Merkel verspricht den Flutopfern 100 Millionen Euro Katastrophenhilfe

Passau . Die Kanzlerin verzichtet auf Gummistiefel, sie hat sich für braune Wanderschuhe entschieden. Am Inn-Ufer in Passau, ihrer ersten Station, haben gerade zwei Dutzend Bundeswehrsoldaten begonnen, eine Straße von Schlamm zu befreien. Schaufeln werden verteilt, Feuerwehrleute kommen mit geputzten Einsatzfahrzeugen, um später beim Abspritzen zu helfen. Angela Merkel naht in einem Pulk von rund 50 Menschen – Presseoffiziere, Technisches Hilfswerk, Mitarbeiter der bayerischen Staatskanzlei und der Stadt –, umzingelt von rund 100 Reportern. Die Regierungschefin beim Blick auf die Wassermassen: Der Auftritt hat eine historische Parallele. Vor elf Jahren besichtigte Gerhard Schröder als gestiefelter Kanzler die Elbe- und Oderflut –und übertrumpfte damit den Konkurrenten Stoiber.

In Passau plaudert Merkel mit Feuerwehrleuten und Geschädigten, spricht ihnen Mut zu. Die räumen auf, lächeln tapfer. Nur eine Geschäftsfrau beschwert sich, als der Pulk ihre Arbeiten behindert: „Mir ist gerade der Laden abgesoffen!“ Es kommt kein Trinkwasser mehr aus den Leitungen, bereichsweise ist der Strom ausgefallen. Das Hochwasser von Inn und Donau hatte am Montag den höchsten Stand seit gut 500 Jahren erreicht – 12,89 Meter. Geschäfte, Hotels, Wohnhäuser standen metertief unter Wasser. Am Dienstag lag der Pegelstand mit 11,50 Metern wieder deutlich niedriger. Aber allein für Passau rechnet der Oberbürgermeister mit Schäden in Höhe von 20 Millionen Euro.

Aus dem Hubschrauber hatte Merkel das ganze Ausmaß der Katastrophe sehen können. „Es ist eine schwere Stunde für die Menschen“, sagte sie sichtlich betroffen. Wichtig sei nun eine rasche, unbürokratische Soforthilfe: 100 Millionen Euro stelle der Bund für die gesamten Hochwassergebiete Deutschlands zur Verfügung. Auch CSU-Chef Horst Seehofer, der sich medienwirksam in eine rote Jacke des Roten Kreuzes gekleidet hat, sagt Hilfe zu: Allein Bayern wolle ein Hilfspaket von 150 Millionen Euro schnüren, an dem sich „der Bund zur Hälfte beteiligen“ werde. Das wären schon 75 der 100 Millionen Euro. Merkel setzt gleich nach: „Wenn Bayern heute kommt und mehr Geld braucht, lassen wir mit uns reden.“ Sie ist im Wahlkampf. Ihre nächsten Stationen sind Pirna in Sachsen und Greiz in Thüringen.

Auch SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück spricht in Berlin von schneller Unterstützung der Flutopfer. Die EU-Kommission hat bereits angekündigt, dass die vom Hochwasser betroffenen Länder Deutschland, Österreich und Tschechien finanzielle Hilfe bekommen könnten. Die Mittel sollen aus dem Europäischen Solidaritätsfonds kommen, der nach dem Katastrophenhochwasser von 2002 gegründet worden war.

Aber noch kämpfen die Menschen in den Katastrophengebieten weiter gegen das Rekordhochwasser. Neben Österreich und Tschechien leidet nun auch Ungarn unter den Wassermassen. Dort wurde der Notstand ausgerufen, mehr als 20.000 Helfer wurden mobilisiert. In Tschechien starben bereits sieben Menschen durch Unwetter und Hochwasser.

Während sich die Lage in Passau entspannte, stiegen die Pegelstände in anderen Donau-Städten. In Regensburg wurde in der Nacht zu Dienstag der Katastrophenfall ausgerufen. Wie die Einsatzleitung berichtete, wurde eine Donau-Welle mit einer Höhe von etwa 6,80 Metern in der Altstadt erwartet – so hoch stand das Wasser seit mehr als 130 Jahren nicht mehr. In Niedersachsen und Sachsen-Anhalt stellt man sich auf extremes Elbe-Hochwasser ein.

In vielen Orten spitzte sich die Lage am Dienstag zu. Nach derzeitigen Prognosen wird am Pegel Strombrücke in Magdeburg am Donnerstag die Marke von 6,90 Metern erreicht, sagte eine Sprecherin der Stadtverwaltung. Normal sind knapp zwei Meter. 30.000 Sandsäcke zur Sicherung von Deichen und zum Errichten von Wällen wurden bereits gefüllt und 22.000 verbaut. Treten die Prognosen ein, wird Magdeburg mit noch größeren Wassermassen zu kämpfen haben als zur verheerenden Flut vor elf Jahren.

In Niedersachsen stellten sich die Behörden darauf ein, dass ein Rekordhochwasser in den kommenden Tagen die Pegelstände von 2002 an der Elbe übertreffen könnte. In Sachsen kämpften die Helfer gegen weiter steigende Wassermassen. Am Dresdener Elbepegel wurden am Dienstagmorgen 7,37 Meter gemessen – normal sind etwa zwei Meter. Seit Montag wurden Bewohner in flussnahen Stadtteilen in Sicherheit gebracht. Weitere Evakuierungen würden vorbereitet, auch für Krankenhäuser, sagte Stadtsprecher Kai Schulz. „Die Innenstadt ist geschützt vor den Elbefluten“, sagte er. Die Bauarbeiten an der Waldschlösschenbrücke wurden eingestellt. Wichtige Kultur- und Sommerfestspiele sind bereits abgesagt worden. Die Landesregierung hat einen Krisenstab gebildet. In Bitterfeld-Wolfen mussten am Dienstag 10.000 Menschen ihre Wohnungen verlassen. Der Chemiepark Bitterfeld, in dem 12.000 Menschen arbeiten, wurde mit einem zusätzlichen Deich gesichert, den Soldaten bauten. In Halle kämpfen Hunderte Einsatzkräfte um die Deiche an der Saale, die bereits durchgeweicht sind. Überall an den Elbe-Zuflüssen Saale, Mulde und Weiß Elster wurden Dörfer evakuiert.

Auch in vielen Teilen Österreichs blickten die Menschen mit Bangen dem Höhepunkt des Donau-Hochwassers entgegen. In Ober- und Niederösterreich sollen die Pegelstände noch steigen. Unklar war am Dienstag, ob die neu errichteten 11,15 Meter hohen Schutzwände halten und ob die Höhe ausreichen würde. „Das wird eine Zentimeterpartie“, hieß es vom Hydrographischen Dienst in Niederösterreich.

In Prag hat das Moldau-Hochwasser unterdessen den Höchststand erreicht. Die Lage wird als sehr ernst beschrieben. Unterdessen bedroht das steigende Grundwasser die historische Bausubstanz. Der U-Bahn-Verkehr blieb eingestellt.