In Hamburg gibt es im Schnitt jeden Tag eine Selbstanzeige. Jeder fünfte Deutsche gibt zu, schon einmal Steuerbetrug begangen zu haben.

Hamburg. Der Fall Hoeneß schlägt immer höhere Wellen. Am Montag rückte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) von dem Präsidenten des FC Bayern ab, der sich wegen Steuerhinterziehung mittels eines Schweizer Kontos angezeigt hatte. "Viele Menschen sind jetzt enttäuscht von Uli Hoeneß, die Bundeskanzlerin zählt auch zu diesen Menschen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Dabei ist Hoeneß nur die prominente Spitze des Eisbergs. In Hamburg haben sich seit 2010 laut Finanzbehörde 1100 Steuersünder selbst angezeigt und Zinserträge im Umfang von 372 Millionen Euro nachgemeldet. Allein in den ersten dreieinhalb Monaten dieses Jahres gab es knapp 100 Selbstanzeigen - rund eine pro Tag. Die Zahl der neu eingeleiteten Steuer-Strafverfahren stieg von 2008 bis 2011 von 242 auf 351 kontinuierlich an - fiel 2012 allerdings wieder auf 275 Fälle ab.

Wahrscheinlich könnten die Behörden noch weit mehr Steuersündern auf die Spur kommen, wenn sie besser ausgestattet wären. "Eines der Hauptprobleme neben dem intransparenten Steuersystem ist, dass es nicht ausreichend Personal für vernünftige Prüfungen gibt", sagte Michael Thelen, stellvertretender Landesvorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft Hamburg, dem Abendblatt. Er forderte den Senat auf, wenigstens das objektiv ermittelte Stellensoll zu erfüllen. Denn die Zahl der Betriebsprüfer (derzeit 572) und Steuerfahnder (89) steigt zwar, aber es sind längst nicht alle Stellen besetzt - obwohl die Faustformel gilt, dass jeder Fahnder etwa eine Million Euro pro Jahr hereinholt.

Kein Wunder, schließlich gilt Steuerhinterziehung nach wie vor als Kavaliersdelikt. Einer repräsentativen Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zufolge hat mehr als jeder Fünfte (22,3 Prozent) zugegeben, bei der Steuererklärung schon mal geschummelt zu haben. Beliebtester Trick war es demnach, Handwerker oder Haushaltshilfen unter der Hand zu bezahlen - fast jeder Zweite räumte diese Praxis ein. Experten schätzen, dass 350 Milliarden Euro pro Jahr am Fiskus vorbei erwirtschaftet werden - das ist mehr als der Bundeshaushalt.

Unterdessen nahm die Kritik an Hoeneß zu. HSV-Ehrenspielführer Uwe Seeler zeigte sich "überrascht" von der Nachricht, Ex-Teamchef Rudi Völler war "geschockt", und SPD und Grüne sehen den Fall als Bestätigung, dass sie mit der Blockade des Steuerabkommens mit der Schweiz richtiggelegen hätten. Hoeneß will sich heute Abend das Champions-League-Halbfinale Bayern gegen Barcelona live im Stadion anschauen, aber nichts zum Steuerverfahren sagen. "Ich lasse einige Wochen ins Land ziehen, ehe ich mich äußere."