Die türkische Gemeinde in Deutschland kritisiert das Akkreditierungsverfahren beim NSU-Prozess in München. Keine festen Plätze für Medien und Botschafter. Vorsitzende in Hamburg enttäuscht.

Hamburg/München. In der Redaktion der türkischen Zeitung "Hürriyet" sind sie wütend und enttäuscht. Derzeit treffen sich die Redakteure der deutschen Ausgabe gerade in München zur großen Konferenz. "Ein Zufall", sagt Kemal Dogan. Aber die Diskussion drehe sich dennoch fast nur um eines: der Prozess gegen Beate Zschäpe und mutmaßliche Unterstützer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Prozessbeginn vor dem Oberlandesgericht in München ist am 17. April.

Kemal Dogan arbeitet bereits viele Jahre als Norddeutschland-Korrespondent der türkischen Zeitung und lebt in Hamburg. Er wird beim Prozess gegen Beate Zschäpe nicht im Gerichtssaal sein. Auch keiner seiner Kollegen. Auch kein einziger Journalist eines anderen türkischen Mediums ist derzeit garantiert angemeldet.

50 Journalisten sind akkreditiert für den Prozess, darunter die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender BR, NDR, MDR, WDR und ZDF, auch die Nachrichtenagenturen dpa und Reuters sowie diverse Tageszeitungen. Doch selbst große internationale Medien wie die "New York Times" haben keine festen Plätze in dem Gerichtssaal. Dafür aber zum Beispiel ein Fernsehsender aus den Niederlanden. "Das enttäuscht uns sehr", sagt Dogan. Wenigstens fünf Plätze für türkische Journalisten hätten reserviert werden müssen. Unter den zehn Opfern der Terrorgruppe waren acht türkische Kleinunternehmer. Im Juni 2001 erschossen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Hamburg den Lebensmittelhändler Süleyman Tasköprü. Der NSU bekannte sich zu den Taten. In der ausgebrannten Wohnung der Rechtsterroristen in Zwickau fanden die Ermittler im November 2011 eine Bekenner-DVD der Gruppe.

Die Erwartungen an den Prozess sind hoch - vor allem in der türkischen Gemeinde in Deutschland. Auch in der Türkei werden viele den Prozess verfolgen. "Nun erhalten sie keine Informationen aus erster Hand", sagt Dogan. In der Redaktion der "Hürriyet" werden sie sich nun jeden Morgen vor Prozessbeginn in die Schlange der Zuschauer stellen, um einen Platz im Saal zu bekommen. "Zur Not übernachten wir auch vor dem Gericht", sagt Dogan.

Die Akkreditierungsvergabe, die schon in Gerichtsentscheidungen gebilligt wurde, sei objektiv und unangreifbar, hieß es beim Gericht in München. Das Vorgehen sei vorher bekannt gegeben worden, sodass sich alle Medien darauf einstellen konnten. Alternativ hätte man nur per Los entscheiden können. 123 Medien hatten sich um eine Akkreditierung bemüht, unter ihnen acht türkische Medien. Sie alle erhalten nun eine Akkreditierungskarte, jedoch ohne sicheren Platz.

Auch Hamburger Türken üben Kritik

Die Türkische Gemeinde in Hamburg kritisiert das Verfahren des Gerichts scharf. Viele seien fassungslos und enttäuscht, sagt die Vorsitzende Nebahat Güclü dem Hamburger Abendblatt. "Der Prozess ist die Chance, vieles von dem verlorenen Vertrauen in den deutschen Staat zurückzugewinnen." Doch das Gericht sei dabei, diese Chance zu verspielen. "Wird wieder nicht auf die Wünsche der türkischen Gemeinde in Deutschland gehört, setzt sich das fort, was die Opfer bei den Ermittlungen erlebt haben: Ausgrenzung und Ignoranz", hebt Güclü hervor. Jahrelang blieb die Gruppe um den NSU unentdeckt - und konnte noch bis 2007 morden. Seit Bekanntwerden der mutmaßlichen Täter stehen Polizei und Verfassungsschutz, vor allem in Thüringen und Sachsen, immer wieder aufgrund der schweren Fahndungsfehler und von Nachlässigkeiten in der Kritik.

Im Zusammenhang mit dem anstehenden Prozess hatte ebenfalls bereits für Kritik gesorgt, dass es keinen festen Platz für den türkischen Botschafter geben soll. Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Opfer des NSU-Terrors, Barbara John, hat nun das Oberlandesgericht München aufgefordert, zum NSU-Prozess auch türkische Journalisten zuzulassen.

Doch nicht überall stößt die Kritik auf Verständnis. Gerade Juristen warnen davor, dass der Prozess durch eine Sonderbehandlung und dem hohen medialen Druck nicht mehr dem Prozessrecht entspricht. "Sicher sind auch Vertreter der Medien im begrenzten Rahmen wichtig, aber es entspricht nicht dem deutschen Rechtsverständnis, Prozesse zu Medienspektakel verkommen zu lassen", sagt die Anwältin einer der Angehörigen des Hamburger NSU-Opfers, Angela Wierig. Dies sei vor allem deshalb wichtig, weil die Angeklagten von einem fehlerhaften Prozess profitieren könnten, was sicherlich nicht im Interesse der Allgemeinheit oder des Gerichts wäre, sagt Wierig dem Abendblatt. Sie wird als Vertreterin der Nebenklage in München vor Ort sein.

Die Verhandlungen sind öffentlich. Wer früh kommt, kann sich noch einen Platz als Zuschauer sichern. Das Prozessrecht kenne nur den Begriff der "Öffentlichkeit", sagt Wierig. Einen Unterschied zwischen "wichtigen" und "unwichtigen" Prozessbeobachtern verbiete ein Rechtsstaat.

500 Seiten stark ist die Anklageschrift gegen Beate Zschäpe und vier weitere mutmaßliche Unterstützer des NSU. Mehr als 600 Zeugen sollen geladen werden, 22 Sachverständige zitiert die Generalbundesanwaltschaft in ihrer Anklageschrift, die dem Abendblatt vorliegt. Neben den zehn Morden werden Zschäpe mehr als 20 versuchte Morde vorgeworfen. Bei Sprengstoffanschlägen in Köln soll der NSU mehr als 20 Menschen schwer verletzt haben.