Die Arbeitsministerin weist den Vorwurf der Schönfärberei zurück: “Alle Themen sind drin.“ Ein Auseinanderdriften der Einkommen sei gestoppt.

Berlin. Nein, Ursula von der Leyen, will jetzt nicht über Halbsätze streiten, sondern sie will über Inhalte reden. Über die Inhalte des vierten Armuts- und Reichtumsberichts, den das Kabinett an diesem Morgen endlich beschlossen hat - nach monatelangem Gezerre innerhalb der Koalition. Im Vorfeld sei ja viel darüber geschrieben worden, welcher Halbsatz gestrichen wurde und welcher nicht, sagte die Arbeitsministerin. Von der Leyen aber brachte nun ihre eigene Botschaft mit: Im Kampf gegen Armut, Arbeitslosigkeit und Einkommensungleichheit steht Deutschland im internationalen Vergleich "sehr gut da": Einkommensungleichheit habe nicht weiter zugenommen. Langzeitarbeitslosigkeit sei um 40 Prozent gesunken. Arme Kinder gebe es weniger als noch vor Jahren. Die Arbeitslosigkeit sei auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung, Jugendarbeitslosigkeit auf dem niedrigsten Stand in Euro. Die Älteren arbeiten so viel wie 1991 noch nie. "Eine Erfolgsgeschichte", jubelt die Ministerin.

Nur mit den Frauen ist die Arbeitsministerin noch nicht ganz zufrieden. Sie arbeiten zwar häufiger als früher, allerdings vor allem in Teilzeit. Mit 18,5 Stunden im Wochendurchschnitt sei Deutschland Schlusslicht in Europa, sagt von der Leyen. Für die frühere Familienministerin und glühende Verfechterin einer Frauenquote ist klar: Sie muss die Frauen aus der "Teilzeitfalle" holen, mit einem Rechtsanspruch auf Rückkehr in Vollzeit. Denn, wenn beide Elternteile arbeiten, sinkt die Armutsquote in den Familien deutlich. Sorgen bereiten ihr auch die jungen Langzeitarbeitslosen zwischen 25 und 35 Jahren. Sie sollen nun eine "zweite Chance" auf eine Berufsausbildung erhalten. Aber war da nicht etwas? Gab es da nicht den heftigen Streit zwischen von der Leyen und dem FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler, dem der erste Entwurf des Armutsberichts viel zu negativ erschien? So einfach lassen die Journalisten von der Leyen dann doch nicht davon kommen. Warum denn die Abstimmung zwischen den Ressorts so lange gedauert habe, wollen sie wissen. Wo denn ihr Vorstoß für die Vermögenssteuer geblieben sei? Warum der Satz "Die Privatvermögen sind sehr ungleich verteilt" gestrichen worden sei?

Von der Leyen wischt das alles weg und lächelt dabei freundlich. Eine Ressortabstimmung sei doch ein "völlig normaler Vorgang", das gebe es seit 60 Jahren. Mit der langen Dauer von sechs Monaten habe sie "kein Problem" - so habe man ja auch noch neue Studien und Ergebnisse in dem Bericht würdigen können. Die Studie des DIW etwa, nachdem das Auseinanderdriften der Einkommen gestoppt sei. Sie weist auch die "Legende" zurück, der Satz mit dem Privatvermögen sei gestrichen worden. Nein, er ist nur stark nach hinten gerutscht und findet sich auf Seite 343 des Berichts, in leicht veränderter Form. Und dann gibt es ja auch noch die vielen Tabellen. "Die Themen sind alle drin, man kann alles nachlesen", versichert von der Leyen. Sie weiß nur nicht immer genau wo.

Die Aussage, die Ungleichheit der Einkommen verletze das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung, lässt sich auch nach längerer Suche nicht finden. Da muss die Ministerin passen. Sie könne Kritik der Wohlfahrtsverbände an dem Bericht verstehen, sagt von der Leyen. Da man sich zwar "auf dem richtigen Weg" befinde, die Arbeit aber noch längst nicht beendet sei. "Wir können aber nicht den Schleier darüberlegen, dass sich Dinge verbessert haben", so von der Leyen. Sie räumt aber ein, die Debatte über die Auseinandersetzung zwischen Arbeits- und Wirtschaftsministerium sei nicht gut gewesen, "weil es den Inhalt in den Hintergrund gedrückt hat".

Am Rande der Handwerksmesse in München meldet sich auch Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) zu Wort. Auch er weist den Vorwurf der Schönfärberei zurück. "Ich halte das schlichtweg für Wahlkampfrhetorik." Jeder wisse, dass es Deutschland so gut gehe, wie lange nicht. Das zeigten auch die guten Arbeitsmarkt- und Wachstumszahlen.

Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände blieben jedoch bei ihren Vorwürfen. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, erklärte: "Das Geeiere der Bundesregierung um die Verabschiedung des Armutsberichts kann nur noch als lächerliches Possenspiel bezeichnet werden." Dem bereits im September von Ursula von der Leyen vorgelegten Bericht seien durch Wirtschaftsminister Rösler "sämtliche Zähne gezogen" worden.

"Der Armutsbericht ist ein Armutszeugnis der Bundesregierung", kritisierte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Obwohl die Arbeitslosigkeit deutlich zurückgegangen sei, gebe es mehr Armut in Deutschland, kritisierte die Gewerkschafterin. Darin zeige sich, "dass die neoliberale Politik nach der Devise "Sozial ist, was Arbeit schafft" gescheitert ist".