als Schwuler in Russland lebt, gilt Behörden, Kirche und vielen Bürgern als Feindbild. Eine Gruppe aus St. Petersburg kämpft auf dem CSD in Hamburg für mehr Rechte.

Hamburg. Pjotr Muchin pustet bunte Luftballons auf, Olga Lenkowa klebt kleine Herzen mit der russischen Nationalfahne aneinander, Andrej Wosjanov sortiert die Flyer an dem Infostand. Gegenüber bauen Männer einen Werbetisch für den „Lübeck Pride“ auf, das Alsterhaus auf der anderen Seite des Jungfernstiegs hat meterlange Regenbogen-Flaggen gehisst. Würstchenverkäufer, Aktivisten und Händler bereiten sich an diesem Freitagmittag auf den Hamburger Christopher Street Day, den CSD, vor, die große politische Parade der Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender.

Die Passanten interessiert das im Moment noch wenig, sie laufen mit Einkaufstaschen am Alsterpavillon vorbei, andere schlängeln sich schwitzend mit dem Fahrrad über die Bürgersteige, das Straßenfest beginnt erst in ein paar Stunden. Und trotzdem sagt Pjotr Muchin schon jetzt, das sei für ihn in Hamburg alles wie ein kleines Wunder.

In seiner Heimatstadt St.Petersburg müsste die Polizei den Infostand vor Übergriffen sichern – wenn die jungen Menschen überhaupt eine Genehmigung der Behörden erhalten hätten. Muchin und die anderen wären von Passanten beschimpft, vielleicht sogar geschlagen oder bespuckt worden. Wer als Homosexueller in Russland lebt, gilt Behörden, Kirche und vielen Bürgern als Feindbild. Die Bundesregierung erließ in ihren Reisehinweisen für Russland eine Warnung für Schwule und Lesben. Seit Juli ist sogenannte Homosexuellen-Propaganda verboten. Äußerungen über gleichgeschlechtliche Lebensformen vor Minderjährigen stehen in Russland unter Strafe. Behörden verhängten gegen niederländische Aktivisten ein dreijähriges Einreiseverbot.

Es ist der gesetzliche Rahmen für Schwulenfeindlichkeit – dahinter entsteht ein russischer Alltag der Drangsalierungen von Menschen wie Muchin und Lenkowa. An ihrem Stand an der Alster schreiben sie die Geschichten von Homosexuellen in Russland auf bunte Zettel. Die Menschen in Hamburg sollen lesen, wie das Leben in einer Stadt läuft, in der sich kein Bürgermeister offen zu seiner Liebe zu einem Mann bekennen könnte. „Ich stand mit ihr auf dem Flur der Schule, wir umarmten uns, sie gab mir einen Kuss. In dem Moment taucht der Lehrer auf. Ein Skandal, sie weint, ich werde weggeschickt, sie muss zum Schuldirektor“, beschreibt die 18 Jahre alte Sylvia ein Erlebnis. In St.Petersburg gilt das Gesetz zur Schwulen-Propaganda schon länger, Dutzende wurden zu Geldstrafen verurteilt.

Seit einigen Jahren erlebe die Bewegung der Schwulen und Lesben in Russland einen Schwung, erzählt Olga Lenkova. Immer mehr Menschen treten mit ihrer Sexualität an die Öffentlichkeit, viele schließen sich Organisationen wie „Coming Out“ an, auch viele Heterosexuelle. „Doch je stärker wir öffentlich auftreten, desto härter werden die Repressionen der Behörden“, erzählt Andrej Wosjanow. „Bei manchen Clubs oder Kulturzentren dürfen wir keine Filmvorführungen des Festivals ‚Side by Side‘ veranstalten oder in Cafés unsere Flyer verteilen. Die Inhaber haben Angst vor Strafen durch den Staat.“

Die Kampagne des Staates gegen Lesben und Schwule ist aber nur ein Teil der Geschichte. Im autoritären Russland unter Präsident Wladimir Putin stehen auch Oppositionelle seit Jahren unter Druck, werden verhaftet, Initiativen wie die Wahlbeobachter von „Golos“ (Die Stimme) verlieren finanzielle Hilfe aus dem Ausland – oder müssen sich vor Gericht für das Geld von sogenannten „ausländischen Agenten“ verantworten. „Mit den Repressionen gegen Minderheiten und die Opposition will Putin ablenken von der Wirtschaftskrise im Land“, sagt Lenkowa. Die Stimmung für Putin ist vor allem auf dem Land groß. Doch auch dort reichen höhere Gehälter und Renten nicht mehr aus, um wachsende Kritik zu stoppen. Und in den Großstädten etabliert sich eine demokratische Opposition.

Es ist Putins große Angst vor einer bunten Revolution. Und deshalb schmiedet er eine Koalition aus Kreml, Kirche und Kosaken: scharfe Gesetze gegen selbst ernannte Feinde, dazu Flankenschutz der mächtigen orthodoxen Priester und nationale Töne gegen EU und Amerika. „Zu Prozessen gegen uns kommen auch Nationalisten und orthodoxe Priester. Sie schüchtern uns ein und hindern uns an der Teilnahme des Verfahrens, bis die Ordnungskräfte einschreiten“, sagt Olga Lenkowa. Kürzlich verkündete der Patriarch Kyrill, dass Homosexualität eine Sünde von „apokalyptischer“ Qualität sei.

Eine Woche lang sind die sieben jungen Menschen zu Gast an der Elbe. Der Hamburger Lesben- und Schwulenverband hat sie zum CSD eingeladen. Seit 2011 findet der Austausch regelmäßig statt. „Wir fordern die Rücknahme der Gesetze und die Achtung der Menschenrechte in Russland“, sagt Wolfgang Preussner vom Landesvorstand. In diesen Tagen besuchte die Gruppe auch die Ausstellung über „Regenbogenfamilien“ im Einkaufszentrum der Hamburger Meile, große Fotos zeigen Paare mit Kindern und ohne aus Prag, Kopenhagen, aber auch St.Petersburg. „Was die Menschen hier im Shoppingcenter vielleicht überrascht, ist bei uns gleich ganz per Gesetz verboten“, sagt Pjotr Muchin. In den Gesprächen mit Homosexuellen habe er viel über die Errungenschaften bei der rechtlichen Gleichstellung in Deutschland erfahren. Aber immer wieder hört Muchin von deutschen Schwulen und Lesben von Schikanen im Alltag: von blöden Sprüchen bis Anfeindungen. „Aber anders als in Russland achtet die Gesellschaft Homophobie stärker“, ergänzt er.

Und auch in der Diplomatie zwischen den beiden Partnerstädten übt die Hamburger Bürgerschaft Druck auf die St.Petersburger Politik aus. Seit Monaten liegt ein Memorandum auf Eis, das die Ziele der Partnerschaft festschreiben soll. Grund: Die russische Seite strich 30 der 150 Projekte von der Liste. Darunter auch das Projekt zur Zusammenarbeit von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender. Staatsrat für Auswärtige Angelegenheiten, Wolfgang Schmidt, bedauert das sehr. „Das ist für uns nicht akzeptabel. Menschenrechte sind wichtig“, sagt er dem Abendblatt. Dennoch wolle Hamburg an der Partnerschaft festhalten. „So können wir die Zivilgesellschaft in beiden Ländern aktiv unterstützen.“