Kritische Passagen wurden entschärft, ganze Absätze fielen weg. An diesem Mittwoch wird der vierte Armuts- und Reichtumsbericht offiziell vorgestellt.

Berlin. Sicherheitshalber hat es Ursula von der Leyen, noch einmal hineingeschrieben: "Die Ressorts und das Bundeskanzleramt haben dem Bericht zugestimmt und keine Einwände erhoben." So steht es in dem Begleitschreiben der Ministerin, mit dem sie den vierten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung an ihre Kabinettskollegen verschickte. Am Mittwoch will das Kabinett den Bericht endgültig absegnen, man könnte auch sagen endlich absegnen. Denn die Ressortabstimmung zog sich fast ein halbes Jahr hin, mehrmals musste die Beschlussfassung des Kabinetts verschoben werden.

Monatelang stritten Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und die Arbeitsministerin darüber, wie arm und reich die Deutschen wirklich sind. Die CDU-Politikerin hatte in einem ersten Entwurf im September ein düsteres Bild von einer sozial gespaltenen Gesellschaft gezeichnet und Vermögenssteuern ins Spiel gebracht. Das trieb nicht nur die Liberalen auf die Palme.

"Linksrhetorik pur" tönte es auch aus dem CDU-geführten Finanzministerium. Die Ministerin besserte den Bericht nach, und die FDP kann sich als Siegerin fühlen. Denn das mehr als 500 Seiten starke Werk strotzt von guten Nachrichten. "Die vorliegenden Daten belegen eine positive Entwicklung der Lebenslagen in Deutschland", heißt es. Besonders gut habe sich der Arbeitsmarkt entwickelt. So sank die Erwerbslosenquote auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Spürbare Erfolge meldet der Bericht auch im Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit und Kinderarmut. Der Jobboom schlägt zudem auf die Einkommen durch. Ausdrücklich stellt die Regierung fest: "Die Ungleichheit der Einkommen nimmt derzeit ab." Damit widerspricht sie Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbänden, die eine wachsende Einkommensspreizung beklagen.

Insgesamt ist der Tenor des Armuts- und Reichtumsberichts jetzt ein ganz anderer als noch im September. Kritische Passagen wurden entschärft oder ganz gestrichen. So entfiel der Satz: "Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt." Streichen musste von der Leyen auch ihren Vorstoß, die Reichen stärker zu belasten. "Die Bundesregierung prüft, ob und wie über die Progression in der Einkommenssteuer hinaus privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann." In der Endfassung ist nur noch vom "freiwilligen Engagement Vermögender" die Rede. Und hieß es zur Freude der Gewerkschaften und der Opposition ursprünglich, dass vier Millionen Arbeitnehmer einen Stundenlohn von unter sieben Euro bekommen, wurde nun auch diese Aussage aus dem Bericht gestrichen.

FDP ist zufrieden, die Opposition empört

Die FDP ist zufrieden. "Der fertige Bericht zeigt auf Grundlage der Fakten, wie gut die Lage in Deutschland wirklich ist", sagt der Generalsekretär der Liberalen, Patrick Döring, der "Welt". "Von solchen Arbeitslosenzahlen etwa konnte die rot-grüne Koalition nur träumen." Deshalb sei es kein Wunder, dass SPD und Grüne aus lauter Missgunst kräftig auf die Pauke hauten. "Das parteitaktische Schauspiel ist bloß leicht durchschaubar", sagt Döring.

Die Opposition ist empört und wirft der Regierung Manipulation und Schönfärberei vor. Brigitte Pothmer, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen: "Die Koalition hat offensichtlich bis heute nicht begriffen, dass man Armut nicht bekämpfen kann, indem man einen Bericht manipuliert." Die Wirklichkeit lasse sich nicht ressortabstimmen. Die Streichungen und Schönfärbereien entwerteten den gesamten Armuts- und Reichtumsbericht. "Im Grunde belegt er jetzt nur noch die Armseligkeit der Bundesregierung." Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel sprach im Bundestag vergangene Woche von Fälschung und Schönfärberei.

FDP-Arbeitsmarktexperte Johannes Vogel weist den Vorwurf der Manipulation zurück. "Es hat seit 2001 drei Berichte gegeben, immer mit einer Ressortabstimmung. Jetzt gibt es den vierten Bericht mit genau demselben Verfahren. Als Regierungspartei hatte die SPD daran nicht das kleinste Bisschen auszusetzen, als Oppositionspartei ist sie auf einmal zutiefst empört." Die nackten Fakten seien in allen Fassungen des Berichts identisch: weniger Arbeitslose, weniger Langzeitarbeitslose, die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa, ein schrumpfender Niedriglohnsektor und keine weitere Zunahme der Einkommensungleichheit, seitdem die SPD nicht mehr den Kanzler stelle.

Tatsächlich wurden in die Endfassung des Armuts- und Reichtumsbericht lediglich aktuelle Daten zusätzlich eingefügt, die vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Herbst vorgelegt worden sind. Diese wissenschaftliche Studie zur Einkommensentwicklung zeigte, dass die Einkommensschere seit 2006 nicht weiter auseinandergegangen ist und sich zuletzt sogar leicht geschlossen hat. "Es ist richtig, neuere Daten zu verwenden, wenn diese vorliegen", sagte FDP-Sozialexperte Pascal Kober. Dass die Opposition und Sozialverbände trotz dieser seriösen Daten des DIW dennoch unverdrossen immer weiter behaupteten, dass die soziale Spaltung zunehme, sei ein Skandal. Besser müsse Deutschland allerdings noch bei der Chancengerechtigkeit werden, sagte der Liberale. Weitere Fortschritte etwa in der frühkindlichen Bildung seien nötig, damit ein Bildungsaufstieg für alle möglich werde. An diesem Punkt sind sich Liberale völlig einig mit Arbeitsministerin von der Leyen. Gefragt seien "politische Strategien für ein sozial mobiles Land und eine faire, aufstiegsoffene Gesellschaft, die sich aktiv gegen herkunftsbedingte Benachteiligungen wendet", heißt es in ihrem Bericht.